DIE LINKE: Regierungskoalitionen mit SPD – nicht kleinere, sondern weitere Übel

Lehren vom Lafontaine-Rücktritt vor zehn Jahren. Jede Verbesserung muss durch Massenproteste erkämpft werden


 

Nach den Wahlerfolgen im Saarland und in Thüringen eröffnete Oskar Lafontaine die anschließende Vorstandssitzung der Linkspartei am Montag, den 31. August mit den Worten: „Wenn wir können, werden wir regieren: überall, wo es geht.“ Laut SPIEGEL leistete keiner der GenossInnen im Saal „Widerspruch, es gab nicht einmal eine zarte Nachfrage. „Das war die friedlichste Sitzung seit Jahren“, wunderte sich Vorstandsmitglied Jan Korte“ (SPIEGEL 37/2009). Dabei ist es genau zehn Jahre her, dass Lafontaine als Bundesfinanzminister zurück getreten war – nachdem er erfahren musste, welchen Druck die Konzernspitzen auf Regierungen ausüben können.

von Aron Amm, Berlin

1999 hatte Lafontaine die Vorstandsetagen der Dax-30-Konzerne erzürnt, als er – relativ gemäßigte – Steuererhöhungen, Mehrbelastungen für Stromriesen und eine stärkere Regulierung der Finanzmärkte anvisierte. Selbst solche äußerst bescheidenen Einschränkungen der Unternehmermacht wären nur durchzusetzen gewesen, wenn die damalige rot-grüne Bundesregierung bereit gewesen wäre, mit der „Wirtschaft“ eine harte Konfrontation einzugehen und massenhaft gegen die Herrschenden zu mobilisieren. Das war schon vor zehn Jahren weder mit den Grünen noch mit der SPD, die seinerzeit von Lafontaine geführt wurde, vorstellbar. Heute, nachdem die SPD seit elf Jahren der Bundesregierung angehört und zu den Architekten der Agenda 2010 zählt, ist das erst Recht ausgeschlossen.

LINKEN-Spitze auf Regierungskurs

Während Lafontaine als Partei- und Fraktionsvorsitzender der LINKEN noch vor Kurzem Mindestbedingungen bezüglich Rot-Rot formuliert hatte, war davon nach den jüngsten Landtagswahlen kaum noch die Rede. Spitzenkandidat Bodo Ramelow erklärte in Thüringen sogar forsch, er gehe ohne jegliche Vorbedingungen in Sondierungsgespräche.

Schon die Wahlkämpfe im Saarland, in Thüringen und in Sachsen waren – wie das ganze Agieren der Parteispitze seit dem Einsetzen der Rezession, beispielsweise als das Bankenrettungspaket im Bundestag geschnürt wurde – von staatsmännischem Gehabe gekennzeichnet. Man gebärdete sich als Retter der Sozialdemokratie. Und Lafontaine ließ wiederholt durchblicken, dass er perspektivisch auf eine gemeinsame starke sozialdemokratische Partei hinarbeitet.

Nein zu Beteiligungen an SPD-geführten Regierungen

SAV-Mitglieder haben in den letzten Jahren vehement vor Regierungsbeteiligungen – ob in Form einer Tolerierung oder Koalition – mit den Hartz-IV-Parteien SPD und Grüne, die sogar die ersten Kriegseinsätze der Bundeswehr zu verantworten haben, gewarnt. Wir haben erklärt, dass ihr bundespolitischer Kurs in den Ländern und Kommunen seine kongeniale Entsprechung findet. Und wir haben darauf verwiesen, dass mit der Beteiligung am SPD-geführten Berliner Senat keineswegs Schlimmeres verhindert wird, sondern gravierende Sozialkürzungen und Angriffe auf gewerkschaftliche Rechte mitgetragen werden. Maßnahmen, die nicht nur die Glaubwürdigkeit der Linkspartei, vormals PDS, erschütterten, heftige Stimmenverluste mit sich brachten, sondern auch den Widerstand in der Stadt schwächten.

