Trump: Wie weit kann der Wahnsinn gehen?

Säuberungen im öffentlichen Dienst, willkürliche Verhaftungen und Abschiebungen, brutale Kürzungen, Repressionen gegen Andersdenkende, Handelskrieg gegen den Rest der Welt – in seinen gerade mal vier Monaten im Amt hat Trump bereits jetzt zahlreiche ungeahnte Eskalationsstufen genommen, teils im Minutentakt. Wie vielen Menschen in den USA (und außerhalb) wird seine Politik den Job, die Wohnung, die Freiheit, das Leben kosten? Ist das schon Faschismus?

Von Conny Dahmen, Köln

Mit seiner Regierung von dreizehn Milliardären mit einem Gesamtvermögen von 382,2 Milliarden US-Dollar (Stand Dezember 2024) herrscht nun ein Teil der herrschenden Klasse direkt über die USA, und auch der Rest der Bourgeoisie kann mit Trump – trotz aller „Schönheitsfehler“ und Unberechenbarkeit – am Ende ganz gut arbeiten. Vor dem Hintergrund des Kampfes um die Neuaufteilung der Welt scheint aus Sicht des Kapitals der allgemeine politische Rechtsruck mit verstärktem Nationalismus, Militarismus, staatlicher Repression und Unterdrückung notwendig, um seine Agenda ungestört durchziehen zu können.

Seit dem Finanzkollaps von 2007-2009 bleiben die Wachstumsraten niedrig, und Länder wie die USA haben steigende Haushaltsdefizite und Staatsverschuldung von 120-125 % zu verzeichnen. Das politische Establishment ist diskreditiert, eine Welle von Rebellionen in verschiedenen Teilen der Welt prägten die Jahre danach, und auch in den USA begann mit Occupy Wall Street ein Revival des Klassenbewusstseins, Massenrebellionen wie Black Lives Matter folgten. In solch einer Krise wird die bürgerliche Demokratie von einem nützlichen Instrument zu einem Hindernis für die Herrschenden, und “starke Männer” wie Trump müssen ran, die die Anti-Establishment-Stimmung nach rechts kanalisieren, die Massen disziplinieren und sie auf eine härtere Welt mit Klimakatastrophen, Austerität und Militarismus vorbereiten.

Allein im Februar und März hat das “Department of Government Efficiency“ DOGE 284.642 Stellen in 27 Behörden direkt oder indirekt gestrichen. Fast ein Drittel des Bundeshaushalts gestrichen, Ernährungs- und Gesundheitsprogramme, der Großteil der Bildung, Forschung, Wohnungsbau und Infrastruktur auf nationaler Ebene sollen gekürzt werden, die Post soll privatisiert werden. Und dies ist wohl erst der Beginn der Offensive gegen die gesamte Arbeiter*innenbewegung.

Mit dem Stopp der Diversitätsprogramme, die Schulen, Unis, und Behörden vom Umweltschutz (EPA) bis hin zu Krankenhäusern der Veteranenbehörde (VA) betreffen, soll nicht nur gespart, sondern auch die nationale Identität und traditionelle Werte in den USA wieder gestärkt werden, zur Vorbereitung des Konfliktes mit China. Ob es dem „Grenz-Zar“ und ehemaligen ICE-Chef Homan allerdings gelingt, 11 Millionen Migrant*innen ohne Papiere abzuschieben, ist fraglich. Zwar profitieren Unternehmen von Rassismus und Migrant*innen als Sündenböcke für soziale Probleme aller Art. Aber Migrant*innen sind auch besonders gut auszubeutende Arbeitskräfte; insbesondere der Dienstleistungssektor, die Landwirtschaft, Gastronomie, Bau und die Techbranche hätten ohne diese Arbeitskräfte ernsthafte Probleme.

