Trump erklärt Migrant*innen und Demonstrant*innen den Krieg: Nationalgarde mit der Macht der Arbeiter*innenklasse bekämpfen!

Am Nachmittag des 6. Juni strömten Dutzende voll bewaffnete Bundesbeamte aus unmarkierten SUVs in den Fashion District von Los Angeles. Sie drangen schnell in den Bekleidungsgroßmarkt Ambiance Apparel ein und sperrten die Straße mit gelbem Absperrband ab.

Von Jesada Jitpraphakhan, Socialist Alternative USA 

Vor dem Gebäude versammelte sich eine Menschenmenge von etwa hundert Personen, während die Beamten ohne Durchsuchungsbefehl Dutzende von Migrant*innen in weiße Transporter zerrten und davon fuhren. Ähnliche Szenen spielten sich in einer weiteren Filiale von Ambiance, in zwei Home-Depot-Filialen, einem Donut-Laden und Tagelöhnerzentren in ganz Los Angeles ab. Quellen berichten von 44 bis 200 festgenommenen Arbeiter*innen.

Diese gut koordinierten und militärisch anmutende Razzien in Betrieben in der ganzen Stadt markieren eine neue Phase von Trumps Kampagne gegen Migrant*innen. Weitere Razzien im ganzen Land stehen bevor – aber ein gut organisierter Massenwiderstand der Arbeiter*innenklasse kann sie stoppen.

Bei einer Razzia am Freitag wurde David Huerta, der kalifornische Präsident der Gewerkschaft SEIU-USWW – unter deren 45.000 Mitgliedern vielen Migrant*innen sind – von Bundesbeamten verletzt und festgenommen. Huerta wurde aus dem Krankenhaus entlassen, blieb aber in Gewahrsam. Am Abend versammelten sich etwa 500 Protestierende vor einem Bundesgefängnis in der Innenstadt. Als eine kleine Gruppe von Demonstrant*innen versuchte, das Gebäude zu betreten, wurden sie mit Tränengas und Blendgranaten angegriffen, wodurch sich die Menge schnell auflöste. Später wurde eine Auflösungsanordnung erteilt und Verhaftungen vorgenommen.

Am nächsten Tag versammelten sich mehrere hundert Menschen in den Straßen von Paramount, 15 Meilen südlich, wo Berichten zufolge Beamte eine Razzia in einem Home Depot vorbereiteten. Auch diese Demonstration gipfelte in einer Konfrontation mit den Strafverfolgungsbehörden.

Am Samstagabend befahl Trump, die aufkeimende Bewegung zu zerschlagen, und entsandte ohne die Genehmigung des Gouverneurs von Kalifornien 2.000 Soldat*innen der Nationalgarde nach Los Angeles. Solch ein Vorgang fand zuletzt 1965 statt. Trump beruft sich dabei auf Titel 10 des U.S. Code § 12406, der die Mobilisierung der Nationalgarde bei „Aufständen oder der Gefahr von Aufständen gegen die Autorität der Vereinigten Staaten“ erlaubt. Später am Abend bestätigte Verteidigungsminister Pete Hegseth auf X, dass das Pentagon bereit sei, aktive Marines nach Los Angeles zu mobilisieren.

Trump hatte schon früher deutlich gemacht, dass seiner Meinung nach damals nicht genug getan wurde, um die “Justice for George Floyd”-Bewegung in Minneapolis im Jahr 2020 zu unterdrücken, und sagte: „Das nächste Mal werde ich nicht warten.“

Die Aktivierung der Nationalgarde, um Demonstrant*innen niederzuschlagen, ist eine massive Eskalation durch Trumps zunehmend autoritäres Regime – sie muss dringend mit einer ebenso starken Reaktion der Arbeiter*innenklasse beantwortet werden.

„Operation At Large“

Trump hat im Wahlkampf mit der größten Massenabschiebungsaktion der Geschichte geworben und öffentlich das Ziel ausgegeben, alle 11 Millionen undokumentierten Migrant*innen abzuschieben. Trotz beispiellos drakonischer Maßnahmen wie dem Versuch, studentische Demonstrant*innen verschwinden zu lassen, der Green Cards und Hunderte von Studierendenvisa zu entziehen sowie Einwohner*innen mit legalem Status in das Höllenlager CECOT in El Salvador abzuschieben, ist Trump von seinem Ziel noch weit entfernt und liegt sogar hinter Bidens Abschiebezahlen vom letzten Jahr zurück.

