Die Partei vom Kopf auf die Füße stellen

Die LINKE hat bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen am 15. Mai weniger Stimmen und Prozente bekommen als die Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG) im Jahr 2005. Die 2,1% der WASG nach einem Wahlkampf von nur wenigen Wochen verschärften damals die Krise der Sozialdemokratie und symbolisierte die Hoffnung, dass eine bundesweite Wahlalternative von links Erfolg haben würde. Das Wahlergebnis vom 15. Mai könnte das Ende dieses Aufbruches markieren. DIE LINKE steht an einer Kreuzung und gleich mehrere Wege führen Richtung Niedergang. 

Die LINKE war bisher nicht in der Lage, Antworten zu finden, wie mit den großen Krisen der letzten Jahre umzugehen ist. In der Klimabewegung trabte sie in der Nachhut. In der Pandemie tauchte sie gleich ganz ab, trotz der chaotischen Corona-Politik der Herrschenden. 

Schräge Töne vom Chaos-Orchester

Verstärkt wurde das dadurch, dass die Partei nicht mit einer Stimme sprach, sondern mit mehreren. Doch kaum eine der medial wahrgenommen Stimmen des chaotischen Orchesters traf den richtigen Ton. Beispiel Ukraine-Krieg: Die einen wollten die verbrecherischen Absichten des Putin-Regimes nicht einmal erkennen, als die Truppen schon in ihren Stellungen waren, die anderen nutzten die erste Gelegenheit, um die friedenspolitischen Positionen zu kippen und die NATO zu preisen. Beispiel Corona: Die einen trabten der Regierung Merkel hinterher, andere verirrten sich teilweise im Lager der „Querdenker*innen“. Versuche, korrekte Antworten zu finden und Aktionen anzustoßen, basierend auf den sozialen Interessen der Lohnabhängigen, blieben in der Minderheit und wurden vom lauten und schiefen Getöse der Bartsch- und Wagenknecht-Flügel medial übertönt.

In den 2000ern attackierten alle etablierten Parteien die Rechte und Einkommen der abhängig Beschäftigten. Nur die LINKE hielt dagegen. Der Pluralismus, das Nebeneinander verschiedener Strömungen und Ansätze, war zunächst attraktiv, weil eine geeinte Linke möglich schien. Solange die Partei – zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung – in eine Richtung ging und mit vergleichsweise klaren Konflikten  konfrontiert war, funktionierte sie.

Doch die Krise des Pluralismus wurde bereits mit der Gründung eingepflanzt. DIE LINKE war schon immer „zwei Parteien in einer“: Einerseits antikapitalistische Partei mit Orientierung auf Bewegungen und Arbeitskämpfe, andererseits Regierungspartei im Wartestand, die ihre Bereitschaft zum Schlucken sämtlicher Kröten und zur Durchführung neoliberaler Politik als Anhängsel von SPD und Grünen durch Regierungsbeteiligung in mehreren Bundesländern und Kommunen bewies und damit ihre Rolle als Oppositionspartei und Alternative bundesweit aushöhlte.

Die komplexeren Krisen des Kapitalismus der 2010er – Kriege, Fluchtbewegungen, Klimakrise und Pandemie – führten dazu, dass Verwirrung und Beliebigkeit in der Partei eskalierten. Eine Partei, in der staatstragende Anhänger*innen einer angepassten Regierungspolitik mit SPD und Grünen, Freund*innen der NATO und/oder Corona- und Putin-Relativierer*innen den Ton angeben oder weiter durcheinander agieren, wird nicht mehr aus der Krise herauskommen.

Drei klare Warnungen

Es existiert keine politische Marktlücke für eine weitere Partei, die den Kapitalismus rosa-blassgrün anstreichen will. Es gibt keinen Platz für den Wagenknechtschen „Linkskonservativismus“ und die Sehnsucht nach der angeblich heilen Welt der 1960er Jahre. Eine Partei, die alles links der SPD sammeln, aber selber nicht linker als die SPD der 1980er Jahre sein will, hat keine Zukunft. 

