USA: Streiks bei Walmart

Premiere beim weltgrößten Einzelhändler: Teile der US-Belegschaft wehrten sich mit Ausstand gegen Lohndumping und miese Arbeitsbedingungen

 

Der Einzehandelsriese Walmart erlebte innerhalb weniger Tage seiner 50jährigen Geschichte gleich zwei Premieren: In seinen US-Lagerhäusern und -Geschäften wurde gestreikt. Am 6. Oktober beendeten Beschäftigte des Subunternehmens Roadlink einen 21tägigen Ausstand in Elwood, Illinois. Im größten derartigen Warenlager der USA wehrten sich die Arbeiter gegen unzumutbare Arbeitsbedingungen und schlechte Bezahlung. Parallel dazu ließen auch Beschäftige in großen Walmart-Lagern Südkalifor­niens die Arbeit ruhen. Am 10. Oktober, einem Tag vor dem jährlichen Treffen der Investoren in der Konzernzentrale in Bentonville, Arkansas, trat das Verkaufspersonal in 25 Großsupermärkten in zwölf US-Bundesstaaten in den Ausstand.

Von Eckhard Geitz, Kassel

Laut Werbung bekommen Kunden des Megakonzerns mehr Ware für weniger Geld. Niedrigstpreise sollen für höchste Umsätze sorgen. Die Bilanz zeigt, für das Unternehmen geht die Rechnung auf. Walmart führte 2011 die Rangliste des US-Wirtschaftsmagazins Forbes der weltgrößten Konzerne an – mit einem Jahresumsatz von 447 Milliarden US-Dollar (344 Milliarden Euro) und einem Gewinn von 15,6 Milliarden Dollar. Maßgeblich für diesen »Erfolg« sind die geringen Löhne der Beschäftigten.

Nach Gewerkschaftsangaben zahlen die großen Lagerhäuser zehn Dollar pro Stunde (7,70 Euro). Entlohnung für Überstunden seien selten. Wer Pech habe und pro entladenem Container bezahlt wird, verdiene weniger als acht Dollar pro Stunde. Sicherheitskleidung und Gasmasken zum Entladen besonders staubiger Container fehlten. Kein Wasser für die Schwerstarbeiter, Schichten von bis zu 16 Stunden und das Verladen einzelner Warenstücke, die mehr als 100 Kilogramm wiegen, sind demnach keine Seltenheit. Wer sich beschwert, fliegt raus.

Gewerkschaften gibt es weder bei Walmart noch bei den zahlreichen Leiharbeitsfirmen, bei denen der Konzern Personal anheuert. Frauen müssen sich laut Angaben von Beschäftigten anhören, daß sie härter arbeiten sollen und mit den männlichen Kollegen mitzuhalten haben. In freien Wochen sei das Geld knapp. Häufig seien die Arbeiter gezwungen, sich untereinander etwas zu leihen, um über die Runden zu kommen.

Streik macht Belegschaft unberechnbar

Der Streik hat manches angestoßen: »Es ist zwar immer noch ein sehr weiter Weg, aber inzwischen haben wir schon einige Ventilatoren, und Sicherheitskleidung ist etwas einfacher verfügbar«, berichtete Lagerhausarbeiter Mike Compton gegenüber Amy Goodman vom Internetportal democracynow.org nach dem Streik. Die größte Überraschung für Compton und seine Mitstreiter sei gewesen, dass das Unternehmen trotz des Ausstandes die Löhne nachgezahlt habe.

Kollegen, die nicht gestreikt hätten, seien darüber erstaunt gewesen: »Am liebsten hätten sie sich selbst einen Tritt gegeben, weil sie nicht mitgekommen sind, um für ihre eigenen Rechte einzustehen« so Compton weiter.

Bisher kannten die Beschäftigten nur eine Konsequenz – den sofortigen Rauswurf, sobald jemand die Arbeitsbedingungen im Unternehmen kritisiert hatte. Die plötzliche Kehrtwende nach dem ersten Streik in der Firmengeschichte könnte als Versuch gewertet werden, die Angelegenheit so gut es geht herunterzuspielen. Denn der Druck auf Walmart war plötzlich groß.

Am 3. Oktober hatten die Streikenden in Elwood Zufahrtswege zum Logistikzentrum blockiert. Unterstützung bekamen sie von Gewerkschaften, Gemeindevertretern und aus Kirchen. Am 5. Oktober wurden 100000 Unterschriften für bessere Arbeitsbedingungen bei einer Konzernvertretung in Chicago abgegeben.

»Vor diesen Ausständen war das Personal für Walmart berechenbar. In Bentonville gab es immer Protestierende, aber es hat noch nie eine Unterbrechung von Walmarts Lieferkette gegeben. Die Streiks der Beschäftigten verändern die Situation. Es gab ein Davor, und es gibt ein Danach. Diese Linie haben wir soeben überschritten«, analysierte die Politikwissenschaftlerin Dorian Warren in einem Interview mit dem Redakteur Josh Eidelson von Salon.com.

Die Lieferkette zum Stocken zu bringen: Der Plan der Kampagne Warehouse Workers For Justice (Lagerhausarbeiter für Gerechtigkeit; WWJ) funktioniert. WWJ, selbst keine Gewerkschaft, wird durch die United Electric Workers (UE) unterstützt. Organisatoren der WWJ-Kampagne konzentrieren sich darauf, Walmart anzugreifen, wo das Unternehmen verwundbar ist – bei der Logistik. »Es gibt wenige Produkte, die in den USA verkauft werden, die wir nicht in der Hand hatten«, sagt eine Beschäftigte. Werden wegen eines Streiks Produkte »nicht mehr in die Hand genommen«, sind leere Supermarktregale eine Frage der Zeit. Die durchschnittliche Verweildauer der Waren im Lager beträgt rund 72 Stunden.

Das Signal aus den Lagerhäusern ist angekommen. Im September hat die Chicago Teachers Union (CTU) mit Logistikbeschäftigten aus Elwood gemeinsam gestreikt. Der erfolgreiche CTU-Streik und der Ausstand der Beschäftigten bei Walmart markieren möglicherweise eine Trendwende: Es gibt wieder eine Perspektive für die Wiederbelebung gewerkschaftlicher Gegenmacht in den USA.

 

Dieser Artikel erschien zuerst in der Tageszeitung junge Welt.
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