Imperialismus

Vor hundert Jahren ist der Kapitalismus in ein neues Stadium getreten, in das Stadium des Imperialismus. Das vergangene Jahrhundert, das Jahrhundert des Imperialismus, war das blutigste in der gesamten Menschheitsgeschichte. Hundert Millionen kamen in den Kriegen des 20. Jahrhunderts ums Leben, mehr als zwischen dem Beginn der Zivilisation und dem Ende des 19. Jahrhunderts.
 

Imperien gab es bereits vor dem Aufstieg des Kapitalismus. Die Sklavenreiche in Griechenland und Rom eroberten Land, unterwarfen andere Völker und häuften ungeheure Reichtümer für die Klasse der Sklavenhalter an. Auch das Mittelalter, der Feudalismus, war von Eroberungskriegen geprägt, wie den Kreuzzügen im Nahen Osten, in denen Adel, Feudalherren und Kirche AraberInnen unterjochten.
Der Imperialismus stellt eine neue Stufe in der Geschichte von Klassengesellschaften dar. Der russische Revolutionär Lenin gab seinem Buch mit einer grundlegenden Analyse aus marxistischer Sicht zurecht den Titel: „Der Imperialismus, das höchste Stadium im Kapitalismus“. Nach Lenin zeichnete sich der Imperialismus ökonomisch dadurch aus, dass Monopole im Wirtschaftsleben dominieren, dass Industrie- und Bankkapital zum Finanzkapital verschmelzen, der Kapitalexport gegenüber dem Warenexport an Bedeutung gewinnt, die Aufteilung der Erde unter die multinationalen Konzerne beginnt und die territoriale Aufteilung des Planeten unter den Großmächten abgeschlossen ist.
Bis 1900 hatten Britannien und Frankreich die Welt weitgehend kolonialisiert. Die Kolonialstaaten wurden durch die neuen imperialistischen Mächte wirtschaftlich ausgepresst und ausgeplündert (Rohstoffe, billige Arbeitskräfte, Absatzmärkte). Nach dem die Welt unter den Großmächten aufgeteilt war, versuchten die „Zu-kurz-Gekommenen“, eine Neuaufteilung herbeizuführen. Die Folge waren zwei Weltkriege.
Nach dem Zweiten Weltkrieg konnten die unterdrückten Massen in Afrika, Asien und Lateinamerika in revolutionären Kämpfen die formale Unabhängigkeit ihrer Länder erreichen. Trotz der rechtlichen Unabhängigkeit ist die ökonomische Abhängigkeit für die meisten früheren Kolonialstaaten geblieben – und gestiegen. Darum bezeichnen SozialistInnen diese Länder heute auch als neo-koloniale Länder.
Die Wirtschaft vieler Länder ist von Monokulturen gekennzeichnet (in Chile dominierte jahrzehntelang Kupfer, in Kolumbien Kaffee und so weiter). Die Preispolitik der führenden Industriestaaten zwang die unterentwickelten Länder, Rohstoffe zu verkaufen und Fertigprodukte zu kaufen. Die Schere zwischen den armen und reichen Ländern hat sich weiter geöffnet: Die Schweiz ist heute 400 Mal so reich wie Mosambik. Die Verschuldung der so genannten „Dritten Welt“ gegenüber den führenden kapitalistischen Staaten ist allein in den neunziger Jahren von 1,5 auf 2,2 Billionen US-Dollar angestiegen.
Die Merkmale des imperialistischen Stadiums, wie sie Lenin herausgearbeitet hatte, gelten in diesen Tagen mehr als je zuvor. 500 Multis kontrollieren 90 Prozent des Weltmarktes. Unter den 100 größten Wirtschaftseinheiten sind 51 Konzerne und 49 Nationalstaaten. Der Jahresumsatz von DaimlerChrysler entspricht dem Bruttoinlandsprodukt von Indonesien. Zwölf Prozent von DaimlerChrysler gehören der Deutschen Bank direkt, über weitere Teile verfügt sie durch bei ihr gelagerte Aktiendepots.
Ob ein Land imperialistisch ist, hängt von seiner Wirtschaftsstruktur und dem von ihr bestimmten Interessen der herrschenden Klasse ab. Auch ein wirtschaftlich schwächeres Land, in dem die wenige vorhandene Industrie stark monopolisiert und mit den Banken verflochten ist, ist ein imperialistisches Land. Die Kapitalistenklasse des ex-kolonialen (oder neo-kolonialen) Indiens versucht beispielsweise, aus anderen Ländern Profite zu saugen und einen Staat wie Sri Lanka in ihre Abhängigkeit zu bringen.
Krieg ist nach wie vor die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Mit dem Krieg gegen Afghanistan und dem geplanten Krieg gegen den Irak werden die ökonomischen, politischen und geostrategischen Interessen der größten imperialistischen Mächte mit militärischen Mitteln verfolgt. In diesen Kriegen werden neue Waffen getestet – um sich auf künftige Kriege vorzubereiten. Diese Ereignisse strafen die These von den Autoren des Buches „Empire“ Lügen, die von einer post-imperialistischen Epoche sprechen, in denen Kriege nur noch die Aufgabe von Polizeiaktionen hätten, Nationalstaaten überwunden wären und die Macht nicht mehr lokalisierbar wäre.
Während die Erwärmung des Klimas steigt, kühlen sich die Beziehungen zwischen Konzernen und Nationalstaaten – im Verlauf der Weltwirtschaftskrise – ab. Handelskonflikte und Handelskriege werden verstärkt zu militärischen Auseinandersetzungen führen – wenn die arbeitende Bevölkerung sich nicht über alle Grenzen hinweg zusammentut, und dem Imperialismus nicht „den Krieg erklärt“.