Obwohl diese Beweislast drückend ist, klammern sich Parteimitglieder und Anhänger an die Hoffnung, dass man in Regierungskoalitionen zwar Kompromisse schließen müsse und einige Kröten zu schlucken hätte, aber doch die eine oder andere Verbesserung auf den Weg gebracht werden könnte. Darum ist es nötig, sich stets zu vergegenwärtigen, dass wir in einer Klassengesellschaft leben. In jeder einzelnen politischen Frage treffen nicht nur unterschiedliche, sondern sich widersprechende Interessen aufeinander. Wie es schon in Kurt Tucholskys „Lied vom Kompromiss“ hieß: „Durch Deutschland geht ein tiefer Riss, dafür gibt es keinen Kompromiss.“ Die Unternehmer haben noch nie still gehalten und Maßnahmen, die sie belasteten, widerstandslos hingenommen. Das galt selbst in Aufschwungjahren. Und es gilt erst Recht in Krisenzeiten.

Löhne, Arbeitszeit, Investitionen = Verteilungsfragen

Gestern wie heute argumentieren Teile der politischen Linken, dass einzelne progressive Schritte wie Lohnerhöhungen, Arbeitszeitverkürzungen oder Investitionsprogramme durchaus zum Nutzen aller sein könnten.

Wenn Axel Troost, Bundestagsabgeordneter der LINKEN, meint, dass höhere Löhne die Nachfrage ankurbeln würden und sich damit die kapitalistischen Probleme lösen ließen, dann zerbricht er sich den Kopf für die Kapitalisten. Natürlich „kaufen Autos keine Autos“, wie Henry Ford schon erkannte. Folglich hätte Daimler-Chef Dieter Zetsche auch nichts dagegen, wenn die Beschäftigten von Aldi soviel verdienen würden, dass sie sich einen Mercedes leisten können. Nur: Die Aldi-Brüder selber können damit nicht einverstanden sein. Weil Lohnsteigerungen im eigenen Unternehmen die Profite von Karl und Theo Albrecht schmälern und sie im Konkurrenzkampf unmittelbar zurückwerfen (und anfällig für Übernahmen machen) würden.

Bei der Frage der Arbeitszeitverkürzung das gleiche Spiel. Immer wieder behaupteten keynesianisch beeinflusste Gewerkschafter in der Vergangenheit, dass eine Verkürzung der Arbeitszeit durchaus dem Arbeitgeber zu Gute kommen könnte: zum einen durch eine Produktivitätssteigerung auf Basis von ausgeruhteren Beschäftigten, die in weniger Zeit mehr leisten könnten, und zum anderen durch eine Erhöhung der Kaufkraft, die doch den Auftragseingang beflügeln würde. Allerdings zeigte schon der erbitterte Widerstand der Metall-Arbeitgeber in der Auseinandersetzung um die 35-Stunden-Woche 1984, dass tagtäglich der gleiche Verteilungskampf zwischen Unternehmern und Lohnabhängigen, zwischen Kapital und Arbeit tobt, – um die Höhe des Lohns beziehungsweise um den Mehrwert, aus dem sich der Profit speist. Jürgen Schrempp, Ex-Daimler-Vorsitzender, antwortete bekanntlich einmal auf die Frage, worauf es aus Unternehmersicht ankommt: „Profit, Profit, Profit.“

Investitionsprogramme wollen Keynesianer in der Regel durch eine höhere Kreditaufnahme des Staates auf den Weg bringen. Hier stellt sich ebenfalls direkt die Frage, wer diese Mittel finanzieren soll. Wenn diese Staatsgelder über eine steuerliche Mehrbelastung der Unternehmen aufgebracht werden sollen, dann sind Drohungen nach Investitionsboykott und Kapitalflucht programmiert.

