50. Jahrestag der portugiesischen Nelkenrevolution: Vom sozialistischen Frühling zurück zur kapitalistischen Normalität 

Am 25. April 1974 stürzte ein Putsch linksgerichteter Militärs Europas älteste faschistische Diktatur. Die Massen verbündeten sich mit den aufständischen Soldaten, das Zeichen dafür war das Symbol der roten Nelke, die sich die Soldaten in die Gewehrläufe steckten. Für die portugiesische Arbeiter*innenklasse und Jugend war das ein Startzeichen zu einer Welle der Selbstorganisation. Zwei Jahre lang traten Hunderttausende in linke Parteien und Gewerkschaften ein. Arbeiter*innen besetzten Fabriken, die Banken wurden verstaatlicht und Landarbeiter*innen und Kleinbäuer*innen, vor allem im Süden, dem Alentejo, besetzten Ländereien und gründeten Kooperativen. Fast zwei Jahre lang sah es so aus, als würde in Portugal der Sozialismus siegen. Doch schließlich konnte sich die bürgerliche Ordnung durchsetzen.

Von Marcus Hesse, Aachen

Portugal war Europas älteste Kolonialmacht. Die Ausplünderung überseeischer Gebiete machte nur eine kleine Elite reich. Ins 20. Jahrhundert ging Portugal als eines der ärmsten und rückständigen Länder Europas. Noch in den 1970ern war ein Viertel der Bevölkerung analphabetisch, Land und Ressourcen gehörten wenigen Familien. Auf dem Land herrschten halbfeudale Zustände und die Löhne in der Industrie waren niedrig. Viele Portugies*innen gingen als “Gastarbeiter*innen” in andere Länder Europas.

Portugals herrschende Klasse hielt verbissen am Kolonialismus fest. Indem sie perspektivlose Menschen als Siedler*innen nach Mosambik und Angola verschiffte, hoffte sie darauf, sich soziale Probleme im eigenen Land vom Hals zu halten und die antikolonialen Befreiungsbewegungen dort in Schach zu halten. Seit 1961 gab es Befreiungskriege in den portugiesischen Kolonien Guinea-Bissau, Kap Verde, Angola und Mosambik. Viele Söhne von Arbeiter*innen und armen Bäuer*innen wurden als Soldaten und junge Offiziere in die Kolonialkriege geschickt und entwickelten Abscheu gegen ein Regime, das sie zur Unterdrückung anderer Völker verheizte. 

Portugal war 1974 Europas älteste rechte Diktatur: Seit 1929 bzw. endgültig 1932 regierte der Diktator Salazar. Sein “Estado Novo” (neuer Staat) basierte auf dem Konzept eines faschistischen Ständestaates. Salazar herrschte auf der Grundlage von Austeritätspolitik und politischer Unterdrückung gegen die Arbeiter*innenbewegung und Linke, gestützt durch Kapital, Militär, Großgrundbesitz und Kirche. Gewerkschafter*innen und Kommunist*innen mussten in den Untergrund oder ins Exil, die Geheimpolizei PIDE überwachte und unterdrückte jede Opposition. Die Gefängnisse, Abhörzentralen und Folterkammern der PIDE wurden folgerichtig am 25. April als erste von den Massen gestürmt und unschädlich gemacht.

Das faschistische Portugal war 1949 Gründungsmitglied der NATO, die niemals ein Bündnis für Demokratie und Freiheit war. Die NATO-Länder rüsteten die portugiesische Armee aus und stützten die Unterdrückung der afrikanischen Befreiungsbewegungen. 

Es gärte bereits

Ein Schlüssel für die Macht im Staat ist immer die Kontrolle über dessen bewaffnete Kräfte. In Portugal wirkte der Putsch von Offizieren mit linken Ideen als Zündfunke für die  Revolution der Massen. Aus Opposition gegen die Kolonialkriege hatte sich die Bewegung der Streitkräfte (MFA) gebildet, getragen von links politisierten Offizieren aus proletarischen und kleinbäuerlichen Verhältnissen. Aus ihren Kreisen wurde immer lauter Kritik an der Diktatur und am Kolonialismus geübt. Als Salazar 1968 krankheitsbedingt abdankte und zwei Jahre später starb, setzte sein Nachfolger Caetano den alten Kurs fort. Unter den Parteien im Untergrund hatte die Kommunistische Partei große Autorität unter den Arbeiter*innen, wenngleich ihre Führungsfigur Cunhal im Exil in der UdSSR war. Im Exil bildete sich auch eine pro-westlich ausgerichtete Sozialdemokratie heraus: Die Sozialistische Partei (SP) von Mario Soares. Diese wurde 1973 in Westdeutschland gegründet – unter tatkräftiger Hilfe der SPD und Willy Brandts in einem Bildungszentrum der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bad Münstereifel. Sie zog nach der Revolution schnell eine Massenbasis an, wobei ihre Führung sich bewusst als westllich orientiert und antikommunistisch verstand, aber zugleich eine scheinbar antikapitalistische Programmatik hatte.