Wenn das so weitergeht, könnte das Trump in Verlegenheit bringen und ist aus seiner Sicht eine verpasste Chance, seine Basis weiter zu festigen. Frustriert hatte der rechtsextreme Handlanger und stellvertretende Stabschef des Weißen Hauses Stephen Miller letzten Monat mit ICE-Beamt*innen geschimpft, weil sie die Ziele nicht erreicht hatten, undeine Verdreifachung der täglichen Verhaftungen auf 3.000 gefordert. Eine zentrale Herausforderung für Trump besteht darin, dass der Umfang seines Plans die Kapazitäten der bestehenden Abschiebungsmaschinerie übersteigt.

Operation At Large“, eine Initiative, die ICE auf Hochtouren bringt, ist ein aggressiver Schritt, um dies zu überwinden. Der Plan sieht vor, 3.000 ICE-Beamt*innen, 2.000 FBI-Agent*innen, 21.000 Nationalgardist*innen, 500 Zoll- und Grenzschutzbeamt*innen, 250 IRS-Beamt*innen und weitere Kräfte für die Verhaftung von Migrant*innen ohne Papiere einzusetzen. Dies bedeutet ein Abziehen von Tausenden von Mitarbeitenden aus anderen Bereichen hin zu den Razzien gegen Migrant*innen, Trumps oberster Priorität im Bereich der Strafverfolgung. Trumps „Big Beautiful Bill“ sieht 185 Milliarden Dollar für den Kampf gegen Migrant*innen vor, darunter Haftanstalten, ICE-Agent*innen und Grenzkontrollen.

Razzien am Arbeitsplatz werden zunehmend in den Mittelpunkt rücken – sowohl, um eine große Zahl von Verhaftungen zu erreichen, als auch, um Angst unter Migrant*innen zu schüren. ICE nimmt Verhaftungen mit allen Mitteln vor, wobei sie zunehmend „kreative” Taktiken anwendet und dazu ermutigt werden, „die Grenzen auszureizen”, indem sie „Kollateralverhaftungen“ ohne Haftbefehl vornehmen. Die Flucht vor einer Razzia am Arbeitsplatz kann als hinreichender Grund für eine Verhaftung angesehen werden. In den letzten Wochen sind ICE-Überwachungen bei Gerichtsverhandlungen und Meldungen an die Behörden auf der Tagesordnung, und auch Kinder werden nicht verschont. Es ist kein Zufall, dass die neue Fassung von Trumps Einreiseverbot für Migrant*innen aus zwölf Ländern zeitgleich mit diesen Razzien in Kraft tritt.

Warum eskaliert Trump gerade jetzt?

Der Kosmos, den Trump in den ersten Monaten seiner Amtszeit geschaffen hat, ist, gelinde gesagt, instabil, und seine Zustimmungswerte schwanken stark. Die große Unsicherheit bzgl. der wirtschaftlichen Lage, die Gefahr einer Rezession und die Inflation wurden durch Trumps Wirtschaftspolitik verschärft und hat ihn einen Teil seiner Unterstützung gekostet. Trumps Netto-Zustimmungsrate in Bezug auf Arbeits- und Wirtschaftspolitik liegt bei -8 % und in Bezug auf die Inflation bei -16%. Unterdessen stieg die Netto-Zustimmungsrate für Trumps Umgang mit Einwanderung um +7%. Hier zeigt sich der Nutzen der „Teile und Herrsche“-Taktik für die Regierung an der Frage von Rassismus.

Gleichzeitig hat sich der Bruch zwischen Trump und Musk in den sozialen Medien auf spektakuläre Weise vollzogen, was auf einen empfindlichen Bruch in der MAGA-Koalition hindeutet. Trumps Versprechen, den Krieg in der Ukraine sofort zu beenden, ist komplett gescheitert, und es wird immer wahrscheinlicher, dass Trump sich aus den Friedensverhandlungen zurückzieht, ohne etwas erreicht zu haben.

Um das Vertrauen seiner Basis inmitten dieser Entwicklungen zu stärken, hält es Trump zweifellos für entscheidend, eine seiner wichtigsten Wahlversprechen voranzutreiben: Massenabschiebungen. Wenn er dadurch seine Anhänger*innenschaft konsolidiert, kann er von anderen Widrigkeiten ablenken und so seine Zustimmungswerte bei künftigen wirtschaftlichen Katastrophen halten und zugleich die nationalistische Propaganda stärken, die dabei hilft, die kapitalistische Politik des „Teile und herrsche“ durchzusetzen.