Das Beispiel der Mitterand-Regierung

Welcher Widerstand das Kapital Reformplänen entgegenbringt, beweisen eindrucksvoll die Erfahrungen mit der Mitterand-Regierung in Frankreich Anfang der achtziger Jahre. 1981 hatte Francois Mitterand von der Sozialistischen Partei im Bündnis mit der KP eine absolute Mehrheit bei den Wahlen erringen können. Dieser Wahlerfolg basierte auf weitreichenden Reformversprechen: Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich und eine Serie von Verstaatlichungen. Am Wahlabend tanzten und feierten eine Million Menschen in den Straßen von Paris und erwarteten sich den Beginn sozialistischer Veränderungen in Frankreich. Doch sofort bedienten sich die Herrschenden des bekannten Droharsenals: Betriebsverlagerungen, Einstellung von Investitionen und den Abzug von Kapital ins Ausland. Nach nur einem halben Jahr Reformanstrengungen knickte das Kabinett ein. So wurde beispielsweise die Arbeitszeit nur um eine Stunde verkürzt, weitere geplante Verkürzungen fanden nicht mehr statt. Bald gingen die Führungen von SP und KP unter dem Druck der Unternehmer von Reformen zu Konterreformen über.

Das Beispiel von Lafontaine als Finanzminister

Leidet Lafontaine unter Amnesie oder warum ignoriert er seine eigenen Erfahrungen, die genau zehn Jahre zurückliegen, heute komplett? Als Lafontaine nach der Bundestagswahl 1998 und der Amtsübernahme durch Rot-Grün Gesetzesentwürfe zur steuerlichen Mehrbelastung der Unternehmen (beziehungsweise zum Stopfen von Steuerschlupflöchern) und zu einer verstärkten Regulierung der Finanzmärkte plante, wirkten Arbeitgeberverbände, Konzernchefs und die Wirtschaftslobby insgesamt massiv auf die Regierung unter Gerhard Schröder ein, einen Kurswechsel herbeizuführen. Die Ereignisse vor einem Jahrzehnt enthielten viele Elemente eines Putsches: Kräfte, die niemand gewählt hatte, übten vielfältigen Druck auf die Regierung aus und bewirkten erfolgreich den Rücktritt des Finanzministers und eine Richtungsänderung von Rot-Grün.

Wenige Tage, bevor Lafontaine seinen Hut nahm, war es zu einem „privaten“ Treffen zwischen dem damaligen Vorstandsvorsitzenden von Daimler, Jürgen Schrempp, und Gerhard Schröder gekommen. Laut Detroit News soll Schrempp dem Bundeskanzler gesagt haben: „Wenn Sie die Sache mit Lafontaine nicht bereinigen, werden Sie einige ihrer stärksten Unterstützer verlieren.“ Kurz darauf schrieb der Finanzchef von Daimler, Manfred Gentz, einen Brief an Schröder, in dem er drohte, den Firmensitz von Stuttgart nach Detroit zu verlegen. Gleiches zog der Vorstandsvorsitzende des Versicherungsunternehmens Gerling, Jürgen Zech, gegenüber der Regierung in Erwägung. Anfang März 1999 richteten dann 22 Spitzenmanager einen „Brandbrief“ an das Kabinett, in dem ultimativ die Rücknahme der Steuerreform gefordert wurde. Zu den Unterzeichnern des Briefes gehörten Krupp-Thyssen-Chef Gerhard Cromme und Deutsche-Bank-Aufsichtsrat Hilmar Kopper.

All das zeigte rasch Wirkung. Joschka Fischer berichtet in seinen „Memoiren“ von der Kabinettssitzung am 10. März, dem Tag vor Lafontaines Rücktritt. Auf der Sitzung soll Schröder als Erster das Wort ergriffen und los gepoltert haben, dass die „Politik der Nadelstiche“ gegen die Industrie ein Ende haben müsse. Am nächsten Tag titelte BILD: „Schröder droht mit Rücktritt!“ Der Kanzler wurde mit den Worten zitiert: „Ich lasse mit mir keine Politik gegen die Wirtschaft machen. (…) Es wird einen Punkt geben, wo ich die Verantwortung für eine solche Politik nicht mehr übernehmen werde.“ Fischer schrieb, auf dieses Zitat „folgten, sehr korrekt wiedergegeben, die Ausführungen des Bundeskanzlers im Kabinett. Die wichtigsten Teile wurden sogar wörtlich und in direkter Rede wiedergegeben. Diese „Indiskretion“ konnte nur aus dem Kanzleramt selbst kommen, von weit oder sogar von ganz oben, und offensichtlich sollte damit in der Kontroverse mit Lafontaine vor allem öffentlich nach gelegt werden.“

