Aktienrente: Warum nicht?

Seit Jahrzehnten träumen Kapitalist*innen und neoliberale Politiker*innen von der Abschaffung der umlagefinanzierten Rente. Sie soll durch private Altersvorsorge oder zumindest eine staatlich organisierte, an Kapitalmärkten angelegte Rente ersetzt werden. Mit dem „Generationenkapital“ macht die Ampel einen ersten Schritt in diese Richtung.

Von Thies Wilkening, Reinbek

Der erste Angriff auf das deutsche Rentensystem kam im Jahr 2000 mit der Riester-Rente, benannt nach dem damaligen SPD-Arbeitsminister. Verbunden mit einer Senkung der gesetzlichen Rente wurden vom Staat subventionierte, private Zusatzrenten eingeführt, als „dritte Säule“ neben der gesetzlichen Rente und Betriebsrenten. Dieses Projekt ist weitgehend gescheitert. Das zentrale Versprechen der Riester-Rente war – wie bei jeder kapitalgedeckten Rente – dass durch Zinseinnahmen die zu erwartende Zusatzrente stärker steigen würde als die Einzahlungen. Aber weil die Versicherungen das eingezahlte Geld in Staatsanleihen und anderen risikoarmen Anlagen investieren, haben die niedrigen Zinsen der letzten Jahre dazu geführt, dass die Kund*innen als Zusatzrente nur ihre eingezahlten Beiträge und die geringen staatlichen Zuschüsse zurückbekommen – vorausgesetzt, sie werden alt genug.

So ist die Riester-Rente letztlich eine Wette gegen die Versicherung, ob man den Zeitpunkt noch erlebt, an dem die Summe der ausgezahlten Renten die vorherigen Einzahlungen übersteigt. Wer früher stirbt, hat dem Versicherungskonzern Geld geschenkt. Da diese Erkenntnis sich zunehmend durchgesetzt hat, sinkt die Zahl der Riester-Verträge seit 2017. Und obwohl jahrelang massiv dafür geworben wurde, hat die Mehrheit der arbeitenden Menschen in Deutschland nie einen Vertrag abgeschlossen.

“Generationenkapital“

Der FDP geht die Riester-Rente nicht weit genug. Sie fordert seit langem, die gesetzliche Rente schrittweise von einer Umlage- in eine Aktienrente umzuwandeln, bei der die Beiträge der Arbeitenden und Unternehmen in Aktienfonds und andere Kapitalanlagen investiert werden. SPD und Grüne halten den Abschied von der Umlagefinanzierung für nicht vermittelbar und lehnen die Aktienrente daher ab. Als Kompromiss hat sich die Ampel auf das „Generationenkapital“ geeinigt: die Einrichtung eines vom Staat finanzierten Fonds, der ab ca. 2035 Erträge abwerfen soll, die in die gesetzliche Rentenkasse eingezahlt werden. Dafür wird 2023 ein Kredit über 10 Milliarden Euro aufgenommen, in den nächsten 15 Jahren sollen insgesamt 150 Milliarden in den Fonds fließen. Wo das Geld herkommen soll, ist noch nicht klar. Ob sich angesichts steigender Zinsen der Kauf von Aktien(-fonds) auf Kredit gerade lohnt, erscheint fragwürdig.

Die relativ geringen Geldbeträge des „Generationenkapitals“ werden nach den aktuellen Plänen auf viele Jahre kein relevanter Anteil der gesamten Rentenkasse sein und bisher beteuern alle Beteiligten, dass die Rentenbeiträge der Arbeiter*innen und Unternehmen nicht investiert werden sollen. Lindners Finanzministerium betreibt das Projekt wohl eher als ersten Schritt, den eine zukünftige Regierung zu einer echten Aktienrente ausbauen kann.

Die Rolle des Rentenfonds soll der KENFO übernehmen, der bisher einzige deutsche Staatsfonds, der mit vollem Namen „Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung“ heißt und eingerichtet wurde, um den Rückbau von Atomkraftwerken und die Atommüll-Lagerung zu finanzieren. Bei der Anlage der Gelder für die Rente sollen zwar „soziale und ethische Kriterien“ angewendet werden, aber nach der „Zeitenwende“ und der Entscheidung der EU, Gas- und Atomkraftwerke als „nachhaltige Investments“ zu bewerten ist fraglich, ob die Kriterien irgendeine reale Auswirkung auf den Aktienkauf haben werden.