Unangenehm direkt

In der Außenpolitik erscheint Trump besonders abgedreht – in Panama einfallen, Kanada annektieren, Grönland kaufen und Gaza zum Badeparadies für Reiche machen? Hier legt Trump die Interessen des US-Imperialismus einfach offen dar, „Soft Power“-Gedöns wie UNO, WHO, USAID hält er für unnötig. Da wird eben auch mal „Im Laufe des Wochenendes in München […] die westliche Wertegemeinschaft beendet.“ (Habeck nach dem NATO-Gipfel im Februar) – wobei Trump das NATO-Bündnis wohl weder verlassen noch auflösen wird.

Wie seine Vorgänger unterstützt Trump Israel, und den genozidalen Krieg in Gaza. Wie seine Vorgänger bereitet er eine Konfrontation mit China vor. Dabei ist die Ukraine ein lästiger Nebenschauplatz, den es loszuwerden gilt (die Rohstoffe dort möchte man aber behalten).

Autoritär, aber noch kein Faschismus

Auch wenn seine Politik einige faschistische Elemente hat, sehen wir hier doch kein faschistisches Regime, wie oft in den Medien und in Teilen der Linken dargestellt. Das heißt nicht, dass sich kein totalitärer Polizeistaat entwickeln kann, aber zum jetzigen Zeitpunkt gibt es noch viele Möglichkeiten für Widerstand.

Faschismus ist ein Regime, das alle demokratischen Rechte der Arbeiter*innenklasse zerstört, und auch die der herrschenden Klasse einschränkt. Hierbei geht es aber nicht nur um Verbote, sondern darum, die Arbeiter*innenbewegung und die Arbeiter*innenorganisationen vollständig zu zerschlagen, um das Überleben des Kapitalismus zu sichern. Im Italien der 1920er und Deutschland in den 1930ern war Faschismus auch eine soziale Massenbewegung, die von der herrschenden Klasse zu diesem Zweck instrumentalisiert wurde. „In dem Moment, in dem die ‚normalen‘ polizeilichen und militärischen Mittel der bürgerlichen Diktatur zusammen mit ihren parlamentarischen Deckmänteln nicht mehr ausreichen, um die Gesellschaft im Gleichgewicht zu halten, kommt die Wende zum faschistischen Regime.“ (Trotzki 1932) Aber auch für die herrschende Klasse ist der Faschismus eine zweischneidige Waffe, die mit großer Vorsicht zu gebrauchen und nur im äußersten Notfall zu nutzen ist.

Bei allen Krisen heute: in den 1930er Jahren war die Krise des Kapitalismus noch viel tiefer; eine riesige, prekarisierte kleinbürgerliche Schicht konnte von Hitler rekrutiert und gegen die Arbeiter*innenklasse mobilisiert werden. Außerdem war die herrschende Klasse weitaus mehr unter Druck durch die Systemkonkurrenz der stalinistischen Sowjetunion, und damit der realen Bedrohung durch eine Revolution. Heute sind solche Voraussetzungen für das Errichten eines faschistischen Regimes in den USA oder den übrigen industriell entwickelten Ländern (noch) nicht gegeben.

Natürlich sind faschistische Organisationen, Milizen und Bürgerwehren durch Trumps Sieg und Aktionen wie die Begnadigung der Möchtegern-Putschisten vom Januar 2021 absolut ermutigt. Sie sind aber trotz der großen Zahl überzeugter Trump-Wähler*innen und leicht verfügbarer Waffen nicht zum Massenphänomen geworden. Selbst Arbeiter*innenfeind Trump und seine Anhänger*innen wollen keinen Gegenaufstand provozieren, der den Kapitalismus am Ende bedrohen könnte, sondern bevorzugen (halb-)legale Mittel wie üble Tarifverträge, gewerkschaftsfeindliche Gesetze, Gerichtsurteile, Kriminalisierung von Protesten und härtere polizeiliche und gerichtliche Repressionen gegen Streiks, um gegen die Arbeiter*innenbewegung vorzugehen. Auch bei den Abschiebungen setzt Trump lieber auf den starken Staat,mit ICE, Heimatschutzministerium, dem US-Militär und der Polizei, anstatt auf bewaffnete Anhänger*innen und Pogrome, die auch die Gefahr von Selbstorganisation der Betroffenen und bewaffnetem Widerstand mit sich bringen würden.