Obwohl Schröder die damaligen Pläne lediglich als „Nadelstiche“ bezeichnete, wurden Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt. Nachdem Lafontaine als Bundesfinanzminister und SPD-Parteivorsitzender zurück getreten war, knallten die Sektkorken in den Chefetagen. Die Aktienkurse an der Frankfurter Börse schnellten am selben Tag um sechs Prozent nach oben.

Mit kämpferischer und sozialistischer Politik DIE LINKE weiter aufbauen

Wenn Josef Ackermann und Kanzlerin Angela Merkel zusammen Johannisbeerkuchen speisen, wird nicht nur unverbindlich über Gott und die Welt geplaudert. Die Bankenkrise zeigte einmal mehr in aller Schärfe die Dominanz der Banken und Konzerne auf. Auf massiven Druck der Bosse und Bänker wurde in kürzester Zeit bekanntlich ein Bankenrettungspaket von 480 Milliarden Euro auf den Weg gebracht. Und wenn Bundesminister mal nicht sputen wollen, dann wird nachgeholfen, wie das Protokoll der Bankenaufsicht Bafin bezüglich des Rettungsschirms für die Hypo Real Estate im letzten September offenbarte.

Die Dominanz des Kapitals bedeutet jedoch nicht, dass sich heute nichts erreichen ließe. Sie bedeutet nur, dass es illusorisch ist, in der Koalition mit SPD und Grünen Umverteilungsmaßnahmen von oben nach unten einfach per Gesetz erreichen zu können.

Voraussetzung für jede Reform im Interesse der Arbeiterklasse ist heute eine massenhafte Mobilisierung der arbeitenden Bevölkerung. Es sei daran erinnert, dass die Anti-AKW-Bewegung erheblich mehr durchsetzen konnte als die Partei der Grünen. Ursprünglich plante die Atomlobby 80 Atomkraftwerke in der Bundesrepublik, gebaut wurde schließlich ein Viertel davon. Mehrere konkrete Bauvorhaben konnten durch Massenproteste in den siebziger und achtziger Jahren gestoppt werden.

Zwar können auch heute Angriffe verhindert und einzelne Verbesserungen erzielt werden. In Zeiten des kapitalistischen Niedergangs werden solche Erfolge aber nie von Dauer sein können. Darum muss der Kampf für Verbesserungen mit dem Kampf für eine sozialistische Gesellschaft verbunden werden.

Jetzt gilt es, in der LINKEN mit allem Engagement für diese Ausrichtung einzutreten. Natürlich wird die Linkspartei nicht über Nacht bei Wahlen eine absolute Mehrheit holen. Aber das Ergebnis im Saarland zeigt, dass auch auf der Wahlebene ein sprunghaftes Wachstum möglich ist. Und die Einbrüche von SPD und CDU in den letzten Jahren belegen, was auf der politischen Ebene gerade in Bewegung kommt. Wenn DIE LINKE Wahlerfolge und Parlamentssitze nutzt, um Kämpfe und Kampagnen zu unterstützen, Kurs hält auf eine grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen Machtverhältnisse und dabei nicht den Konflikt mit den Herrschenden scheut, dann kann die Partei in ganz anderem Maße als bislang Mitglieder und Anhänger gewinnen. Auf dieser Basis ist es möglich, in den nächsten Jahren eine Partei aufzubauen, die bei Wahlen Mehrheiten holt und, gestützt auf eine Massenbewegung, mit einer konsequent sozialistischen Regierungspolitik das Kapital ernsthaft herausfordern kann.