Die Pariser Kommune

Vive la Commune!“, lautete der Schlachtruf der Pariser*innen, als sie am 18. März 1871 die erste Arbeiter*innenregierung der Geschichte errichteten und 72 Tage lang – bis zum 28. Mai – eine Welt sozialistischen Antlitzes und Anspruchs ins Leben riefen. Trotz ihres nur kurzen Bestehens ging von der Pariser Kommune eine Botschaft der Befreiung an die Arbeiter*innenklasse aus. Sowohl aus ihrem Gelingen als auch aus ihrem Scheitern zogen Marxist*innen entscheidende Lehren für die proletarischen Revolutionen des 20. Jahrhunderts.

Von Stefanie Gullatz

Vorgeschichte und proletarische Machtergreifung

März 1871. Frankreich führt seit einem dreiviertel Jahr auf eigenem Gebiet Krieg gegen das preußisch geführte Deutschland Otto von Bismarcks. Seit der Niederlage bei Sedan am 2. September befinden sich Napoleon III und große Teile der unterlegenen französischen Armee in Kriegsgefangenschaft. Paris, das nach der Abdankung des Kaisers zwei Tage später die Republik ausgerufen hat, wird seit Monaten von den preußischen Truppen belagert, die sich anschicken, die französische Hauptstadt einzunehmen. In der Stadt bricht Hunger aus, während es den Reichen weiter gut geht. Aus Angst vor einer proletarischen Revolution hat sich die bürgerlich-liberale, provisorisch eingesetzte „Regierung der nationalen Verteidigung“ heimlich in Friedensverhandlungen mit dem deutschen Feind begeben und am 28. Januar in Versailles ein Waffenstillstandsabkommen ausgehandelt. Als dieser nationale Verrat bekannt wird, wachsen Wut und Widerstand in der französischen Bevölkerung.

Um dem entgegenzutreten, schickt Adolphe Thiers, Chef der provisorischen Regierung, am frühen Morgen des 18. März 1871 zwei Generäle mit Truppen auf den Montmartre und in andere Arbeiter*innenviertel, die Geschütze der Nationalgarde zu beschlagnahmen. Diese 350.000 Mann starke, überwiegend aus Proletariern und kleinbürgerlichen Handwerkern bestehende Garde ist ursprünglich zur Verteidigung von Paris aufgerüstet worden. Der Entwaffnungsversuch scheitert, denn die bereits wachen Frauen des Stadtteils schlagen Alarm und verteidigen gemeinsam mit den Nationalgardisten die Kanonen. Die Regierungstruppen verweigern den Befehl, auf die Menge zu schießen. Daraufhin werden die Generäle festgenommen, die bürgerliche Regierung flieht nach Versailles und mit ihr weite Teile des Besitzbürgertums. Pariser Arbeiter*innen, städtisches Kleinbürgertum, Intellektuelle, Nationalgardisten stehen plötzlich und unvorbereitet vor der Aufgabe, Frankreich zu verteidigen, aber nicht den Staat der Bourgeoisie, der sich mit der deutschen Bourgeoisie verbündet hat, sondern sich selbst. Noch am selben Tag rufen sie die Kommune aus, besetzen wichtige Regierungsgebäude und hissen die rote Fahne.

In dieser Situation geht die Macht zunächst an das Zentralkomitee der Nationalgarde über, das aus Delegiertenwahlen im Februar hervorgegangen ist und als das militärisch-politische Zentrum der Arbeiter*innenklasse bezeichnet werden kann. Es beeilt sich, demokratische Wahlen vorzubereiten. Am 26. März wird in jedem Pariser Bezirk auf Basis des allgemeinen Wahlrechts der Rat der Kommune gewählt und zwei Tage später eingesetzt. Zwar gibt es noch kein Frauenwahlrecht, sodass nur Männer Männer wählen, doch drei Viertel der Ratsmitglieder waren Arbeiter oder anerkannte Vertreter der Arbeiter*innenklasse. Eine Nachwahl im April stärkt sogar den sozialistischen Flügel, der aus Frühsozialisten, Anarchisten und Marxisten der französischen Sektion der I. Internationale besteht. Der Rat der Kommune ist politisch uneinheitlich. Dies zeigt sich besonders darin, dass zahlreiche radikalrepublikanische Neo-Jakobiner für die Beibehaltung des Kleineigentums eintreten und jenes des Großbürgertums lediglich beschränken wollen. Trotz bis zuletzt heftiger Auseinandersetzungen aufgrund der unterschiedlichen Strömungen zeichnet die Pariser Kommune ein starker Zusammenhalt zur Verteidigung ihrer Errichtung aus.