Gefahr für die Weltwirtschaft, oder vor allem sich selbst?

Sollte er seine Vorhaben allerdings nicht schnell oder reibungslos genug umsetzen können, kann Trump auch einen deutlicher diktatorischen Kurs einschlagen, vor allem angesichts der knappen Mehrheit der Republikaner*innen im Repräsentantenhaus, die bei den Midterm-Wahlen 2026 verloren gehen könnte. Es ist auch möglich, dass Trump zu weit geht und eine Gegenreaktion von Teilen der herrschenden Klasse provoziert, die nicht mehr dabei zusehen wollen, wie er die Wirtschaft ruiniert und bewährte imperialistische Bündnisse zerstört.

Als Trump am 2. April den Zollhammer rausholte, waren nicht nur führende Ökonom*innen entsetzt und befürchteten schwere Folgen für die Weltwirtschaft, Arbeitsplätze und Rentenfonds. Ein Kommentator der Financial Times sprach von einer „Kriegshandlung gegen die ganze Welt“. Zusätzlich zu vorherigen Zöllen hatte er pauschal 10 Prozent Zölle auf alle aus anderen Ländern importierten Waren angekündigt und immer nochmal nachgelegt. Es folgte sofort ein Börsencrash mit Verlusten von 3,1 Billionen Dollar. In den folgenden Tagen kündigte die Regierung immer wieder Änderungen oder den Verzicht auf Zölle gegen einzelne Länder an,  was sie dann mitunter nach wenigen Stunden schon wieder zurücknahm. Ein Verwirrspiel, von dem Börsenspekulant*innen profitierten. 

Insofern die Zölle tatsächlich in Kraft treten, hat auch dieser Wahnsinn Methode, ob diese allerdings den gewünschten Effekt hat, ist unklar. Nachdem in den 1980er und 1990er Jahren US-Konzerne ihre Produktion in Länder mit niedrigere Löhne verlagert hatten, so dass  die USA heute einen Großteil ihrer Konsumgüter importieren, will Trump womöglich diese Fabriken zurück in die USA holen, um gegenüber China im Vorteil zu sein und nebenbei seinen Anhänger*innen zumindest ein Paar der versprochenen Industriearbeitsplätze zu liefern. Doch ob die Unternehmen bereit sind, Milliarden Dollar in den jahrelangen Bau entsprechend ausgestatteter Produktionsstätten zu investieren, in unsicheren Zeiten mit so einem Präsidenten, wo sich an der Börse doch schneller und relativ risikoärmer Gewinne machen lassen?

Zumindest hat Trump gezeigt, dass der Hammer im Oval Office hängt. Keine Rückzieher gibt es im Handelskrieg gegen China, dessen Regime auf Zölle von +145% (12. April) seinerseits mit Zöllen von +124 % reagierte. Damit wird der Handel massiv abnehmen und die Entkopplung der beiden größten Volkswirtschaften der Welt beschleunigt sich, die Gefahr einer direkten kriegerischen Auseinandersetzung steigt.

So irre das ist: Trump führt Bidens und auch Obamas Politik konsequent weiter, seit 2012 die „Hinwendung zu Asien“ (= Konfrontation mit dem Aufstieg Chinas) verkündet wurde. Trumps disruptive Handlungen sind nur die ersten Schritte einer klaren Politik, die einen entscheidenden Wandel in der Dynamik der Weltbeziehungen markiert.

