Wahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen: Linke taumelt, AfD triumphiert, BSW setzt sich fest

Der Rassismus ist die zentrale Komponente des Stoffes, der den Durchmarsch der AfD in den östlichen Bundesländern ermöglicht. Er ist nicht allein von der AfD angerührt worden, alle etablierten Parteien und Medien haben dabei geholfen, eine feindliche Stimmung gegen Migrant*innen im Allgemeinen und Geflüchtete im Besondern zu schüren. 

Von Claus Ludwig, Köln

Vom Rassismus allein könnte die AfD jedoch nicht leben. Erst in der Kombination mit der Frustration über soziale Ungerechtigkeit und die Folgen von 35 Jahren West-Kapitalismus in den ostdeutschen Bundesländern, der Ablehnung des NATO-Kurses und des Versagens der Linken wurde daraus dieses erfolgreiche Gebräu.

Die AfD ist laut Nachwahlbefragungen am stärksten bei männlichen Arbeitern mittleren Alters in kleinen Städten und auf dem Land. Es ist international kein neues Phänomen, dass in verstärktem Maß Arbeiter*innen mit durchschnittlicher oder geringer Qualifikation die extreme Rechte wählen, weil sie sich Sorgen um die Sicherheit von Jobs, Lebensstandards und sozialen Diensten wie Bildung und Gesundheitsversorgung  machen. Sie wählen gegen ihre eigenen Interessen, denn die AfD verteidigt weder Arbeitsplätze in der Industrie noch bezahlbare Wohnungen oder Sozialleistungen. Sie vertritt ein Programm massiver Angriffe auf die Rechte und Einkommen von Beschäftigten und sozialen Standards.

Diese politische Verwirrung basiert auf der durchaus berechtigten Ablehnung der zynischen, nur den Reichen dienenden Politik der etablierten Parteien von der CDU über die SPD bis zu den Grünen und der gleichzeitigen politischen Schwäche der organisierten Arbeiter*innenbewegung. Diese Entwicklung ist auch in den USA, Frankreich und Italien zu beobachten. In sämtlichen entwickelten kapitalistischen Ländern sind die rechtspopulistischen Kräfte im Aufschwung. Die Etablierten können ihnen nur wenig entgegensetzen. Begrenzt werden sie nur durch eine kämpferische Linke.

Woidkes Scheinsieg

Alle etablierten Parteien stecken in einer tiefen Krise. Die Erfolge der CDU in Sachsen und der SPD in Brandenburg bedeuten keine Unterstützung für deren Programm. Sie basieren darauf, dass viele Wählende sich für die Partei entscheiden, die gerade am besten positioniert ist, um zu verhindern, dass die AfD stärkste Partei wird. SPD und Union sind dabei als “kleineres Übel” austauschbar. Als Nebenwirkung dieser “Hauptsache-nicht-AfD”-Haltung erleiden die jeweils schlechter positionierten bürgerlichen Parteien historische Niederlagen, so die CDU in Brandenburg und die SPD in Sachsen und Thüringen. Die Grünen sind in Brandenburg auch pulverisiert worden, weil SPD-Ministerpräsident Woidke erfolgreich auf die Kampagne “ich oder die AfD” setzte. Die FDP im Osten ist nicht mehr der Rede wert. Durch die Kannibalisierung der potenziellen Verbündeten schwinden die Optionen für Koalitionen. In allen drei Bundesländern können keine Mehrheiten ohne BSW oder AfD gebildet werden. 

Der “Sieg” der SPD ist schon demografisch auf Sand gebaut. Sie wird stärkste Kraft, weil sie in den Altersgruppen Ü60 gut abschneidet. Die AfD liegt bei den jungen Wähler*innen und in den mittleren Altersgruppen deutlich vorn. Auch die CDU in Sachsen verdankt ihren Erfolg den Älteren.

Sahra übernimmt

Die BSW beerbt die Partei Die Linke im Osten flächendeckend als die Partei derjenigen, die eine kämpferische Attitüde gegen die Establishment-Parteien, eine Betonung von Ost-Interessen und eine kritische Haltung gegenüber dem NATO-Imperialismus ausdrücken wollen und die gleichzeitig eine feindliche Haltung gegen Geflüchtete einnehmen, ohne die AfD zu wählen. Laut Infratest dimap waren die Themen “Ukraine und Russland” sowie “Zuwanderung” mit 29 bzw. 21% die entscheidenden Themen für BSW-Wähler*innen.

Möglicherweise unbemerkt von Brandenburgs Wählenden, aber zeitlich passend hat die Partei Die Linke im EU-Parlament ein neues Tief erreicht. Die Abgeordnete Carola Rackete stimmte für eine Resolution, die weitreichende Waffen für die Ukraine fordert, Martin Schirdewan enthielt sich. Einzig MdEP Özlem Demirel nahm eine antimilitaristische Position ein und stimmte dagegen.