Revolutionäre Veränderungen

Die ersten Dekrete standen im Dienste einer echten, proletarischen Demokratie: Am 29. März wurde das stehende Heer offiziell abgeschafft und durch das bewaffnete Volk – die Nationalgarde – ersetzt. Das Dekret vom 2. April legte fest, dass alle Stadträte und Beamten als Vertreter der arbeitenden Bevölkerung nicht nur gewählt wurden, sondern auch jederzeit wieder abgewählt werden konnten und für einen durchschnittlichen Arbeiter*innenlohn sowie von nun an ohne Privilegien arbeiten sollten. Einen Tag später wurde die Kirche vom Staat getrennt, wobei die Schulbildung von kirchlichen und staatlichen, also Klasseninteressen, bereinigt und nur noch der Wissenschaft anheimgestellt werden sollte. Indem die Kommune Hebel des bürgerlichen Staates wie Berufsarmee, Berufsbeamtentum und Parlamentarismus abschaffte, vollzog sie Schritte in Richtung einer Zerschlagung des unterdrückerischen Staatsapparates.

Der entscheidende Hebel zum Umsturz der Verhältnisse ist jedoch die Beseitigung der ökonomischen Ausbeutung der Arbeiter*innenklasse durch die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln. Wie weit ist die Kommune diesbezüglich gegangen? Mit dem Anspruch, die Lebensbedingungen der werktätigen Schichten zu verbessern, ergriff sie neben den demokratischen auch Maßnahmen sozialökonomischer Art. Dazu gehörte die Beschlagnahmung verlassener bürgerlicher Wohnungen und deren Zuweisung an Arbeiter*innenfamilien sowie ein Mieterlass für die Zeit seit der Belagerung. Ein Dekret vom 16. April stand einerseits besonders im Interesse der Kleinbürger*innen, denn ihnen wurden drei Jahre Zeit eingeräumt, ihre während der Belagerung entstandenen Schulden bei den großbourgeoisen Gläubiger*innen – zinsfrei – zurückzuzahlen; andererseits wurden stillgelegte Fabriken und Werkstätten der geflohenen Bourgeoisie unter die Kontrolle von Arbeiter*innengenossenschaften gestellt und wieder in Betrieb genommen. 

Um den Sozialismus zu errichten, braucht es aber die Einheit aller „hervorbringenden gegen die aneignende Klasse“ (Karl Marx: Der Bürgerkrieg in Frankreich, in: MEW, Bd. 17, S. 342). Während es gelang, große Teile des Pariser Kleinbürgertums mitzureißen, unterblieb ein Bündnis mit der Bauernschaft – zum einen, weil die Bedeutung eines solchen unterschätzt und daher nicht entschieden genug angestrebt wurde, und zum andern, weil die Kommune auf Paris begrenzt blieb. Dass ein Drittel des Landes vom deutschen Heer besetzt war, hemmte zusätzlich die revolutionäre Entwicklung über die Stadt hinaus in die Provinzen hinein. In anderen größeren Städten Frankreichs, wie etwa in Lyon und Marseille, erhoben sich nach Bekanntwerdung der Ereignisse in Paris zwar ebenfalls die Arbeiter*innen, doch deren Kommune-Bildungen wurden sofort unterdrückt.