Es könnte gut sein, dass dies nach hinten losgeht, und der Handel zwischen dem Rest der Welt auf Kosten der Vereinigten Staaten zunehmen wird. In den letzten sieben Jahre ist Chinas Handelsüberschuss auf einen Rekordwert von 992 Milliarden US-Dollar in 2024 gestiegen, seine Exporte in die USA betragen nur etwa 3 % des chinesischen BIP, und das chinesische Regime orientiert stark auf Handelspartner in Asien, Lateinamerika, Afrika und dem Nahen Osten. Den USA drohen eine höhere Verschuldung, eine Rezession und massiv steigende Inflation. Es ist die Arbeiter*innenklasse, die den Preis für Trumps Manöver zahlen wird, über Preissteigerungen, Knappheiten, Arbeitsplatzverluste. Und das nicht nur in den USA.

Widerstand gegen die autoritäre Wende

Was Trump umsetzen kann, hängt nicht zuletzt von der Stärke des Widerstands ab. Noch gibt es keine Massenproteste wie 2016, die damals einige von Trumps Vorhaben zurückdrängen konnten; Bewegungen wie #meToo oder BLM scheinen erstmal am Boden. Aber die Demonstrationen des 5. April, bei denen nach Schätzungen der NY Times 5,2 Millionen Menschen in über 1.200 US-Städten auf der Straße waren, sind ein großer Schritt nach vorne im Widerstand gegen Trump. Die als links wahrgenommenen Politiker*innen Sanders und AOC sind aus der Versenkung aufgetaucht und mobilisieren bei ihrer „Fighting Oligarchy“-Tour bei ihren Veranstaltungen Zehntausende Teilnehmer*innen, denen sie in ihren Reden leider außer Demokratenwählen bei den Mid Terms im November 2026 wenig Perspektive anzubieten haben. Doch jede*r Nachfolger*in Trumps, der vom Kapital eingesetzt würde, würde zumindest innenpolitisch einen großen Teil von Trumps reaktionärer Agenda fortsetzen. Eine dritte Partei, die für die arbeitende Bevölkerung eintritt, ist unbedingt notwendig für einen erfolgreichen Kampf gegen die Trumps der USA und dieser Welt.

Widerstand und der Aufbau kämpferischer Organisationen der arbeitenden Menschen und Jugend sind auch international nötig. Trump ist nicht nur eine Stärkung und Inspiration für offen rechtsextreme Kräfte wie die AfD, sondern verstärkt auch den Rechtsruck der „normalen“ bürgerlichen Regierungen. In den deutschen Medien werden wir täglich bis minütlich mit den neuesten Schreckensnachrichten aus dem Weißen Haus bombardiert – während sich die hiesige Politik nicht grundsätzlich von der Trumps unterscheidet: Abschiebungen nach Afghanistan, Forderungen nach Obergrenzen für Migration von 100 000 pro Jahr (Merz), und die Ausweisung von vier Studierenden aus EU (!)-Ländern und den USA, die bei Palästina-Solidaritätsaktionen dabei waren – ohne Gerichtsurteil; Strafverfahren gegen hunderte weitere. Der frühere Groko-Außenminister Gabriel schlug jüngst vor, Kanada in die EU aufzunehmen, „um es zu schützen“.

Es sind die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse, Konkurrenzmechanismen und Profitstreben, die zu dieser Situation geführt haben, in der politischer Wahnsinn zur Normalität wird. Deshalb ist der Kampf gegen Trump, Erdogan, Putin, Merz und all die anderen direkt mit dem Kampf gegen den Kapitalismus selbst verbunden. In vielen Ländern mit rechten Regimes wie Israel, Südkorea, Nigeria, Türkei haben ihre autoritären Angriffe zu Massenbewegungen geführt, wobei der Ausgang noch offen ist. Überall stehen wir vor derselben Aufgabe: Dieses irre und mörderische System abzuschaffen und durch eine sozialistische Gesellschaft zu ersetzen, in der endlich wirklich „vernünftige“ Politik möglich ist – im Sinne der Menschen und der Natur.