Über 50.000 neue Mitglieder sind ein großes Potenzial, um linke Ideen zu verbreiten und sozialen Widerstand zu organisieren. Der Vorstand hat zum Parteitag im Mai einen Leitantrag vorgelegt, der einen “Plan für die nächsten Jahre” ankündigt. Im Vergleich mit ähnlichen Papieren aus den letzten Jahren ist der vorliegende Antrag ein erfrischender Fortschritt: Knapp, fokussiert, präzise formuliert, kein Verstecken hinter leeren Formeln. Damit knüpft der Vorstand an der Wahlkampagne und den Organizing-Methoden an.
Von Claus Ludwig, Köln
Analytisch und programmatisch klaffen allerdings einige Löcher. Die dramatische wirtschaftliche Lage, die zunehmenden Spannungen zwischen den Blöcken und die Kriegsvorbereitungen werden im Leitantrag wie Gäste behandelt, die mal kurz hineingucken und dann wieder aus dem Blickfeld verschwinden. Doch schauen wir zunächst auf die starken Elemente.
Mitglieder- und Klassenpartei
Im Antrag wird als “zentrale Aufgabe” beschrieben, “sich in der Arbeiter*innenklasse zu verwurzeln”. “Die Linke muss eine organisierende Klassenpartei werden” und sich “als sozialistische Mitgliederpartei weiterentwickeln”. Die Vernetzung von betrieblich aktiven Mitgliedern soll aufgebaut werden, anknüpfend an der Vernetzung im Gesundheitswesen.
“Als Partei nehmen wir eine zentrale Rolle im Protest gegen Aufrüstung, Sozialabbau, Klimazerstörung und Rechtsruck ein.”
Wahlen und Abgeordnete
Es ist zu begrüßen, dass die Aufgaben der Abgeordneten definiert und dem Primat der Partei untergeordnet werden: “Unsere Abgeordneten organisieren ihre Arbeit und stellen ihre Büros so auf, dass sie in der Lage sind, Kampagnen zu unterstützen und möglichst viel Öffentlichkeit zu generieren (…) Ein Mandat der Linken verpflichtet dazu, sich am Parteiaufbau zu beteiligen und sich in den Dienst der Partei zu stellen.”
Die Formulierung bezüglich der Wahlen, passt nicht zur Kampagne- und Klassenorientierung des restlichen Textes. Es brauche “Strategien mit dem Ziel, in alle Landtage einzuziehen und die kommunalpolitische Verankerung in der Fläche auszubauen”. Der Einzug ist jedoch kein Selbstzweck und ergibt sich eher aus erfolgreichen Kampagnen und der Verankerung außerhalb der Wahlkämpfe.
Rassismus und Spaltung
Die Linke hat lange eine eher moralische Argumentation gegen Rassismus und andere Diskriminierungsformen vertreten. In diesem Text wird sie deutlicher: “um die Mehrheit davon abzulenken, dass dieses System zutiefst ungerecht ist, versuchen sie, uns zu spalten und Hass gegen einige von uns zu schüren. Weltweit und auch in Deutschland entwickelt diese Klasse der Ultrareichen zunehmend autoritäre Züge und zeigt – wie aktuell in den USA – sogar wieder faschistische Tendenzen.”
Kein “linkes Lager”
Der Text findet einige klare Worte über die Rolle von SPD und Grünen und die sozialen Angriffe, die auf uns zukommen: “Die kommende Regierung wird den Sozialstaat weiter abbauen, die Aufrüstung vorantreiben und dringend benötigte Investitionen verweigern. Die Konservativen werden dieses Projekt notfalls mit der Rechten durchsetzen und von SPD und Grünen wird kein Widerstand dagegen erfolgen.” Etwas abgeschwächt heißt es: “Statt einer solidarischen Gegenagenda haben auch SPD und Grüne zu oft rechte Positionen übernommen.” Tatsächlich haben sie das nicht “zu oft”, sondern grundsätzlich getan.
Die Worte des Leitantrages klingen besser als die Realität. In Bremen und Mecklenburg-Vorpommern regiert Die Linke mit und es ist kein Unterschied zu den etablierten Parteien sichtbar, bei allen wichtigen Fragen sind die Minister-Linken eingeknickt und haben sogar dem massiven Aufrüstungsprogramm zugestimmt. Es ist völlig illusorisch, dass eine linke Partei an der Regierung zusammen mit prokapitalistischen Parteien irgendeine positive Änderung bewirkt. Die Debatte dazu muss weitergeführt werden.
Programmatisch: Lücken
“Klassenpartei” und “sozialistische Mitgliederpartei” sind gute Slogans. Allerdings brauchen sie Inhalt. Welche Gesellschaft strebt die Partei an? Welche Maßnahmen sind nötig, um die Interessen der arbeitenden Klasse durchzusetzen? Der Leitantrag bleibt sehr vage. Klar, es handelt sich nicht um ein Grundsatzprogramm. Es sollte jedoch zumindest skizziert werden, welche Verwerfungen der Kapitalismus mit sich bringt, dass die linke Antwort auf Profitprinzip und Konkurrenz die demokratische Vergesellschaftung ist und dass dies nur im Kampf mit dem Kapital möglich ist.