In der Nacht zum 25. April wurde im Radio das Lied “Grandola, Vila Morena” des linken Sängers José Alfonso gespielt, das in der Zeit der Diktatur verboten war und als heimliche Hymne des Widerstands galt. Das galt als Signal zum Aufstand. Am folgenden Morgen begann der von der MFA geführte Putsch, der Caetanos Regime stürzte. Panzer zogen in den Straßen von Lissabon auf. Die Soldaten wurden auf den Straßen von feiernden Arbeiter*innen begrüßt, die sich mit ihnen verbündeten. Vom ersten Tag an bestimmte das Erblühen der Aktivität der Massen das Geschehen. 

Das Alte ist weg – was nun?

Caetano wurde gestürzt. Die Revolution war unblutig, bis die Schergen der PIDE in Lissabon auf die Menge feuerten und vier Menschen dabei starben. Doch das war die letzte Untat des alten Regimes. Von nun an regierte die MFA, aber nur provisorisch, bis zu geplanten demokratischen Wahlen.

Die MFA setzte als Übergangsstaatschef General Spinoza ein. Dieser war ein alter Faschist, der einst im Spanischen Bürgerkrieg für Franco gekämpft hatte und ebenso in den Kolonialkriegen. Als späterer Kritiker der Kolonialkriege, die er für nicht mehr gewinnbar hielt, und Befürworter vorsichtiger Reformen galt er der MFA-Führung dennoch als akzeptabel. Auch die Führungen von KP und SP akzeptierten diese Lösung zum “geordneten Übergang zur Demokratie”. Tatsächlich aber war der parteilose Spinoza durch und durch autoritär und fürchtete die arbeitenden Massen und deren linke Bestrebungen. Viele einfache Soldaten und Offiziere in der MFA hatten linke und zum Teil revolutionäre Ideen. Doch das Programm der MFA war insgesamt ein kontrollierter Übergang zur bürgerlichen Demokratie unter Einbeziehung sozialer Reformen. Nicht die Massen, sondern die Streitkräfte sollten das Sagen haben und zwischen den unterschiedlichen Interessen manövrieren. Marxist*innen nennen so eine Politik “Bonapartismus”. Minister*innen von SP und KP traten in die von der MFA geführte Übergangsregierung ein. Dort saßen sie mit Vertreter*innen der bürgerlichen PPD zusammen, mimten die Einheit der demokratischen und antifaschistischen Kräfte, wo eigentlich unabhängige sozialistische Politik nötig gewesen wäre.

Am 1. Mai 1974 gab es Massendemonstrationen im ganzen Land. Die Losung “Nieder mit dem Kapitalismus!” wurde zum beliebtesten Slogan. Sozialistische Ideen ergriffen die Massen, die jahrzehntelang unter der eisernen Ferse der Diktatur Salazars und seines Nachfolgers Caetano kleingehalten wurden.

Es gab einen großen Zustrom in die SP und KP, die um die Führung im Land rangen. Auch viele kleinere linke Gruppen trotzkistischer oder maoistischer Richtung entstanden und wuchsen. SP und KP sprachen sich in Worten für den Sozialismus aus, tatsächlich aber bremsten sie die Bewegung und verhielten sich loyal zur Übergangsregierung unter der MFA und General Spinola, die auf Parlamentswahlen orientierte.

