Gegenmacht im Gegenwind – Konferenz riesig, Fortschritte begrenzt

Über 3000 Teilnehmende, rund 80 Workshops, Foren und Veranstaltungen: die 6. Konferenz “Gewerkschaftliche Erneuerung” der Rosa-Luxemburg-Stiftung vom 2.-4. Mai 2025 in Berlin war die größte linksgewerkschaftliche Konferenz der letzten Jahrzehnte. Schon 2023 hatte sich die Teilnehmendenzahl der fünften Streikkonferenz in Bochum verdoppelt. Diesmal musste die Anmeldung vorab geschlossen werden, da die zu erwartende hohe Teilnehmendenzahl die Räumlichkeiten aus allen Nähten platzen lassen würde.

Von Marc Treude, Aachen

Es war beeindruckend, die vielen, zum Teil sehr jungen, gewerkschaftlich Aktiven zu treffen und zu spüren, wie viel Druck im Kessel ist. Aus unterschiedlichen Sparten und Branchen kamen diese Menschen zusammen, um sich zu vernetzen und voneinander zu lernen. In den großen Plena im Audimax der TU Berlin gab es Standing Ovations für Belegschaften im Kampf, u.a. für den bewegenden Auftritt der Kolleg*innen von der Charité Facility Management (CFM), deren aktueller Streik für die Anwendung des TVöD  und gegen Lohndumping begeistert gefeiert wurde. Der Applaus und die auf der Konferenz gesammelten Spenden geben hoffentlich den Streikenden viel Kraft.

Zum Abschluss der Konferenz riefen Kolleg*innen aus den Gewerkschaftsjugenden von der Bühne des Audimaxes zum Kampf gegen Aufrüstung und Wehrdienst auf. “Sollen doch Merz und Pistorius selbst an die Front!”, so ein Jugend- und Auszubildendenvertreter von Bosch.

Viele Teilnehmende werden begeistert nach Hause gefahren sein. So viele Menschen, die in die gleiche Richtung denken und solidarisch sind, das macht Mut, vor Ort was zu organisieren. In dieser Hinsicht war die Konferenz ein großer Erfolg und wird dazu beitragen, Kämpfe zu entwickeln. Gleichzeitig schwächelte sie inhaltlich.

Nicht zu viel Kritik

Es gab zwar kritische Worte zum Einstieg in die 42-Stunden-Woche im vorliegenden Entwurf des Tarifvertrages im öffentlichen Dienst (TVöD) und zu den Zugeständnissen beim Tarifabschluss im VW-Konzern mit der de facto Zustimmung zum Abbau von 35.000 Stellen, doch es wurde auf den großen Podien keine grundsätzliche Kritik am Vorgehen der Gewerkschaftsführung entwickelt.

Das ist ein grundlegendes Problem des Konferenzformats: Vieles wird angerissen, es herrscht eine kämpferische Stimmung, aber es gibt zu wenig konkrete Ergebnisse, keine Verabredung, keine Stoßrichtung für die gewerkschaftliche Linke.

Die Konferenz wird von der Rosa-Luxemburg-Stiftung und Gewerkschaftsgliederungen aus der Region Berlin organisiert. Es scheint die Angst zu geben, Bündnispartner*innen zu verlieren, wenn Apparat und Führungen der Gewerkschaften zu deutlich kritisiert werden. Viele der Veranstaltungen waren so gestaltet, dass deren Ergebnisse auch bei den Vorständen von ver.di oder IGM begrüßt werden.

Praxis-Workshops nahmen sehr viel Raum ein: Wie spreche ich Kolleg*innen an? Wie male ich Transparente? Solche Skills sind notwendig, aber die inhaltliche Debatte kam zu kurz. Die Veranstaltungen zur Bilanz verschiedener Kämpfe und Tarifrunden sowie zur Vernetzung waren oft hilfreich für Teilnehmende, eine Strategiedebatte wurde jedoch vermieden.

Es wurde viel über Organizing – neue methodische Ansätze im Aufbau betrieblicher Strukturen – gesprochen. In mehreren Workshops stellten Organizer*innen ihre Erfolge vor und tatsächlich waren diese Methoden wichtig, z.B. bei den Streiks für die Entlastungstarifverträge in den Kliniken in Berlin und NRW. Doch noch so gutes Organizing gerät an Grenzen, wenn die Gewerkschaftsführung Kämpfe abbricht oder gar nicht erst führt, wenn sie ohne Mobilisierung Tarifabschlüsse unterschreibt, die zu Reallohnverlusten führen.

Die Organizer*innen sind überwiegend in privaten Firmen outgesourct, die von den Gewerkschaften für ihre Dienstleistung bezahlt werden. Das schränkt ihre Möglichkeiten zur Kritik ein. Sie bewegen sich außerhalb der demokratisch gewählten Strukturen, müssten sich mit ihren Auftraggeber*innen auseinandersetzen. Wer mich bezahlt, den kann ich nur schwer kritisieren.