Programmatisch weht nur ein laues Lüftchen durch den Text: “Verteidigung des Sozialstaats (…) Verteidigung der Demokratie (…) Unser Ziel ist ein Wirtschaftssystem, in dem nicht eine Handvoll Familien die Hälfte des Vermögens besitzt, sondern ein System, in dem Entscheidungen demokratisch getroffen werden (…) Unsere Utopie heißt Gemeinschaft.”
Wie lassen sich daraus Antworten für konkrete Probleme generieren? “Utopie heißt Gemeinschaft” hilft den Kolleg*innen bei den von Schließung bedrohten Ford-Werken nicht, Ideen zu entwickeln, wie der Betrieb der Verfügungsgewalt der Kapitalbesitzenden entzogen werden kann. Aufgabe einer “sozialistischen Mitgliederpartei” wäre es, sozialistische Ideen zu verbreiten, zu popularisieren, in der Mitgliedschaft und bei breiteren Schichten.
Fokus, Fokus, Fokus?
Verzettelung ist nie gut. Es ist für eine Partei hilfreich, wenn sie klar mit Themen und Forderungen identifiziert wird. Im Leitantrag wird das mit dem Slogan “Fokus, Fokus, Fokus” auf die Spitze getrieben: “braucht es eine Fokussierung auf wenige Kernforderungen”, gemeint sind hier vor allem bezahlbare Mieten und die Einkommen der abhängig Beschäftigten.
Dieses Konzept des Hyperfokussierens gerät in die Krise, wenn sich die Lage dynamisch entwickelt. Natürlich muss eine linke Klassenpartei immer die gemeinsamen sozialen Interessen in den Vordergrund stellen. Doch die von den Herrschenden geführten ideologischen Debatten um “Migration” und die alles beherrschende Aufrüstungspropaganda grätschen dazwischen.
Wenn die Partei stur daran festhalten würde und sich in einer Zeit der Konflikte und Umwälzungen als eher zeitlose Mieter*innen- und Kümmerer-Partei mit Klassenkampf-Rhetorik darstellt, werden die Ereignisse über sie hinwegfegen. Es ist wichtig, die Mitglieder und die Wähler*innen auf die Zukunft ideologisch vorzubereiten.
“Don’t mention the war”
Am deutlichsten wird das an der Kriegsfrage. An einer Stelle heißt es, die Merz-Regierung betreibe “Aufrüstung um der Aufrüstung willen”. Nein, tut sie nicht. Sie betreibt Aufrüstung, weil sie den deutschen Imperialismus darauf vorbereiten will – allein oder mit der EU – seine ökonomischen Interessen mit militärischer Gewalt durchzusetzen. Aufrüstung ohne Ziel wäre klima- und sozialpolitisch übel, aber weit weniger als Aufrüstung mit klarer Absicht.
“Als Partei treten wir bedingungslos für das Völkerrecht und den Schutz derjenigen ein, die unter den Kriegen dieser Welt leiden.” Den Satz könnte jede Partei unterschreiben. Die Frage ist, was daraus folgt. Bisher hat Die Linke Waffenlieferungen an die Ukraine und Aufrüstung abgelehnt. Das ist gut, aber es fehlen Begründung und Strategie.
Der Parteivorstand möchte sich vor schwierigen Diskussionen wegducken: “Wir wollen hier die Positionen, die uns vereinen, in den Mittelpunkt stellen.” Anders formuliert: Lieber nichts Deutliches zum genozidalen Krieg Israels sagen, nicht zu sehr über die Ukraine, eine potenzielle EU-Armee und die NATO reden. Das kann kurzfristig funktionieren, siehe Bundestagswahlkampf. Mittelfristig wird es der Partei mit Wucht auf die Füße fallen. Wenn sich die Lage im Westpazifik zuspitzt, muss Die Linke Position beziehen. In der Ukraine rücken die russischen Truppen weiter vor. Was ist, wenn westliche Staaten Truppen dorthin schicken? Auch eine Eskalation im Baltikum ist möglich.
Eine Positionierung zu Gaza ist längst überfällig, viele Aktive und Migrant*innen haben sich wegen der Haltung der Linken bereits von der Partei entfernt. Die Partei braucht eine Debatte, wie sich die Arbeiter*innenbewegung im Zeitalter des neuen Imperialismus aufstellen kann. Aus marxistischer Sicht braucht sie eine Positionierung gegen alle imperialistischen Lager, auf der Grundlage, dass sich die arbeitenden Menschen nicht gegenseitig umbringen, sondern das System stürzen müssen, das die Kriege hervorbringt.
Der Leitantrag ist ein Schritt nach vorne. Auf der Grundlage kann Die Linke bewegungs- und kampagnenorientiert arbeiten, Mitglieder aktivieren, parlamentarischen Wildwuchs begrenzen. Wenn diesem ersten Schritt jedoch nicht der zweite folgt – die notwendige analytische, programmatische und methodische Vorbereitung auf das Zeitalter der imperialistischen Konfrontation – wird die Partei nicht weit kommen auf dem Weg, eine Alternative zu diesem zunehmend wahnsinnigen System aufzubauen.