Klima, Pandemie und Krieg – wir haben in den letzten Jahren drei klare Warnungen erhalten, dass der Kapitalismus brandgefährlich ist. More to come. Die Partei wird aus dem Tief nur herauskommen können, wenn sie klar antikapitalistisch ist, nicht nur in Sonntagsreden, sondern in der täglichen Praxis. Sie muss eine Partei des Widerstandes und der Bewegungen sein, sich zum Ziel setzen, eine Partei der arbeitenden Klasse zu werden. Die Priorisierung von Parlamenten und Posten muss beendet werden, die Mitarbeit in Bewegungen, Betrieben und Stadtteilen muss an erster Stelle stehen.

Die Partei muss eine aktive Rolle dabei spielen, den antikapitalistischen Pol in der Klimabewegung inhaltlich und praktisch zu entwickeln. Sie muss eine klare Antikriegskraft werden, gegen alle Imperialismen und reaktionären Regime. Sie muss sich darauf vorbereiten, dass die enormen Kosten für die deutsche Aufrüstung auf die lohnabhängige Bevölkerung abgewälzt werden und mit Zähnen und Klauen dagegen kämpfen.

Es ist eine klare Aussage nötig: Kapitalismus bedeutet Krieg. Kapitalismus bedeutet Klimakollaps. Die LINKE muss klar für eine sozialistische Gesellschaft, für die demokratische Planung der Produktion und der Nutzung der Ressourcen eintreten. Eine linke Partei hat nur dann eine Existenzberechtigung, wenn sie ein Instrument für den System Change wird. Wenn sie Menschen dabei unterstützt, sich in Betrieben, Stadtteilen, Schulen zu organisieren, um das System zu stürzen.

Die Lähmung überwinden

Das klingt abstrakt und nicht alltagstauglich? Wir erreichen damit nur eine Minderheit? Einverstanden. Wir müssen offensichtlich darüber reden, wie wir diese Botschaft konkretisieren und mit Leben füllen, wie wir das Ziel der Abschaffung des Kapitalismus mit der täglichen Praxis verbinden. Das offensive Aufgreifen der Forderung nach Enteignung, zum Beispiel von Energie- oder Wohnungskonzernen, wird dabei eine wichtige Rolle spielen. Doch bevor wir uns an diese notwendige Detailarbeit machen, müssen wir uns einig sein, wohin wir überhaupt wollen. Soll die LINKE eine Kraft sein, die kosmetische Reparaturen am Kapitalismus vornimmt oder eine Kraft, die darauf hinarbeitet, eine andere Gesellschaft zu erkämpfen? Einen Mittelweg gibt es nicht. Pluralismus ist gut, wenn darüber diskutiert wird, WIE man die Ziele erreichen kann. Aber der „Pluralismus“ einander widersprechender Ziele führt zur Lähmung.

Der rechte, staatstragende Flügel sieht es – spiegelverkehrt – ähnlich. Offensichtlich wird von den Anhänger*innen der Idee, die LINKE zu einer parlamentarischen Ergänzungspartei und Mehrheitsbeschafferin für Rot-Grün zu machen, überlegt, wie man systemkritische, antikapitalistische Mitglieder an den Rand drängt und bei bestimmten Fragen wie der Friedenspolitik „durchzieht“. Offen ist, ob dies schon beim Parteitag Ende Juni gelingt. Die Parteirechte hat voraussichtlich keine Mehrheit. Wahrscheinlich ist allerdings, dass sie mit dem Ruf, jetzt müsse man diszipliniert und einheitlich handeln, Verschiebungen in ihre Richtung erzwingen will.

Die Zeit der Formelkompromisse und der Alleingänge des Führungspersonals muss tatsächlich beendet werden, aber nicht so, wie es sich Susanne Hennig-Wellsow, Klaus Lederer, Dietmar Bartsch oder Benjamin-Immanuel Hoff vorstellen. Die LINKE braucht klare und bindende Beschlüsse. Sie muss politisch und organisatorisch vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Funktionär*innen müssen jederzeit abwählbar sein, Abgeordnete und Hauptamtliche dürfen nicht mehr verdienen als durchschnittliche Kolleg*innen in der Industrie oder im öffentlichen Dienst.

„So geht es nicht weiter“ – aber wie geht es?

