Krise, Militarisierung, Rechtsruck – was sollten die Gewerkschaften tun?

Die aktuelle Lage stellt den DGB und seine Einzelgewerkschaften vor große Herausforderungen. Die Führungen haben keine Antworten, weil sie in der alten Logik von Sozialpartnerschaft, zurückhaltenden Streikaktionen und kapitalistischem Sachzwang verharren. Was müssten die Gewerkschaften stattdessen tun?

Von Jan Hagel, Reinbek

Krise in der Industrie: Widerstand statt Co-Management

Auf die strukturelle Krise der deutschen Auto- und exportorientierten Industrie inklusive Drohungen von Massenentlassungen und Betriebsschließungen reagiert die IG Metall bisher völlig unzureichend.  Mit Absenkungs-Tarifverträgen und „sozialverträglichen ” Abbau von 35.000 Arbeitsplätzen bis 2030 wie bei VW oder der Forderung nach möglichst hohen Abfindungen wie bei Ford in Köln. Die Zukunft der Autoindustrie sieht sie im E-Auto, sie fordert eine Antriebswende. Doch selbst wenn die Autoindustrie in der Lage wäre, bei der E-Mobilität aufzuholen: Die Herstellung von E-Autos wird einen Großteil der Jobs nicht retten können, weil zur Herstellung weniger Arbeiter*innen gebraucht werden als für Verbrenner. Außerdem ist im Kampf gegen die Klimakatastrophe eine umfassende Verkehrswende unter demokratischer Beteiligung der Kolleg*innen nötig. Dafür wird das Wissen alle Kolleg*innen gebraucht. Der ÖPNV müsste massiv ausgebaut werden, es bräuchte Züge, Straßenbahnen und Busse. Diese könnten in den bisherigen Auto-Werken gebaut und die Jobs erhalten werden. Diese Umstellung widerspricht dem Profitinteresse der Kapitalbesitzenden. Damit eine gesellschaftlich sinnvolle Produktion, mit guten Jobs für alle möglich ist, müssen die Industriekonzerne in öffentliches Eigentum überführt werden unter demokratischer Kontrolle durch die Beschäftigten selbst.

Für die ganze Industrie gilt: wenn das Arbeitsaufkommen sinkt, muss die Arbeitszeit verkürzt werden, statt Kolleg*innen zu entlassen. Und das bei vollem Lohnausgleich – die Konzerne und ihre Aktionär*innen haben genug Geld, das über Jahrzehnte von den Arbeiter*innen erwirtschaftet wurde.

Tarifkämpfe und Organisierung: Trendwende erkämpfen

Seit 2020 gilt nur noch für knapp die Hälfte der Beschäftigten ein Tarifvertrag. Der Organisationsgrad in den DGB-Gewerkschaften ist auf 13,5% gesunken, vor der Wiedervereinigung war er mehr als doppelt so hoch. Viele Kolleg*innen sahen bei Abschlüssen im Bereich der Inflationsrate und weitgehendem Verzicht auf Streiks keinen Grund, in der Gewerkschaft zu bleiben. Durch die mittlerweile üblichen Laufzeiten von 2 Jahren und länger gibt es weniger Tarifrunden und damit weniger Anlässe, sich zu organisieren.

In den letzten Jahren hat sich die Lage etwas verbessert, im „Streikjahr“ 2023 hatte der DGB nach Jahrzehnten erstmals wieder ein leichtes Mitgliederplus. Besonders ver.di konnte die infolge der massiven Inflation hohe Streikbereitschaft nutzen und mit zunächst kämpferisch geführten Tarifrunden über 100.000 Kolleg*innen bei der Post und im öffentlichen Dienst neu organisieren. Obwohl schon damals das Potenzial nicht voll genutzt wurde, sind die meisten von ihnen in der Gewerkschaft geblieben. Durch schlechte Abschlüsse wie aktuell im ÖD oder bei der Bahn, wo die EVG komplett auf Streiks verzichtet hat, droht aber ein Rückfall in die Krise.

Wir brauchen Gewerkschaften, die sich mit dem Kapital anlegen. Das heißt: Sie müssen deutliche Reallohnerhöhungen fordern und um die Durchsetzung ernsthaft kämpfen. Immer längere Laufzeiten können sie nicht akzeptieren. Angriffe wie die „freiwillige“ Arbeitszeitverlängerung im TVÖD müssen klar benannt und abgewehrt werden.

Die Tarifkommissionen müssen endlich Schlichtungsvereinbarungen kündigen, mit denen Arbeitgeber Streikdynamiken abwürgen können. Urabstimmungen dürfen nicht zur leeren Drohung verkommen, indem man unmittelbar nach einer erfolgreichen Urabstimmung ohne Streik einen schwachen Abschluss annimmt. Tarifverhandlungen müssen für die Kolleg*innen an der Basis transparent sein und . Streikdelegiertenversammlungen sollten über Angebote beraten und beschließen.

Besonders bei ver.di haben manche Bezirke und Fachbereiche in diesen Fragen Fortschritte gemacht, anderswo herrscht weitgehend der alte Trott. Man setzt auf „Sozialpartnerschaft“, hofft auf freiwillige Zugeständnisse von Arbeitgebern und hält mitunter sogar Warnstreiks für von vornherein unmöglich, weil der Organisationsgrad zu niedrig sei. Wenn die Gewerkschaft aber in Tarifrunden nicht aktiv und für die Kolleg*innen an der Basis damit nicht „greifbar“ wird, bietet sie auch keinen Anlass einzutreten. Dabei ist die Organisierung der Unorganisierten in der aktuellen Lage eine zentrale Aufgabe der Gewerkschaften. Hauptamtliche Organizer*innen in Schlüsselbetrieben können dafür eine wichtige Rolle spielen, sie ersetzen aber keine demokratischen Basisstrukturen in Betrieben und konsequenten Arbeitskämpfe,in denen die Gewerkschaften in der Praxis ihren Wert für die Kolleg*innen unter Beweis stellen.