Die KP ging in typisch stalinistischer Manier davon aus, dass die Vollendung einer demokratischen Revolution als erste Etappe streng von einer danach anstehenden sozialistischen Etappe zu trennen sei und setzte auf ein Bündnis mit “fortschrittlichen” Teilen des Bürgertums. Das ging so weit, dass die KP  nach einiger Zeit die für sie bis dahin zentrale Forderung nach einem Austritt Portugals aus der NATO strich – der Einfluss der ”Entspannungspolitik” der Sowjetunion machte sich bemerkbar. Die SP benutzte sozialistische Rhetorik und zog große Teile der Arbeiter*innenklasse an. Im Dezember 1974 beschloss ihr Kongress weitgehende Verstaatlichungen. Zugleich wurde sie massiv dazu benutzt, die Revolution in die Bahnen der bürgerlichen Demokratie westlichen Typs zu lenken. Die deutsche Sozialdemokratie spielte dabei mit politischer Beratung und Spendengeldern eine entscheidende Rolle. Allmählich setzte das bürgerliche Establishment Europas auf die SP und Soares, die davor Angst bekam, dass Portugal sozialistisch werden könnte. Die nächsten Monate führte weiterer Druck von unten, auf den Straßen und in den Betrieben, dazu, dass die linken Teile der MFA  – von den Parteien der Linken und Gewerkschaften unterstützt – am 20. Januar 1975 ein Programm zur Wirtschafts- und Sozialpolitik vorlegte, das weitgehende Enteignungen und Verstaatlichungen beinhaltete.

Peitsche der Reaktion 

Im Mai 1974 hatte die Massenbewegung Lohnerhöhungen von 25-28% erkämpft. Doch die Inflation fraß diese Errungenschaften wieder auf. Im Herbst 1974 bildeten sich auf betrieblicher Ebene “Komitees der Wachsamkeit” aus Belegschaften, die die Machenschaften der Bosse überwachten und versuchten, Kapitalflucht zu unterbinden. Im Frühjahr 1975 trat die PPD aus der provisorischen Regierung aus, sodass nur noch die Kräfte der Linken überblieben.

Spinola fürchtete jetzt endgültig, dass dieses Erstarken das Ende des Kapitalismus in Portugal bringen könnte und zögerte die versprochenen Wahlen hinaus. Am 11. März putschten rechte Teile der Armee mit Unterstützung Spinolas in der Hoffnung, das Rad herumdrehen. Doch linke Militärs in der MFA stoppten den Putsch. Allerdings nutzte die MFA-Spitze den Putsch auch, um ihre als kurzer Übergang gedachte Rolle verfassungsmäßig verankern zu lassen. So sollte sie auf drei bis fünf Jahre als “Wächterin der Revolution”  institutionalisiert werden. Spinola floh nach Spanien, wo Franco gerade im Sterben lag und das faschistische Regime noch politisch im Sattel saß.

Die Gewerkschaften und Basisbewegungen gingen als Reaktion auf den rechten Putsch auf die Straße. Auch sie forderten Waffen. Unter dem Druck der Massen ging die MFA-Führung jetzt weiter als ursprünglich geplant: Im März 1975 noch wurden die Banken verstaatlicht. KP, SP und Gewerkschaften kontrollierten die meisten Medien. Im Süden des Landes starteten Landbesetzungen und Kleinbäuer*innen und Landarbeiter*innen gründeten Kollektive und Kooperativen. Die Region Alentejo im Süden wurde zur roten Hochburg und zum Symbol weitgehender sozialer Umwälzungen. In vielen Betrieben wurden Räte-ähnliche Strukturen gebildet. Da sie aber regional und oft auf Einzelbetriebe beschränkt waren und ihnen eine nationale Koordination fehlte, wurden sie nicht zu alternativen politischen Organen der Macht. KP und SP orientierten weiterhin auf die nächsten Wahlen und einen Übergang zur parlamentarischen Demokratie. Innerhalb der MFA gewannen linkere Strömungen an Einfluss, was sich in der im Mai 1975 gebildeten neuen Übergangsregierung ausdrückte. 

Gruppen links von KP und SP begannen in den Basisbewegungen und Streitkräften vereinzelt Einfluss zu gewinnen. Doch der Erfolg war unterm Strich begrenzt, da der Einfluss von KP und SP zu stark war. Im Sommer 1975 begann eine neue Phase der Revolution, die von deutlicher Polarisierung geprägt war. Die Basisbewegung von links wuchs an, die Massen wurden kühner. Auch die Rechte formierte sich. Der “heiße Sommer der Revolution” 1975 zog viele ausländische Aktivist*innen an, die nach Portugal reisten, um die sich radikalisierende Bewegung vor Ort zu erleben und an Debatten und Aktivitäten in Betrieben und Kollektiven mitzuwirken.