Zudem stößt das auf die grundlegenden Klasseninteressen fokussierte Organizing an Grenzen, wenn es darum geht, zu den auch in den Betrieben geführten Debatten um Aufrüstung und Rechtsruck beizutragen.

Signal zum Widerstand

Die SAV war mit 25 Mitgliedern aus acht Städten präsent. Ebenso wie andere Aktive der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) griffen wir mit weitergehenden Beiträgen in die Debatten ein. Beim Branchentreffen der IG Metall kritisierte ein Mitglied der SAV den Abschluss bei VW scharf und erklärte, dies sei eine Einladung an die Bosse aller Konzerne gewesen, die Beschäftigten auf breiter Front anzugreifen. Dafür gab es Zustimmung von Kolleg*innen.

Bei der Debatte über die Krise der Autoindustrie verlor sich das Podium in Einzelheiten und zeigte keine Alternativen auf. Redner*innen von SAV, VKG und kritische Kolleg*innen aus der Autoindustrie sprachen die Notwendigkeit eines Strategiewechsels der IGM an, basierend auf der Notwendigkeit von Enteignung, demokratischer Planung durch die Beschäftigten, Umbau hin zum öffentlichen Verkehr und Arbeitszeitverkürzungen bei vollem Lohn.

Die VKG lädt Interessierte zu einem bundesweiten Online-Treffen am 16. Mai um 18:00 ein. Dazu schreibt sie: „Von dieser Konferenz muss das Signal zum Aufbau einer Widerstandsbewegung ausgehen, sonst wird es keine Gegenmacht geben!“

Auch bei Debatten um Aufrüstung, Militarisierung und Krieg beteiligten sich Mitglieder der  SAV und betonten, dass der Kampf gegen die Aufrüstung mit der Forderung nach  umfassenden Investitionen in die Bereiche öffentlicher Verkehr, Bildung, Wohnen sowie Gesundheit und Pflege verbunden werden muss. Die von ROSA und der SAV in Hamburg initiierte Demonstration zum Tag der Pflegenden kam als positives Beispiel gut an.

Bewegung gegen Merz

Im Workshop über “die Aufgaben der Gewerkschaften unter der neuen Bundesregierung” erklärte die ehemalige Linke-Vorsitzende Janine Wissler, dass die Linke nicht nur über begrenzte Reformforderungen wie 1% Vermögenssteuer reden solle, sondern grundsätzlich die Eigentumsverhältnisse in Frage stellen muss. Die eher sozialdemokratischen Vertreter*innen von IG Metall und GEW neben ihr auf dem Podium suchten jedoch nach positiven Aspekten im Koalitionsvertrag, warnten vor zu starker Kritik an der SPD, hofften auf sinnvolle Investitionen aus dem 500-Milliarden-Sondervermögen und sehen die Aufgabe der Gewerkschaften in Verteidigungskämpfen im Betrieb.

Die Regierung Merz ist allerdings angetreten, um die “Zeitenwende” weiter zu treiben: rasante Aufrüstung und ein Angriff gegen den Acht-Stunden-Tag laufen bereits, die Unternehmerverbände fordern eine Einschränkung des Streikrechts. Dagegen ist ein koordinierter Kampf von Kolleg*innen in den Betrieben, den Gewerkschaften und seitens der Partei Die Linke nötig.

Die Konferenz kann ein Beitrag dafür sein. Die schiere Anzahl der Teilnehmenden zeigt die relative Stärke der Linken in den Gewerkschaften und hat zur Motivation der Teilnehmenden in schweren Zeiten beigetragen.

Konkreteres wäre möglich gewesen: Auf der Konferenz hätte ein gemeinsamer bundesweiter Aktionstag gegen die neue Regierung beschlossen werden können – gegen den Angriff auf das Bürgergeld und den Acht-Stunden-Tag, gegen das Aufrüstungspaket. Die 3000 Teilnehmenden wären als Multiplikator*innen für diese Aktion nach Haus gefahren, hätten diese Idee in Betriebe und gewerkschaftliche Gliederungen hineintragen können.

Die Chance, das auf der Konferenz zu bündeln, wurde verpasst. Doch die Aktiven gibt es weiterhin, zusammen mit den vielen neuen Mitgliedern der Linken ist es möglich, entsprechende Initiativen vor Ort zu starten und regional und bundesweit zu bündeln.

Quelle FOTOS: Niels Schmidt Streikkonferenz-Fotograf (ver.di) https://www.flickr.com/photos/202689277@N05/

Quelle: Niels Schmidt Streikkonferenz-Fotograf (ver.di)