Festzuhalten bleibt: Die Kommunard*innen entwickelten eine außerordentliche Schöpferkraft zur Verbesserung der sozialen Strukturen; Männer und Frauen, Jung und Alt setzten sich leidenschaftlich mit der Sache der Kommune auseinander und für sie ein: auf den Pariser Straßen und Plätzen, in Stadtteil-Komitees, Genossenschafts- und Gewerkschaftsverbänden, in Debattierclubs und in Frauenorganisationen, die in großer Zahl entstanden. Militärisch wurde die Verteidigung nach außen in Angriff genommen. Im Innern entstand trotz der Bedrohung von außen nicht nur eine gefühlte, sondern – angesichts rapide zurückgehender Straftaten – auch eine reale Sicherheit.

Die Rolle der Frauen 

Die berühmte Kommunardin Louise Michel zeigt in ihren Memoiren die besondere Entschlossenheit und Handlungsfähigkeit der Pariser Frauen auf. Sie spielten eine wichtige Rolle sowohl beim Aufbau als auch der Verteidigung der Kommune. Neben den lebenspraktischen Notwendigkeiten von Kindererziehung und Fabrikarbeit nahmen sie die Lebensmittelversorgung der Bataillone der Nationalgarde in die Hand und versorgten die Verwundeten. In diesem Zusammenhang vernetzten sie sich in den Stadtteilen und gründeten Frauenorganisationen – für viele die Basis ihrer Politisierung. In den Debattierclubs hielten sie Vorträge zu frauenpolitischen Themen und stritten für eine gleichberechtigte gesellschaftliche und politische Teilhabe. Dabei verbanden sie ihren Kampf für Gleichberechtigung auch mit sozialistischen Forderungen, etwa nach Enteignung. Sie erkämpften das Recht, zum Studium zugelassen zu werden, die juristische Gleichstellung von unehelichen Lebensgemeinschaften mit ehelichen sowie die Schließung von 19 Bordellen. Frauen verlangten, mitkämpfen zu dürfen. Offiziell erlaubt wurde ihnen das von den Männern zwar nicht, wenn jedoch ein Gardist im Kampf gegen die Preußen ausfiel, nahm eine Frau sein Gewehr und kämpfte an seiner statt. Dadurch verteidigten Frauen in besonderem Maße auf den Barrikaden die Kommune. Politisch blieben sie zwar – noch – vom allgemeinen Wahlrecht ausgeschlossen, doch verlangten sie den Männern die Lernbereitschaft ab, sie im gemeinsamen Kampf als gleichberechtigte Genossinnen anzuerkennen.

Scheitern und Lehren

Die Pariser Kommune bedeutete eine tödliche Gefahr für die auf Ausbeutung beruhende bürgerliche Welt. Deshalb verbündeten sich die Kräfte der Reaktion gegen sie: Der geflohene Thiers stellte in Versailles mit Bismarcks Hilfe, der die bonapartistische Armee aus der Gefangenschaft entließ, seine Truppen neu auf. Nach wochenlangem Artilleriebeschuss gelang der „Versailler Armee“ am 21. Mai der Durchbruch nach Paris. Eine Woche lang leisteten die Kommunard*innen heldenhaften Widerstand gegen 170.000 Mann, doch mussten sie Barrikade für Barrikade verloren geben. An der Arbeiter*innenklasse und ihrer „mutwilligen“ Machterhebung wurde ein Exempel statuiert, das als „Blutwoche“ in die Geschichtsbücher eingegangen ist. Die Erschießungskommandos machten dabei auch vor Frauen und Kindern nicht Halt. Etwa 30.000 Kommunard*innen verloren ihr Leben, 9.000 wurden ins Gefängnis oder in die Verbannung geschickt. 