Auch wenn die LINKE jetzt alles richtig machen würde: Die Talsohle ist wahrscheinlich noch nicht erreicht. Viele Aktive sind frustriert, einige werden austreten. Karrierist*innen könnten Richtung SPD flüchten, der Verlust weiterer Abgeordneter ist möglich. In dieser Situation wäre es falsch, weiterhin kurzfristig auf Wahlen zu schielen. Die Partei muss neu aufgebaut werden. Alle Mitglieder werden gebraucht – in Betrieben und Gewerkschaften, bestehenden oder neu zu schaffenden Bündnissen, in Bürger*inneninitiativen. Der parlamentarische Kleinkram gerade auf kommunaler Ebene muss pausieren. Die noch relativ starken Stellungen in Hessen und Bremen werden bei den Wahlen 2023 nicht mit einem von einer Werbeagentur entwickelten Wahlkampf verteidigt, sondern durch die Neuorientierung der Partei. Oder auch nicht. Entscheidend ist, dass die Partei sich grundlegend ändert.

Die Probleme nehmen rasant zu. Die dringende Notwendigkeit, dieses System abzuschaffen, wird jeden Tag deutlicher. SPD und Grüne werden in die Krise geraten. Vielleicht noch nicht 2022, doch sicher in den kommenden Jahren. Der Bedarf für eine linke Partei, eine Partei der Arbeiter*innen, der Armen, der Klimagerechtigkeit, des Friedens und des Feminismus ist größer denn je, das aktuelle Versagen der LINKEN reißt eine riesige Lücke. Vielleicht kann die Partei DIE LINKE diese Lücke wieder schließen – wenn sie zu einer anderen Partei wird und den staatstragenden Reformismus hinter sich lässt.

Besser retten

Inzwischen gibt es bei einigen eine Stimmung „besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende“ sowohl unter Mitgliedern als auch unter Linken außerhalb der Partei, verbunden mit der Hoffnung, ein Ende der hybriden Partei mit ihren oft quälenden Auseinandersetzungen würde den Weg für etwas Neueres, Besseres frei machen. Doch das kann sich als leichtsinnig herausstellen.

Nach einem Ende der LINKEN würde nicht schnell eine neue, bessere Partei entstehen, die Frustration von Aktivist*innen würde ein neues Projekt eher schwieriger machen. Eine Niederlage der Partei wäre eine Niederlage für die gesamte Linke, auch für diejenigen, die nicht mehr dabei sind oder nie dabei waren. In Italien ist die PRC (Partei der kommunistischen Neugründung) 2006 in ihre finale Krise geraten. Bis heute ist es nicht gelungen, eine neue linke Partei aufzubauen. Daher lohnt sich der Kampf, DIE LINKE neu aufzustellen – wenn es am Ende gelingt, die Partei zu einer klar antikapitalistischen Kraft zu machen. Manche Parlamentarier*innen würden dann eher Richtung SPD gehen. Aber das wäre wohl unvermeidlich und in einigen Fällen kein großer Verlust. Die Durststrecke mag einige Zeit dauern, aber die Partei kann stärker als zuvor zurückkommen.

Organize!

Wir bieten den Mitgliedern der LINKEN an, mit uns zu diskutieren, was wir gemeinsam tun können, um die Partei zu verändern und damit zu retten. Wie kann die Parteilinke sich neu aufstellen und gemeinsame Inhalte und Projekte entwickeln – das ist eine zentrale Aufgabe für die nächsten Monate. Wir können nicht garantieren, dass #SaveDieLinke funktioniert. Doch auch wenn die Partei weiterhin Richtung Abgrund taumeln oder nach rechts verschoben werden würde, wäre es wichtig, antikapitalistische Zusammenhänge zu bewahren und neu zu schaffen, orientiert auf die kommenden Klassenkämpfe. Die SAV ist Teil der Parteilinken und gleichzeitig eine eigenständige revolutionäre, marxistische Organisation, Teil der International Socialist Alternative (ISA), die in über 30 Ländern vertreten ist. Wir arbeiten mit allen zusammen, die die Partei auf einer klaren antikapitalistischen Grundlage instandsetzen wollen. Gleichzeitig bieten wir den Aktiven innerhalb und außerhalb der Partei an, mit uns eine revolutionäre, internationale Organisation aufzubauen.