In der Fläche liegt die Partei Die Linke im Wachkoma. Bei allen Landtagswahlen wurde sie auf eine Partei reduziert, die in erster Linie von jungen Menschen in Großstädten gewählt wird, studentisch oder im öffentlichen Dienst beschäftigt, deutlich mehr von Frauen, und somit von den Schichten, aus denen sich auch die Aktiven der Partei rekrutieren. Die Unterstützung bei breiteren Schichten der arbeitenden Klasse ist verschwunden. Im Osten läuft dieser Prozess wegen der Stärke des BSW schneller und tiefer, aber er findet genauso im Westen statt.

Fisch oder Fleisch

Ob Die Linke noch einmal erwacht, hängt nicht davon ab, ob die designierten Vorsitzenden Schwerdtner und von Aken einen guten Eindruck machen, ob man mehr Tür-zu-Tür-Gespräche führt oder den “sozialen Markenkern” besser verkauft. Es ist eine klare politische Frage: positioniert sich Die Linke als antikapitalistische Kraft, die sich dem Establishment und dem deutschen Militarismus entgegenstellt oder watet sie weiter durch den überfüllten Sumpf irgendwo zwischen SPD, Grünen und BSW, hilflos nach Werkzeugen wühlend, um den Kapitalismus zu reparieren?

Niemand braucht eine weitere sowohl-als-auch-Partei. Doch eine sozialistische, klassenkämpferische Kraft wird dringend benötigt, angesichts der Krise der Industrie, der kommenden Angriffe auf soziale Errungenschaften und der militaristischen “Zeitenwende”. Ein entsprechender Kurswechsel würde die Hängepartie nicht schlagartig beenden, dafür hat die Partei zu sehr das Verlierer-Image und bewegt sich für viele Arbeiter*innen bei den Wahlen inzwischen unter dem Radar. Ein Wiedereinzug in den nächsten Bundestag wäre auch mit der besten sozialistischen Politik nicht sicher. Doch damit würde die Partei die Voraussetzungen schaffen, um zukünftig in die Offensive gehen zu können.

Ein Hinweis auf die Sehnsucht nach einer linken Kraft sind die anhaltenden Eintritte junger Menschen in die Partei. Sie haben erkannt, dass es für den Kampf gegen den Rechtsruck eine Partei braucht, die sich klar dagegen stellt, anstatt sich wie SPD und Grüne anzupassen. Diejenigen, die aktiv werden wollen finden oft eine wenig kämpferische, versteinerte und bürokratisierte Partei vor und belassen es bei der passiven Mitgliedschaft.

Die Kriegs-Frage ist nicht alles, aber ohne sie ist alles nichts. Wenn die Partei sich nicht klar gegen den aggressiven Kurs der NATO positioniert – ohne das reaktionäre Putin-Regime zu unterstützen – und sich nicht eindeutig auf die Seite der palästinensischen Proteste gegen Israels genozidalen Krieg in Gaza stellt, wird sie keine Wende schaffen und gefährdet ihre noch vorhandene Basis ist den Großstädten.

Schon jetzt sympathisieren viele Menschen mit türkischer oder arabischer Migrationsgeschichte mit dem BSW. Die Truppe von Sahra Wagenknecht hat nicht einmal eine ausgearbeitete Position zum Gaza-Krieg, aber sie kritisiert Israel und hat wenigstens keine Völkermord-Relativierer*innen in ihren Reihen wie die Partei Die Linke.

Ihre Krise, unsere Alternative

Nicht nur die Ampel, sondern alle Parteien der “politischen Mitte” stecken in der Krise. Auch, weil ihr “Betriebssystem”, die bürgerlich-kapitalistische Demokratie, in der Krise ist. Die Wirtschaft schwächelt und zeigt mit VW die ersten Vorzeichen eines harten Aufpralls. Die vormals scheinbar stabile, neoliberal-globalisierte Weltordnung bricht krachend in Kriegen und wachsenden Spannungen zwischen zwei imperialistischen Machtblöcken – der “Westen” gegen China/Russland – zusammen. Und auch die Klimakatastrophe wird unter diesen Umständen nicht zu stoppen sein. 

Die Sorge um die Zukunft und um unsere demokratischen Errungenschaften, ob Asylrecht, Arbeitsrechte oder Frauenrechte, sind berechtigt. SPD, CDU, Grüne oder FDP sind in diesem Kampf keine Verbündete. Die Krise ist systembedingt, und für eine Änderung des Systems sind diese Parteien nicht zu haben. Weder eine Bewegung gegen Rechts noch Die Linke dürfen sich an diese Parteien klammern, die mit ihrem System im Abwärtsstrudel stecken. Sie müssen sich dagegen stellen und für eine andere Perspektive einstehen: Für eine grundlegend andere Gesellschaft, die nicht auf Profit und Machtkonkurrenz aufgebaut ist, sondern auf der Kooperation der arbeitenden Menschen, die solidarisch und demokratisch geplant klimafreundlich produzieren, friedlich verwalten und nachhaltig reparieren, was der Kapitalismus vorher kaputt gemacht hat.