Klare Haltung gegen Aufrüstung

Seit Februar 2022 rüsten Regierung und Kapital massiv auf. Die Gesellschaft wird mit Propaganda für Militarisierung und „Kriegstüchtigkeit“ überschüttet. Zu diesem Zweck wurde die Schuldenbremse gelockert, Rüstungsausgaben – und nur die – dürfen fortan aus Schulden bezahlt werden.

Dazu kommen weitere 500 Milliarden Ausgaben für Infrastruktur. Ver.di hat dieses Sondervermögen gelobt und sich in der Tarifrunde im öffentlichen Dienst stark darauf bezogen. Die Arbeitgeber haben mit ihrer harten Linie aber klar gemacht, dass Ausgaben für die Daseinsvorsorge im „kriegstüchtigen“ Staat noch weniger Priorität haben als vorher, und dass das Geld nicht bei den Kolleg*innen im ÖD ankommen wird.

Auch wenn die Aufrüstung erst einmal mit Krediten finanziert wird, werden Arbeiter*innen früher oder später zahlen müssen, durch Steuern, Sozialabbau und Angriffe auf Arbeitszeit, Urlaub usw. Dennoch kommt vom DGB und seinen Einzelgewerkschaften keine Kritik an der Aufrüstung. Das ist ein fatales Signal. Wenn der DGB die Aufrüstung akzeptiert, akzeptiert er damit letztlich auch die Argumentation der öffentlichen Arbeitgeber, dass für Lohnerhöhungen kein Geld da sei. Wenn die IG Metall die Umstellung von Schließung bedrohter Betriebe auf Rüstungsproduktion unterstützt, vermittelt sie Kolleg*innen, dass Aufrüstung in ihrem Interesse wäre und Kriegswaffen „normale Produkte“.

Wenn aber eine kriegstüchtige BRD, EU oder NATO ihre Waffen in einigen Jahren tatsächlich anwenden will, wird es für Arbeiter*innen lebensgefährlich. Auch deshalb ist der Kampf gegen Aufrüstung eine Aufgabe der Gewerkschaften. Sie müssten klar machen, dass Krieg im Kapitalismus nur dem Kapital dient und Arbeiter*innen verschiedener Staaten kein Interesse daran haben, sich gegenseitig umzubringen.
Die Arbeiter*innenbewegung hat schon einmal einen brutalen Krieg zwischen imperialistischen Blöcken beendet: 1917/18 erzwangen Arbeiter*innen in Russland und Deutschland durch Aufstände und Massenstreiks den Frieden.

Kampf gegen die AfD – politisch handlungsfähig werden

Die deutschen Gewerkschaften wissen aus leidvoller Erfahrung, dass Faschismus zur gewaltsamen Zerschlagung der Arbeiter*innenbewegung führt. Die AfD will offiziell keinen faschistischen Staat errichten, ist aber klar gewerkschaftsfeindlich. Ihr ökonomisches Programm dient allein dem Kapital. Als Speerspitze der rassistischen, sexistischen und queerfeindlichen Hetze spielt sie Arbeiter*innen gegeneinander aus und spaltet Belegschaften.

Bei Großdemos gegen die AfD Anfang 2024 oder vor der Bundestagswahl 2025 spielten die Gewerkschaften keine entscheidende Rolle. Gewerkschaftsführer*innen konnten zwar auf den Kundgebungen reden, nutzten diese Gelegenheit aber nur teilweise, um gewerkschaftliche und linke Positionen zu vertreten, oft warnten sie – mitunter gemeinsam mit Unternehmervertreter*innen – , dass eine AfD an der Macht den “Wirtschaftsstandort Deutschland” gefährden würde.

Solche Reden verschleiern, wie die Herrschenden selbst den Rechtsruck vorantreiben und suggerieren, dass Gewerkschaften und Kapital auf der gleichen Seite stehen. Das machen sich AfDler*innen und andere Rechte bei ihren Kandidaturen für Betriebsratswahlen zunutze und inszenieren sich als vermeintlich konsequentere Interessenvertretung für Kolleg*innen.

Um die AfD wirksam bekämpfen zu können, brauchen die Gewerkschaften eine eigenständige Position im Interesse der Lohnabhängigen und müssen  die Zusammenhänge zwischen Rassismus, Ausbeutung und Kapitalismus aufzeigen.

Zentral ist aber auch konsequente und glaubwürdige Tarifpolitik. Wenn es Gewerkschaften gelingt, in kämpferischen Tarifrunden gute Abschlüsse durchzusetzen und dabei die Mitglieder aktiv in Entscheidungen einzubeziehen, bekommt „ihre Gewerkschaft“ auch mehr Autorität, die sie dann in politischen Auseinandersetzungen einsetzen kann und muss. So kann auch der überproportionale Anteil an AfD-Wählenden unter den organisierten Kolleg*innen gesenkt werden. Denn gemeinsame Streik-Erfahrungen mit Kolleg*innen aller Geschlechter, mit und ohne Migrationshintergrund und deutschen Pass, machen deutlich, dass wir gemeinsame Interessen haben und von Spaltungen nur unsere Bosse profitieren.