Haushaltskrise der Ampel: Neoliberaler Taumel

Schon im ursprünglichen Haushaltsentwurf vor dem Verfassungsgerichtsurteil, welches die Übertragung von 60 Milliarden übrig gebliebener Corona-Hilfsgelder in den “Klima- und Transformationsfonds” für rechtswidrig erklärte, waren massive Sozialkürzungen enthalten. Jetzt fehlt es an allen Ecken und Enden. An die Schuldenbremse will die Ampel nicht ran, höhere Steuern für die Reichen schließt sie aus. Bleiben nur noch der automatisierte Kahlschlag und eventuell ein kläglicher Nachtragshaushalt.

Von Claus Ludwig, Köln

Deutschland bewegt sich in Richtung eines massiven De-Investments, welche die bereits begonnene Rezession verschärft und gerät gegenüber der imperialistischen Konkurrenz vor allem aus den USA und China mit ihren Ausgabenprogrammen, wie Bidens Inflation Reduction Act, ins Hintertreffen. Die 60 Milliarden aus dem Klima- und Transformationsfonds, deren Verwendung das Gericht untersagt hat, reichten ohnehin nie für einen wirksamen Klimaschutz. Allerdings beinhalteten sie Anschub-Investitionen für den Umbau von Konzernen, den diese aus eigenen Mitteln nicht leisten konnten oder wollten. Alle Welt redet vom Green New Deal, Ampel und Union machen gemeinsam No Deal.

Kurzfristige Gier des Kapitals

Selbst aus Sicht des Kapitals ist das eigentlich purer Wahnwitz. Das interessante Wort dabei ist eigentlich. Die Kapitalist*innen brauchen einerseits staatliche Investitionsprogramme – und die Fähigkeit, zumindest für einige Jahre über den Tellerrand hinauszudenken, um sich für die Konkurrenz neu aufzustellen. Doch meist überwiegt die kurzfristige Gier. Während China E-Autos entwickelte, ersonnen deutsche Autokonzerne ein Betrugssystem, um so lange wie möglich Dieselfahrzeuge in den Markt zu drücken.

Der Staat geizt mit Investitionen. Die Infrastruktur verfällt, Bildungswesen, Kitas und Gesundheitssystem werden zunehmend dysfunktional, den Unternehmen fehlt der Nachwuchs, der Bau bezahlbarer Wohnungen ist weitgehend eingestellt. Aber wie Profit-Junkies verdrängen die Kapitalist*innen ihre Sorgen und richten ihren Blick fasziniert auf die Schuldenbremse, die faktisch bis zum Ende der Bundesrepublik neoliberale Politik garantiert. Mit deren Verankerung im Grundgesetz haben SPD, Grüne, FDP und Union dem Kürzen von Sozialleistungen Verfassungsrang gegeben. Zivile Investitionen sind nur noch während Seuchen und nach Naturkatastrophen möglich, nicht aber zu deren Vorbeugung. Den kleinen bis großen Kapitalbesitzer*innen läuft das Wasser im Munde zusammen, wenn sie von Plänen hören, die Sozialleistungen zu drücken und Druck auf Bürgergeld-Bezieher*innen auszuüben, für geringes Geld Jobs annehmen zu müssen. Denn das erhöht die Chance, dass sich die Beschäftigten nicht mehr trauen, hohe Lohnforderungen zu stellen, um wenigstens einen Teil der Preissteigerung auszugleichen. 

Sozialkahlschläger-Battle

Befördert wird dieser neoliberale Taumel durch die politischen Konstellationen. Die FDP funktioniert als Wächter in der Ampel-Koalition, um die Kürzungspolitik abzusichern und die Reichen vor Steuererhöhungen zu schützen, für den unwahrscheinlichen Fall, dass SPD oder Grüne irgendwo noch Reste von Mut finden und Gegenteiliges vorschlagen. Die Merz-Union vertritt eine ähnliche Position und konkurriert mit der FDP um die Rolle des brutalsten Sozialkahlschlägers. Die AfD spielt sich als Opposition auf, doch den Sozialabbau bejubelt auch sie.

Angefeuert werden sie von vielen Journalist*innen, welche tagein, tagaus den Unsinn wiederholen, der Verzicht auf öffentliche Investitionen wäre eine Wohltat für die kommenden Generationen. Der Satiriker Sebastian Hotz (El Hotzo) hat dazu bereits alles Wichtige gesagt: “ultra Bock 2065 durch die Ruinen eines Bahnhofs zu spazieren und zwischen zwei Bissen Grillratte meinen Enkelkindern zu sagen, dass es zwar schade ist, dass damals weder in Klimaschutz noch Infrastruktur investiert wurde, aber immerhin müssen sie jetzt keine Schulden zurückzahlen.”

Während das deutsche Kapital und und seine Parteien beim Umbau von Produktion und Energieerzeugung planlos zu taumeln scheinen, sind sie in anderen Bereichen in der Lage, strategisch zu denken. Sie bereiten sich auf zunehmend gewalttätige imperialistische Konflikte vor; Verteidigungsminister Pistorius fordert, das Land müsse “kriegstüchtig” werden. In einem “Adventsbrief” an Scholz genannten Kommentar fordert der WDR-Journalist Ralph Sina drei Zeitenwenden: 1. Staatliche Gelder für den Umbau der Konzerne, 2. “Überprüfung” von Sozialleistungen, 3. Die atomare Bewaffnung Europas. Damit beschreibt er den Sound für die nächsten Jahre: Die arbeitende Klasse und die Armen sollen die Vorbereitung des Landes auf den härter werdenden Konkurrenzkampf bezahlen, die Rüstungsausgaben steigen.

Ob sich die Kapitalist*innen und ihre Politiker*innen dabei selbst ein Bein stellen und den für sie nötigen Umbau der Wirtschaft sabotieren oder ob sich ein Mindestmaß an strategischem Denken durchsetzt und sie einen Workaround finden, die Schuldenbremse auszutricksen oder zu modifizieren, ist für die arbeitenden Menschen nicht entscheidend. Wir bekommen auf jeden Fall die Rechnung präsentiert. Gewerkschaften und Linke müssen sich auf harte Zeiten einstellen und den Widerstand gegen Sozialkürzungen und Militarisierung und für eine echte Klimawende durch Vergesellschaftung und demokratische Kontrolle der Wirtschaft organisieren.

Foto: Robin Krahl, Wikimedia Commons, CC-BY-SA 4.0