Die Spannungen zwischen rechten und linken Kräften nahmen landesweit zu, zunehmend drückte sich dieser Konflikt auch geografisch aus: Vor allem in den ländlichen Gebieten Nordportugals formierten sich rechte und neofaschistische Gruppen. Es bildeten sich rechte Milizen und Terrorgruppen, die gegen linke Politiker*innen, Parteibüros und Botschaften von Ländern des Ostblocks und Kubas vorgingen. Kreise innerhalb der CSU um Franz-Josef Strauß hielten enge Verbindungen zu diesen und unterstützten sie finanziell. Im ganzen Land kam es zu Überfällen auf linke Parteien, Gewerkschaftshäuser und Kollektive sowie zu terroristischen Anschlägen, die die Linke einschüchtern und den Ruf nach “Ruhe und Ordnung” populär machen sollten. Das Gespenst des Bürgerkrieges lag in der Luft. Befeuert durch diese Attacken radikalisierte sich die Bewegung von links. 

Kampf um die Macht

Im April 1975 kam es – nachdem die MFA diese zunächst hinausgezögert hatte – zur Wahl einer verfassunggebenden Versammlung. Besonders KP und SP sahen diese als Kräftemessen ihres realen Einflusses. Das Ergebnis war deutlich: Die SP wurde bei einer Wahlbeteiligung von 92% mit 38% stärkste Kraft. Die bürgerliche PPD erhielt 22% und die KP nur 12%. Für die KP war das ein herber Schlag. Sie machte die antikommunistische Propaganda der Rechten, der Kirche und Sozialdemokrat*innen dafür verantwortlich. Wie auch immer das Ergebnis zu erklären war – es zeigte, dass die SP inzwischen die stärkste Kraft der Arbeiter*innenklasse war. Revolutionär*innen mussten also einen Weg finden, sich auf die radikalen Basisbewegungen zu stützen und zugleich einen Zugang zur Basis und Wähler*innenschaft der SP zu finden, die von den Massen als linker wahrgenommen wurde, als sie unter Soares und anderen pro-kapitalistischen Führungsfiguren tatsächlich war. 

Die bremsende Rolle der großen linken Parteien KP und SP führte dazu, dass sich Teile der MFA, junge Offiziere und Soldaten unterer Dienstränge weit nach links radikalisierten. Einige von ihnen liebäugelten mit maoistischen und guevaristischen Ideen und entwickelten Programme, die weit über das hinausgingen, was die großen linken Parteien und Gewerkschaften forderten. Jedoch fehlte diesen Kräften eine breite Basis in der Gesellschaft und die Umsetzung ihrer Ideen wäre auf eine linke Militärdiktatur bonapartistischen Typs hinausgelaufen, bei der eben die Streitkräfte und nicht die Räte der Arbeiter*innenklasse die Basis einer “revolutionären Regierung” gebildet hätten. 

Die KP sprach sich für ein sozialistisches Portugal und für Freundschaft mit den “realsozialistischen” Staaten aus. Sie forderte zunächst erfolgreich, dass das Ziel des Sozialismus und der klassenlosen Gesellschaft in die neue Verfassung Portugals aufgenommen wurde. Aber gleichzeitig warnte sie davor, die Konterrevolution durch allzu radikale Maßnahmen zu provozieren und beschwor die vermeintliche “Einheit der Demokraten”. Die KP hatte Einfluss auf den Gewerkschaftsdachverband “Intersindical”, in dem sie einen “antimonopolistischen” Kurs durchsetzte. Die Arbeiter*innen sollten im Bündnis mit vermeintlich fortschrittlichen Teilen des Bürgertums gegen die großen Monopole kämpfen.

Allzu weitgehende Experimente in Sachen Arbeiterdemokratie lehnte die KP an. Die KP war Moskau-treu und die von Breschnew & Co. propagierte Entspannungspolitik wirkte so, dass sie die KP weiter zurückpfiff. Für die politische Rechte in Portugal und die Herrschenden im Westen war die Angst vor der drohenden Sowjetisierung des NATO-Landes Portugals im Kalten Krieg das zentrale Narrativ ihrer Propaganda. Dabei brachte die portugiesische Revolution ein solches Maß an Selbstorganisation von unten, dass die Bürokratien im Ostblock ihre Radikalisierung fürchtete. 

Die SP-Führung propagierte in Abgrenzung zur KP einen “demokratischen Sozialismus”, womit sie am Willen der Massen anknüpfte, eine demokratische Alternative zum System des Ostblocks zu entwickeln. Die SP-Führung um Soares verstand darunter aber faktisch eine Orientierung an der westlichen Sozialdemokratie. In der Gewerkschaft UGT baute die SP ihr betriebliches Gegengewicht zur KP-nahen Intersindical auf. Während des Jahres 1975 kam es zu mehreren Regierungsbildungen. Im Juli trat die SP aus der Regierung aus, im Herbst des Jahres trat die KP in eine neue Regierung ein. Die SP kritisierte bei ihrem zeitweisen Gang in die Opposition den “Kasernensozialismus” der MFA und appellierte damit an den Widerwillen der Massen gegenüber autoritären bonapartistischen Konzepten, wie sie in den Reihen des Militärs vorherrschten, nicht nur in dessen rechten Flügel.