Die Verschärfung der Maßnahmen kommt auch zu einem Zeitpunkt, an dem deutlich wird, dass sich der Widerstand gegen Trump sich noch nicht entscheidend gefestigt hat. Im April gingen Millionen Menschen gegen Trump auf die Straße, aber der Höhepunkt der Proteste im Frühjahr konnte nicht in eine dauerhafte Dynamik und eine Organisation der Arbeiter*innenklasse münden, was Trump sicherlich noch bestärkt hat.

Es ist klar, dass die Verschärfung der Abschiebungen den Widerstand – möglicherweise sogar Massenwiderstand – der Arbeiter*innenklasse anheizen wird. Zwar findet Trumps Einwanderungspolitik derzeit in einigen Umfragen die Unterstützung einer Mehrheit der erwachsenen US-Bevölkerung, doch handelt es sich dabei um eine knappe und schwankende Mehrheit (im April gaben 52 % an, dass sie Trumps Abschiebungen für zu weitgehend hielten).

Trump weiß das, deshalb reagiert er mit Gewalt und unverhältnismäßigen Maßnahmen, um alle Proteste im Keim zu ersticken, bevor sie für die herrschende Klasse außer Kontrolle geraten. Eines ist sicher: Trump wird nicht nachgeben. Aber er spielt mit dem Feuer. Der demokratische Gouverneur von Kalifornien, Gavin Newsom, hat Trump am Sonntag in einem Brief „gebeten”, die Nationalgarde aus dem Bundesstaat abzuziehen.

Um es klar zu sagen: Newsom will nicht, dass die Truppen abgezogen werden, weil er um die Sicherheit der Demonstrant*innen besorgt ist – seine eigene lokale und staatliche Polizei hat die Menschenmengen nur allzu gerne mit Tränengas und Blendgranaten überschüttet und sogar Menschen ins Krankenhaus gebracht. Die Demokratische Partei hat sich bisher im Kampf gegen Trump als völlig nutzlos erwiesen, und bei der „Operation At Large“ wird es nicht anders sein. Obama hat mehr Migrant*innen abgeschoben als jeder andere Präsident in der Geschichte, einschließlich Trump in seiner ersten Amtszeit. Die Demokraten insgesamt fahren im Rahmen des Rechtsrucks der herrschenden Klasse in der neuen Ära immer rassistischere Politik.

Wie geht es weiter?

In Los Angeles sind nach den Razzien mehrere Tausend Menschen auf die Straße gegangen, um zu protestieren. Die Mitglieder von Socialist Alternative in LA kämpfen stolz Seite an Seite mit ihren Nachbar*innen und Kolleg*innen.

Die Proteste an diesem Wochenende waren ein wichtiger Anfang, aber es wird noch mehr nötig sein, um die Angriffe zurückzuschlagen. Am Sonntag, dem 8. Juni, versammelte sich eine Menschenmenge von Tausenden (darunter auch Kinder) vor dem Internierungslager – viel mehr als an den Tagen zuvor. Dennoch reagierten die Sicherheitskräfte schnell und aggressiv und trieben die Demonstrant*innen nach Norden, wo viele die Autobahn 101 blockierten. Mit spontanen Straßenprotesten lässt sich nur begrenzt etwas erreichen, insbesondere wenn man Tausenden von schwer bewaffneten, schießwütigen Soldat*innen und Polizist*innen gegenübersteht. Die Bewegung muss dringend zu Taktiken des Klassenkampfs übergehen, die mehr Durchschlagskraft entwickeln können.

Eine kleine Gruppe von Demonstrant*innen hat sich besonders konfrontativ gegenüber den Sicherheitskräften verhalten, die daraufhin mit bewaffneter Gewalt reagierten. Die Verzweiflung, sofort etwas bewirken zu wollen, ist verständlich, aber ohne eine breite Masse und eine organisierte Strategie und Planung können solche Taktiken die Proteste vorzeitig schwächen und den weiteren Aufbau der Bewegung untergraben. Außerdem spielen sie Trump in die Hände: Bilder von brennenden Autos ermöglichen es ihm beispielsweise, die Proteste als „Aufstände” zu verurteilen. Andererseits kann eine entschlossene Menschenmenge manchmal konfrontative Taktiken anwenden und gleichzeitig die gesamte Protestbewegung inspirieren.Als einige hundert Demonstrant*innen die Autobahn blockierten jubelten und Hunderte weitere ihnen von oben zu .