Die am häufigsten von Linken und Gewerkschaften vorgebrachte Kritik an der Aktienrente, die Rentenbeiträge der Arbeiter*innen würden „an der Börse verzockt“, trifft nur bedingt zu. Dieses Argument wäre berechtigt, wenn der Fonds Aktien einiger weniger Unternehmen kaufen würde, die abstürzen oder gar bankrott gehen könnten. Aber der Fonds soll wohl eher wie ein ETF bzw. Indexfonds funktionieren, der seine Mittel breit auf verschiedene Aktien in verschiedenen Ländern verteilt. Dass solche Fonds langfristig immer steigen, weil die Gesamtsumme des weltweiten Finanzkapitals wächst, gehört zum Wesen des modernen Kapitalismus. Selbst wenn man genau vor einem langen und tiefen Einbruch der Börsen wie der Dotcom-Krise 2000 oder der weltweiten Krise 2008 Indexfonds gekauft hätte, hätte man nach spätestens zehn Jahren eine Wertsteigerung erreicht.

In einer akuten Krisenlage könnte einem Rentenfonds natürlich trotzdem das Geld ausgehen, aber dieses Restrisiko ist nicht das Hauptproblem. Schwerwiegender ist, dass eine Aktienrente die Privatisierung öffentlicher Daseinsvorsorge vorantreibt und den Interessengegensatz zwischen Arbeiter*innen und Kapitalist*innen verschleiert.

Ich arbeite gern für meinen Konzern …

Sie würde allen aktuellen und zukünftigen Rentner*innen den Eindruck vermitteln, durch steigende Aktienkurse und hohe Dividenden vom Kapitalismus zu profitieren und selbst irgendwie auch Kapitalist*innen zu sein, die ein direktes Interesse daran haben, dass es großen Konzernen möglichst gut geht und dass die Unternehmen einen möglichst hohen Anteil ihrer Gewinne als Dividende an die Aktionär*innen auszahlen. Wenn zum Beispiel Kolleg*innen bei der Post sehen, dass angesichts einer Urabstimmung über Erzwingungsstreiks die Post-Aktie fällt, kann das den Willen zum konsequenten Arbeitskampf schwächen.

Apropos Post: Gerüchten zufolge plant das Finanzministerium, die verbliebene Beteiligung des Bundes an der privatisierten Deutsche Post AG dem KENFO zu übertragen. Auf der Website des Ministeriums ist von „bereits bestehenden Beteiligungen des Bundes“ die Rede, die in den Fonds eingebracht werden sollen. Damit könnten auch die Aktien der Deutschen Bahn, die bisher zu 100% dem Staat gehören, über „strategische Investmententscheidungen“ eines zukünftigen Fondsmanagements doch noch an der Börse landen und so die endgültige Bahn-Privatisierung durchgesetzt werden, nachdem die Versuche der Schröder- und Merkel-Regierungen an massiver Ablehnung der Bevölkerung gescheitert sind.

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Internationale Pensionsfonds investieren häufig in Immobilienkonzerne. Bei Vonovia gehören der norwegische Staatsfonds und der niederländische, ehemals staatliche APG zu den größten Aktionären und besitzen zusammen knapp 15% der Anteile. Damit zahlen Vonovia-Mieter*innen durch ihre überhöhten Mieten neben den Einkommen diverser Millionär*innen auch die Renten norwegischer und niederländischer Arbeiter*innen mit – und wenn es nach Christian Lindner geht, bald auch ihre eigenen und die aller anderen, die in Deutschland gesetzlich rentenversichert sind. So können sich Konzerne gegen Forderungen nach Enteignung wehren, indem sie propagieren dass letzten Endes keine reichen Kapitalist*innen enteignet würden, sondern „ganz normale Rentner*innen“.

Altersvorsorge für alle!

Ein Rentensystem, in dem Arbeiter*innen hohe Mieten zahlen und mit ihrer Arbeit den Profit „ihres“ Unternehmens steigern, damit über Wertsteigerung und Dividenden ein kleiner Anteil als Aktienrente an sie zurückfließt, während der Großteil an große Investor*innen geht, ist so absurd wie der Kapitalismus selbst. Stattdessen muss die umlagefinanzierte gesetzliche Rente verteidigt und verbessert werden. Sie muss für alle gelten – auch für Beamt*innen und Selbstständige. Die Beitragsbemessungsgrenze, durch die Menschen mit hohen Einkommen prozentual weniger einzahlen müssen, gehört abgeschafft. So kann die gesetzliche Rente nicht nur gesichert, sondern auch erhöht und damit Altersarmut bekämpft werden.

Beitragsbild von iXimus