ver.di zwischen den Tarifrunden: Kämpferische Opposition nötig

48% haben gegen den Abschluss bei Bund und Kommunen gestimmt, so viele Gegenstimmen gab es im öffentlichen Dienst seit 1992 nicht mehr. Viele Aktive wünschen sich einen entschlosseneren Kurs ihrer Gewerkschaft. Was können sie tun und wo steht ver.di gerade?

von Jan Hagel, Hamburg

Der Abschluss ist mit niedrigen Lohnerhöhungen und der Möglichkeit von längeren Arbeitszeiten ein schlechtes Vorzeichen für kommende Tarifrunden, zum Beispiel bei den Ländern Ende diesen Jahres – und das in einer Lage, in der unberechenbare Kriege und Handelskriege erneut zu hoher Inflation führen könnten.

Je nach Ort und Bereich war die Stimmung unterschiedlich. Gut organisierte Belegschaften wollten einen Erzwingungsstreik. Weniger gut aufgestellte Belegschaften hielten keinen besseren Abschluss für möglich, weil der Organisationsgrad zu gering und die Streikbeteiligung zu niedrig sei.

Der niedrige Organisations- und Aktivitätsgrad in einigen Bereichen ist ein reales Problem. Allerdings: durch Verzicht und enttäuschende Abschlüsse wird es nicht besser, sondern das Problem verschärft sich. Dazu kommt, dass die Führung und viele Hauptamtliche nicht bereit waren, in eine harte Auseinandersetzung zu gehen. Bei ihnen spielt die “staatsbürgerliche Verantwortung” eine Rolle, vor allem gegenüber der SPD.

Es gibt in den letzten Jahre mehr demokratische Elemente bei ver.di. Gewerkschaftssekretär*innen und Betriebsgruppen versuchen, in Tarifrunden über Befragungen, Infoveranstaltungen und Versammlungen Mitglieder einzubeziehen, von der Forderungsfindung bis zu Diskussionen über Verhandlungsstände. Das gilt aber noch lange nicht für jeden Betrieb oder Dienststelle. Bei den großen Flächentarifrunden wird oft nur “von oben nach unten“ durch Livestreams kommuniziert, echten Austausch gibt es nur, wenn er vor Ort organisiert wird.

Und trotz dieser begrenzten Entwicklung in Richtung mehr Demokratie ist die Führungsspitze von ver.di immer noch an die SPD gebunden und verzichtet im Zweifel im Namen der “Sozialpartnerschaft” auf Arbeitskampfmaßnahmen, wenn sie nicht durch Druck von unten dazu gezwungen werden. Sie halten eisern an der Schlichtungsvereinbarung im öffentlichen Dienst fest, mit der die Arbeitgeber in den letzten beiden Tarifrunden die Streiks abgewürgt haben.

Opposition organisieren

Wenn die 48% der Kolleg*innen, die gegen den Abschluss gestimmt haben, mit ihrer Unzufriedenheit allein bleiben, drohen Resignation und Austritte aus der Gewerkschaft. Glücklicherweise gibt es neben kämpferischen Betriebsgruppen in einigen Städten auch lokale Initiativen linker und kämpferischer Gewerkschafter*innen, die sich betriebs- und teils gewerkschaftsübergreifend austauschen und unterstützen. Bisher fehlt eine starke überregionale Vernetzung, die Erfahrungen aus Arbeitskämpfen verallgemeinert und Lehren daraus zieht. Die überregional agierenden Gruppen – z.B. die VKG (Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften) oder das Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di – leisten inhaltlich wichtige Arbeit, sind im jetzigen Stadium jedoch eher Diskussionszusammenhänge als praktisch kämpfende Opposition mit betrieblicher Verankerung. 

Eine breit verankerte Vernetzung könnte Forderungen für weitere Demokratisierung entwickeln  und müsste sich auch politisch gegen Aufrüstung und Sozialabbau positionieren. Für diese Positionen müsste sie innerhalb von ver.di und den anderen DGB-Gewerkschaften um Mehrheiten kämpfen und eine starke Opposition gegen die SPD-dominierte Führung aufbauen.

Rolle der Partei Die Linke

Die AG Betrieb & Gewerkschaft der Linken kann einen neuen Ansatz bieten. Spätestens seit der großen Eintrittswelle sind viele gewerkschaftlich aktive Kolleg*innen auch Mitglieder der Linken. Die Partei sollte sie miteinander in Kontakt bringen und ins Gespräch darüber kommen, wie man gemeinsam die Gewerkschaften verändern kann.

Viele führende und öffentlich präsente Vertreter*innen der Linken lehnen ab, sich zu Tarifabschlüssen zu äußern, um es sich nicht mit den Gewerkschaftsführungen zu verscherzen. Dieser vorauseilende Gehorsam ist falsch, denn so sind in der Öffentlichkeit nur die Stimmen der Verhandlungsspitzen, der Arbeitgeber und von bürgerlichen Journalist*innen zu hören, die jeden Abschluss als den bestmöglichen, zu hoch oder viel zu hoch darstellen. Die Linke könnte die Stimmen von unzufriedenen Kolleg*innen hörbar machen, ihnen Orientierung geben und so die kämpferischen Kräfte in den Gewerkschaften stärken.