Ende 1975 trat die SP wieder in eine neue Übergangsregierung ein, was mit der allmählichen Zurückdrängung der KP und linksradikaler Gruppen einherging. Jetzt spaltete sich auch die MFA. In den unteren Diensträngen und der Marine waren die linken und linksradikalen Kräfte stark, in hohen Rängen und unter den Fallschirmjägern die Rechten. Letztere drängten wieder auf “Recht und Ordnung”. Ein Putsch von linken Offizieren in der MFA mit dem Versuch, die Revolution voranzutreiben, scheiterte – nicht zuletzt daran, dass KP und SP ihn als “Abenteuer” und “Provokation” verurteilten. Ein rechter Putsch im November 1975 schlug ebenfalls fehl. Der Kurs ging zunehmend auf eine Lenkung der Revolution in Bahnen bürgerlicher Ordnung und Bekämpfung der aus Sicht der SP und der gemäßigten Militärs “beiden Extreme” von links und rechts.

Es fehlte 1974 und 1975 eine revolutionäre Kraft mit Verankerung in der Basisbewegung der Arbeiter*innen, armen Bäuer*innen und Jugend sowie in den nach links strebenden Teilen der Armee, die aber gleichzeitig auch in die Debatten und Polarisierungen innerhalb der Massenparteien – allen voran der SP – sowie den Gewerkschaften hätte eingreifen können. 

Demokratische Konterrevolution

Die Parlamentswahlen vom 25. April 1976 ergaben bei einer Wahlbeteiligung von 82% eine erneute Mehrheit von 35% für die SP. Soares wurde sozialdemokratischer Ministerpräsident der ersten zivilen Regierung. Die Bewegung der Streitkräfte löste sich auf. Einige linksradikale Offiziere und soldatische Aktivisten wurden aus dem Dienst entlassen. Portugal ging nach zwei Jahren der Übergangsherrschaft des Militärs und schnell wechselnder Übergangsregierungen zu einer stabilen bürgerlich-parlamentarischen Ordnung über.

Die KP blieb jahrzehntelang die drittstärkste Partei. Soares, der 1974 und 1975 noch antikapitalistische Ziele propagierte, nahm sehr bald davon Abstand. Portugal blieb Mitglied der NATO und machte sich fit für einen Beitritt zur EG, dem Vorläufer der EU. Verstaatlichungen wurden zurückgenommen, viele 1974 und 1975 gebildete Kollektive und Komitees der Arbeiter*innenkontrolle aufgelöst. Die SPD feiert das heute als Erfolgsgeschichte.

Die Staats- und Regierungschefs der westlichen Staaten atmeten auf, dass die Revolution in Portugal nur eine parlamentarische Demokratie und keine Abschaffung des Kapitalismus hervorbrachte. Die Bürokratie in der Sowjetunion und in anderen Ostblockstaaten sprach viel von Solidarität mit der portugiesischen Revolution und förderte natürlich die KP. Sie erhoffte sich eine Änderung des Kräfteverhältnisses im Kalten Krieg, schreckte aber zugleich davor zurück, da eine Revolution in Portugal den Kurs der Entspannung gefährden konnte und fürchtete jede Selbstorganisation der Arbeiter*innenklasse von unten. Mit linken Offizieren und bonapartistischen Regimen kam sie gut aus – aber nicht mit einem Proletariat, das Betriebe und Land selbst in Besitz nahm und sich unabhängig organisierte. 

Und doch zeigt uns die Nelkenrevolution von 1974, dass eine Revolution der Arbeiter*innenklasse in Europa möglich war und es die kurze Chance gab, aus dem Sturz einer Diktatur, die jede Massenbewegung unterdrückt und gelähmt hatte, in kürzester Zeit eine Bewegung zur Umwälzung der ganzen Gesellschaft zu machen, die die Kapitalist*innen weltweit erzittern ließ. Das Erbe der Nelkenrevolution, ihre Symbole und Lieder, beflügeln noch heute die Massen in Portugal, wenn sie gegen die kapitalistischen Zustände aufbegehren, streiken und protestieren. Die Nelkenrevolution fegte eine jahrzehntelange rechte Diktatur hinweg, aber den Kapitalismus beseitigte sie nicht– obwohl das Millionen 1974-76 ernsthaft wollten und fast geschafft hätten.