Während wir die Proteste auf den Straßen weiter ausbauen, müssen wir diese Dynamik auch dorthin tragen, wo Trump den größten Schaden anrichten will: in die Betriebe. Gewerkschaften sind am besten in der Lage, sich gegen Razzien am Arbeitsplatz zu wehren, da sie über eine bereits bestehende Organisationsstruktur verfügen. Aber unabhängig davon, ob ein Betrieb gewerkschaftlich organisiert ist oder nicht, müssen die Beschäftigten an jedem Arbeitsplatz dringend Komitees zur Verteidigung gegen Abschiebungen gründen, um Pläne für den Fall einer ICE-Razzia zu diskutieren und auszuarbeiten. In nicht gewerkschaftlich organisierten Betrieben kann dies sogar als Startpunkt für eine dauerhafte Organisation der Beschäftigten dienen. Die Bedeutung der Verteidigung von Migrant*innen unter den Beschäftigten mag nicht jedem klar sein, aber es muss unbedingt erklärt werden, dass jede Spaltung unsere Einheit gegen die Bosse schwächt und die Wahrscheinlichkeit künftiger Angriffe auf alle Beschäftigten erhöht.

Einmal gebildet, können sich Komitees zur Verteidigung gegen Abschiebungen an verschiedenen Arbeitsstätten, in verschiedenen Unternehmen und Branchen zusammenschließen, um Streikmaßnahmen zu diskutieren. Im April traten 50.000 städtische Beschäftigte der SEIU von David Huerta im Rahmen eines Tarifkonflikts in einen eintägigen Streik. Die SEIU sollte erneut aktiv werden, diesmal in allen Betrieben im Bezirk Los Angeles, um die Einstellung der „Operation At Large“, die Beendigung der Abschiebungen, die Freilassung von Huerta und allen festgenommenen Demonstrant*innen sowie den Abzug der Nationalgarde zu fordern. Die SEIU rief landesweit zu Aktionen am Montag, dem 9. Juni, auf, um die Freilassung von Huerta und ein Ende der ICE-Razzien zu fordern. 50501 Ortsverbände in vielen Städten rufen zu Notfallprotesten in den nächsten 48 Stunden auf. 50501 hat außerdem einen nationalen Aktionstag für den 14. Juni ausgerufen, der, wenn er ausdrücklich zu Protesten gegen Abschiebungen mit klaren Forderungen und einer Kampfstrategie wird, das Potenzial hat, zu einer Massenveranstaltung mit Millionen von Menschen zu werden, die sich mit der Arbeiter*innenbewegung verbinden könnte mit Streiks und Arbeitsniederlegungen.

Im Jahr 2006 organisierten Migrant*innen als Reaktion auf einen Gesetzentwurf der Republikaner, der undokumentierte Migrant*innen in den USA sofort als Straftäter*innen eingestuft hätte, einen Massenstreik zusammen mit einem Boykott und Protesten in 150 Städten im ganzen Land. An diesem Tag, der als „Tag ohne Migrant*innen” bekannt wurde, gingen Millionen von arbeitenden Menschen – sowohl Migrant*innen als auch US-Bürger*innen – auf die Straße, anstatt zur Arbeit zu gehen, und konnten so die Verabschiedung des Gesetzentwurfs erfolgreich verhindern. Die Stärke der Bewegung und die Erfahrung des kollektiven Kampfes haben auch die allgemeine Stimmung gegen Migrant*innen in der Gesellschaft zurückgedrängt. Das ist die Art von Aktion, die wir heute brauchen, und wir brauchen eine Führung der Bewegung, die dafür kämpft, sie zu organisieren.

Socialist Alternative sagt:

  • Beendet die „Operation At Large“ und stoppt alle Abschiebungen! ICE raus aus unseren Straßen und unseren Betrieben!
  • Freiheit für alle derzeit inhaftierten Migrant*innen! Freiheit für David Huerta, den Präsidenten der SEIU-USWW California, und alle festgenommenen Demonstrant*innen!
  • Schmeißt die Nationalgarde raus aus dem Bezirk Los Angeles! Verteidigt das Recht auf Protest ohne Repression überall. Streicht die Mittel für das Militär und die Grenzsicherung. Verwendung der eingesparten Hunderte von Milliarden Dollar für eine kostenlose Gesundheitsversorgung für alle, öffentliche Bildung und den massiven Ausbau von bezahlbarem Wohnraum.
  • Die Demokraten und die Gerichte werden uns nicht retten – wir brauchen eine neue Partei der Arbeiter*innenklasse, die Trump bekämpft und eine echte linke Alternative bietet.
  • Ein Angriff auf einen ist ein Angriff auf uns alle! Lehnt Trumps kapitalistische „Teile und herrsche“-Strategie ab und kämpft für eine sozialistische Welt auf der Grundlage von Solidarität und Frieden!

Hier könnt ihr den Artikel im englischen Original lesen: https://internationalsocialist.net/en/2025/06/united-states