Warum scheiterte die Kommune am Ende auf solch grausame Weise? In der zeitgenössischen Ausgabe des Kommunistischen Manifests (1872) schreibt Marx: „Namentlich hat die Kommune den Beweis geliefert, daß die Arbeiterklasse nicht die fertige Staatsmaschine einfach in Besitz nehmen und sie für ihre eignen Zwecke in Bewegung setzen kann“, sondern sie muss sie „zerbrechen“ (Hervorhebung durch Marx im Brief an Kugelmann, MEW, Bd 33, S. 205). Warum gelang dies letztlich nicht? Zunächst ist festzustellen, dass eine konsequent zu Ende geführte Enteignung ausblieb (Lenin: Die Lehren der Kommune, Ausgewählte Werke, Bd 3). So befand sich insbesondere die französische Staatsbank mit Regierungsgeldern und dem Privatvermögen der Großbourgeoisie in Milliardenhöhe direkt vor ihrer Nase, während der Klassenfeind außerhalb von Paris weilte – aber die Arbeiter*innenklasse hatte Skrupel, sie zu beschlagnahmen.

Ein weiterer wichtiger Punkt, der zum Scheitern der Kommune beitrug, ist, dass das Proletariat auf Verteidigung statt auf eine Angriffstaktik setzte, obwohl es mit der Nationalgarde im Besitz starker militärischer Machtmittel war. Alle historischen Marxist*innen sind sich darüber einig, dass man am 18. März unmittelbar zum Kampf gegen die geschwächt abziehenden Kräfte der – späteren – Konterrevolution hätte mobilisieren und aufbrechen müssen, um den endgültigen Sieg einzufahren. Trotzki charakterisiert dies in „Die Lehren der Pariser Kommune“ als militärische „Passivität“ und mangelnde Entschlusskraft

Gelegenheiten, dem Klassenfeind eine vernichtende Niederlage zuzufügen, wurden auch nicht ergriffen aufgrund des Bestrebens, die errungene politische Macht um jeden Preis demokratisch zu legitimieren – in letzter Konsequenz darauf hoffend, dass selbst der Gegner sie anerkennt. Dabei hätte man einkalkulieren müssen: Der Klassenfeind schert sich keinen Pfifferling um Recht und Demokratie, sondern ist zum gnadenlosen, internationalen Klassenkampf bereit, um seine Herrschaft zu verteidigen. Hier spielten sowohl die Unerfahrenheit der Kommunard*innen als auch der idealistische Zug der Frühsozialist*innen und proudhonistischen Anarchist*innen eine Rolle. Eine Analyse der Situation hätte geholfen, Zaghaftigkeit und Angst vor der gewaltbereiten Aktion zu überwinden.

Schlussendlich fehlte eine revolutionäre, zentralisierte Partei des Proletariats, deren Programm zur Anwendung gekommen wäre, sobald die Massen die Herrschaft im Staat erobert hatten. Nur wenn es eine Speerspitze gibt, die auf Basis einer Strategie taktische Entscheidungen trifft, kann eine proletarische Bewegung geeint vorgehen und dem Gegner zum richtigen Zeitpunkt die notwendigen tödlichen Schläge zufügen. Man muss weiter feststellen: Infolge eines Mangels an koordinierter militärischer Leitung war jede Kommunardin und jeder Kommunarde dazu verdammt, sich auf den Barrikaden selbst zu verteidigen.

Eine Kenntnis der oben genannten Gründe hätte außerdem dazu führen können, auch über Paris hinaus die Erhebung der Arbeiter*innen zum Erfolg zu führen und das gesamte französische Proletariat zu befreien. Nach dem Fall der Kommune zogen Marx und Engels aus ihr folgende Konsequenz: Es ist notwendig, dass nach einer sozialistischen Revolution sofort eine Diktatur des Proletariats errichtet wird, um die Macht zu festigen und sie gegen die Konterrevolution zu verteidigen. Die Lehren aus den Erfahrungen des französischen Proletariats wurden vom russischen Proletariat und seiner Partei, den Bolschewiki, in der Russischen Revolution ein halbes Jahrhundert später konsequent umgesetzt.

Bild: Moloch[1], CC0, via Wikimedia Commons