Alle Eltern von Kita-Kindern kennen es, die Angst vor dem morgendlichen Anruf, „Ja, hier die Kita, leider wieder mal Personalmangel. Die Bärengruppe muss schließen. Sie müssen ihr Kind heute zu Hause betreuen.“
Von Doreen Ullrich, Aachen
In vielen Kitas sind Kürzungen der Öffnungszeiten, tageweise Schließungen ganzer Gruppen und das Streichen aller pädagogischen Angebote zum Alltag geworden. Verlässlichkeit für berufstätige Eltern? Ein Fremdwort. Ein echtes Bildungsangebot für Kinder unter 6 – Fehlanzeige. Unmenschliche Bedingungen für das Kitapersonal – Normalzustand. Dieser Zustand ist für alle untragbar -für die Kinder ist er gefährlich. Gemeinsamer Widerstand ist nötig.
Die Rosa Luxemburg Stiftung beschreibt in ihrer Broschüre „Kita-Krisenbuch“ (herausgegeben Januar 2025) das systematische Versagen des Staates in der frühkindlichen Bildung ganz genau.
Interviewt werden verschiedene Kita-Beschäftigte. Eine berichtet:
„Der Tag beginnt und sofort prasseln unzählige Anforderungen auf mich ein: Ich habe 34 Kinder in der Gruppe, die alle meine volle Aufmerksamkeit fordern. Ein Kind schreit, weil es getröstet werden will. Ein anderes hat einen Wutanfall, während ein drittes Hilfe bei der Bastelarbeit benötigt. Mittendrin die Integrationskinder, die besondere Betreuung und Förderung brauchen, aber auch sie kommen oft zu kurz. Der Druck, jedem Kind gerecht zu werden, lastet schwer auf meinen Schultern.“*
Eine andere Kollegin erzählt:
„Ich war allein in der Gruppe mit rund 20 Kindern von drei bis sechs Jahren. Meine Kollegen waren auch allein oder mussten einzelnen Kindern helfen (Toilettengang begleiten,wickeln, umziehen, weil etwas in die Hose gegangen war). Es war mal wieder einer dieser Tage, an denen jeder von uns nur aufpasste, dass die Kinder sich nicht gegenseitig «zerfetzen».“*
Und ein Elternteil berichtet:
„Seit Corona vorbei ist, haben wir immer noch verkürzte Öffnungszeiten. Immer wieder wird die Gruppe aufgeteilt oder geschlossen oder die ganze Einrichtung schließt, einfach weil keiner mehr da ist, der den Betrieb aufrechterhalten kann. Das Ganze geht jetzt schon seit knapp drei Jahren so.“*
Viele der Beschäftigten bleiben trotz der Zustände und tun das für die Kinder – auf Kosten der eigenen Gesundheit. Burnout und chronische Krankheiten gehören zur Berufsbeschreibung der Kita Erzieher*innen quasi dazu. Das war mal anders.
In den frühen 2000ern haben Kita-Beschäftigte und Eltern einiges erreicht. Mit Bildungsnotstand, PISA Studien etc. wurde eine Qualitätsoffensive gestartet. Frühkindliche Bildung sollte mehr in den Mittelpunkt gerückt werden, Kitas wurden ausgebaut und ein gesetzlicher Anspruch auf eine Betreuung eingeführt. Kita-Beschäftigte führten wichtige Anerkennungsstreiks – erinnert sei an die 12 Wochen Streik im Jahr 2009, durch die eine eigene Entgelttabelle erreicht wurde. Doch was offen blieb : die Ausbildung von mehr Fachkräften und vor allem sozialpädagogischem Fachpersonal. Allein neue Gebäude schaffen keine frühkindliche Bildung. Es fehlt der Nachwuchs.
2023 fehlten bundesweit über 20.000 Fachkräfte in den Kindertageseinrichtungen. Laut einer Erhebung der Krankenkasse DAK erlebten nur 2.9 Prozent der Kita-Beschäftigten bundesweit KEINEN Personalmangel. Dabei ist der Personalschlüssel bei Vollbesetzung schon schlecht. Von Corona waren die Kolleg*innen der Kitas besonders stark betroffen, denn sie arbeiteten ungeschützt. Unter keiner Berufsgruppe war eine Corona-Erkrankung häufiger. Auch saisonale Krankheiten wie die Grippe treffen diese Berufsgruppe überdurchschnittlich. Extra Schutz gibt es nicht. Das führt zu einer durchschnittlichen Erkrankungszeit von 30 Tagen pro Jahr.
Und so ist es kein Wunder, dass das System Kita kollabiert. Auch unter der neuen schwarz-roten Regierung wird sich das nicht ändern. Im Koalitionsvertrag wird nur der Ausbau von Kita-Gebäuden in Aussicht gestellt. Dabei bräuchte es einen Notfallplan “frühkindliche Bildung“, der die eigentliche kommunale Aufgabe „Kita“ durch den Bund unterstützt. Mit einem Investitionsplan, in dem die Ausbildung und Förderung von Fachkräften in den Mittelpunkt gestellt werden, inklusive einer Personalbemessung die den Kolleg*innen, Kindern und Eltern gerecht wird, ließe sich das Problem langfristig lösen. Doch daran gibt es kein politisches Interesse. Wären Kinder, Banken oder Rüstungsbetriebe, sähe es wohl anders aus.
*alle Zitate aus „Kita-Krisenbuch – Systemversagen Aufdecken“ von der Rosa-Luxemburg-Stiftung