Repression auf Gaza-Demos: Präventive Sprachpolizei

Auch Demonstrationsverbote und Polizeigewalt konnten die Proteste gegen die Bombardierung Gazas nicht verhindern. Jede Woche sind in Deutschland Tausende auf den Straßen, ermutigt durch die Millionen, die weltweit protestieren. Die Stimmung in der Bevölkerung ist emphatisch für die Opfer des Massakers, doch Mobilisierung von Staat, Parteien und Medien für Israels Krieg hält an. Die Gaza-Demos werden von der Polizei genutzt, um demokratische Rechte grundlegend auszuhebeln.

Auf einer Kundgebung vor der Uni Köln am 22. November betätigten sich Polizist*innen als Sprachpolizei, die vorbeugend alle schriftlichen Materialen unter den Verdacht von Strafbarkeit stellten. Ein Transparent der SAV Köln wurde “sichergestellt”. Daraufhin haben Mitglieder der SAV Köln einen offenen Brief an die Medien, die Gewerkschaften und die LINKE verfasst, aus dem wir an dieser Stelle zitieren:

Vor und während der Kundgebung wurde Teilnehmenden untersagt, Flugblätter zu verteilen oder Zeitschriften anzubieten, ohne dass die Polizeibeamt*innen den Inhalt kannten […] Es wurde seitens der Polizei untersagt, ein Transparent zu zeigen auf dem stand: “Gaza – Stoppt das Massaker, Für die Einheit der Arbeiter*innenklasse gegen Besatzung, Armut und Kapitalismus”. Außerdem stand auf dem Transparent “Stoppt das Massaker in Gaza” sowohl in Hebräisch als auch in Arabisch. Die Begründung seitens der Polizei lautete: Der Inhalt müsse erst überprüft werden. Nachdem die Kundgebung begonnen hatte und es keine weiteren Infos seitens der Polizei gab, wurde dieses Transparent entrollt […] Später wurde den Personen, die das Transparent hielten, von Polizeibeamt*innen befohlen, das Transparent einzurollen. Ihnen wurde mitgeteilt, dass gegen sie Strafanzeige erstattet würde, weil der Anfangsverdacht der Volksverhetzung bestünde.

Ihre Personalien wurden festgestellt, das Transparent wurde […] auch nach der Kundgebung von der Polizei einbehalten. Der Tatbestand der Volksverhetzung ist in §130 StGB geregelt. Selbst juristische Laien können erkennen, dass Aussagen wie “Stoppt das Massaker in Gaza” nicht als Volksverhetzung gewertet werden können. Formaljuristisch fehlt schon jede Bezugnahme darauf, wer hier ein Massaker anrichtet.

Die Polizei hatte zunächst nach der Rasenmähermethode Verbote von Flugblättern, Plakaten, Transparenten, Zeitschriften aufgestellt und durchgesetzt. Und dabei selber gesagt, sie werde erst später prüfen, ob eine strafbare Handlung vorliegen würde. Das […] kommt einer Zensur gleich […] Die Polizei kann somit völlig willkürlich in jede Demonstration eingreifen und Äußerungen beschränken bzw. verbieten, ohne dass für die Mutmaßungen der Beamt*innen eine rechtliche Grundlage existieren würde.

Offener Brief der SAV Köln

Zudem geht die Polizei dazu über, per vorzulesenden Auflagen vorzuschreiben, was auf einer Kundgebung gesagt werden darf. In Köln heißt es standardmäßig, verboten sei die “Billigung einer alternativen Staatsform, welche der freiheitlich- demokratischen Grundordnung zuwiderläuft, wie etwa ein Kalifat oder andere diktatorische Systeme”. Verboten ist auch der Slogan “Palestine will be free, from the river to the sea”, obwohl noch im August 2023 das Berliner Verwaltungsgericht feststellte, darin sei nicht eindeutig eine feindselige Haltung gegen den Staat Israel enthalten.

Diese Auflagen sind politisch gezielt, aber juristisch willkürlich. Sie sind rechtswidrig, aber zunächst entfalten sie ihre Wirkung. Demonstrierende ohne deutschen Pass beispielsweise werden sich nun gut überlegen, was sie für Schilder hochhalten, oder ob sie überhaupt auf die Straße gehen. Kundgebungsleitungen werden vom Staat gezwungen, die Sicht der aktuell Regierenden auf politische Fragen vorzulesen und faktisch zu übernehmen.

Wenn sie damit durchkommen, werden sie solche Maßnahmen auf andere Demonstrationen ausdehnen und die Beschränkung von Meinungs- und Pressefreiheit intensivieren. Was werden sie sagen, wenn wir Vermieter*innen als “Miethaie” oder Konzernchefs als “Ausbeuter*innen” bezeichnen? Der verwendete Begriff der “freiheitlich-demokratischen Grundordnung” (FDGO) ist im Grundgesetz nicht enthalten. Er stammt aus dem Verbotsverfahren gegen die KPD 1956 und wurde konstruiert, um die Abschaffung des Kapitalismus und die Idee einer alternativen Gesellschaft in die illegale Ecke zu rücken. Dass er aus der Mottenkiste der Verfolgung von Kommunist*innen geholt wird, sollte der gesamten Arbeiter*innenbewegung eine Warnung sein.