Frankreich: Polarisierung und ein schwacher Präsident

Amtsinhaber Macron gewann die zweite Runde der Präsidentschaftswahl im April, weil 42% seiner Wähler*innen die rechtsextreme Kandidatin Marine Le Pen verhindern wollten. Für seine neoliberale Politik gab es keinen Enthusiasmus, nur 15,9% haben Macron deswegen gewählt. Bei den Parlamentswahlen im Juni kämpfen drei große Blöcke um die Mandate: Die Unterstützer*innen des Präsidenten, das rechtsextreme Lager um Le Pen und ein neu formiertes linkes Bündnis (NUPES) um Jean-Luc Mélenchon, dass nach Umfragen vorne liegt.

Ben Wallach, Hamburg

Im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl kam Mélenchon mit 21,95% und nur 1,2% Abstand zu Le Pen auf den dritten Platz, unter anderem mit Forderungen für einen Mindestlohn von 1400 Euro pro Monat, feste Preise für Grundnahrungsmittel, ein großes Klimaprogramm, die Senkung des Rentenalters auf 60, die Besteuerung der Reichen, ein Ende der Privatisierungen und die Enteignung der Banken. Seine Bewegung La France Insoumise LFI („Das widerständige Frankreich“) forderte, die Macht des Präsidenten zu begrenzen, der im Krisenfall quasi-diktatorische Vollmachten nutzen könnte. Im Mai erhöhte er wegen der Preissteigerungen die Mindestlohn-Forderung auf 1500 Euro.

Gefahr von Rechts

Die hohen Ergebnisse der Rechten Le-Pen und den anderen Kandidaten der extremen Rechten, Eric Zemmour, der 7% in der ersten Runde erhielt, sind ein Warnsignal. Es gibt eine große Polarisierung. Viele Arbeiter*innen, Arbeitslose und Jugendlichen sehen keine Zukunft mit Macrons Neoliberalismus, der nur der Bourgeoisie geholfen hat. In einem Interview erzählte N’Diaye, ein Schwarzer und Arbeiter bei der Müllabfuhr , dass er Le Pen trotz ihres Rassismus gewählt hat, weil sie behauptet, sie kümmere sich mehr um die Lebenshaltungskosten der arbeitenden Menschen als Macron.

Der FN hat eine lange Geschichte von offenem Rassismus und Zusammenarbeit mit Nazis. Schon zur letzten Wahl hatte Le Pen ihre Partei von „Front National“ (FN) zu „Rassemblement national“ (RN) umbenannt. Dieses Rebranding ist ein Versuch, die Partei als eine „harmlose“ rechtspopulistische, patriotische Partei zu verkaufen und die rechtsextremen, rassistischen und sexistischen Elemente in den Hintergrund zu rücken.

Die Jugend stimmt links

Mélenchons Kampagne hatte es geschafft, viele Nichtwähler*innen zu mobilisieren und enttäuschte Wähler*innen der alten Sozialdemokratie zu überzeugen. Bei den Jugendlichen lag Mélenchon deutlich vorne, nach Umfragen stimmten 34% der 18-24jährigen und 31% der 25-34jährigen für den linken Kandidaten.

Nach der Präsidentschaftswahl ging Mélenchon in die Offensive und schlug vor, zur Parlamentswahl im Juni ein breites linkes Wahlbündnis zu gründen. Daraus entstand die „Neue ökologische und soziale Volkseinheit“ (Nouvelle Union populaire écologique et sociale – NUPES). Sie  besteht aus Mélenchons Partei (LFI), der sozialdemokratischen PS („Sozialistische Partei“) , der grünen EELV (Europe Écologie – Les Verts) und der PCF („Kommunistische Partei“). Die sich als revolutionär verstehenden Gruppen Lutte Ouvrière (Arbeiter*innenkampf) und Neue Antikapitalistische Partei (NPA) beteiligen sich nicht an dem Wahlbündnis. NUPES hat sich auf die Grundforderungen von Mélenchons Programm geeinigt. Mit diesem Bündnis hofft Mélenchon Premierminister zu werden.

Zusammenstoß mit dem Kapital

Im französischen System kümmert sich  die Regierung sich um die Innenpolitik, während der Präsident für die Außenpolitik verantwortlich ist. Eine NUPES-Regierung könnte die großen Reformen, die sie verspricht, durchbringen – allerdings nur, wenn sie den Kampf aufnimmt und dem zu erwartenden Widerstand des Kapitals standhält. Die gesellschaftliche Auseinandersetzung, die nötig wäre, um zu gewinnen, würde auch zu Kontroversen innerhalb dieses uneinheitlichen Bündnisses führen. Mélenchons Programm impliziert, dass kapitalistischer Wettbewerb Teil des Problems ist und fordert die Enteignung und Planung einiger Sektoren, aber bietet keine wirkliche  Lösung. Die inzwischen stark geschrumpfte PS, deren Kandidatin bei der Präsidentschaftswahl nur 1,8% erhielt, hat in ihrer Geschichte immer wieder bewiesen, dass sie jede linke Wahlkampfforderung „vergisst“, wenn sie an der Regierung ist. Sie wird in NUPES wie ein Wachhund des Kapitals agieren. Auch Grüne und PCF scheuen den Konflikt mit der herrschenden Klasse.

In Zeiten wirtschaftlicher Verwerfungen, von Pandemie, Klimakollaps und Krieg können Reformen das Leben der Menschen verbessern, aber das Problem ist das kapitalistische System selbst. Eine von NUPES gestellte Regierung würde bei dem Versuch, ihre Forderungen durchzusetzen, sofort mit Präsident Macron, dem Kapital und dem Staatsapparat zusammenstoßen. Linke Aktivist*innen  und Gewerkschafter*innen müssen sich auf diesen Konflikt vorbereiten und eine breite Bewegung, basierend auf einem antikapitalistischen Programm, aufbauen.

Bild von © MathieuMD / Wikimedia Commons