Sexismus in der Musikindustrie: Wie stoppt man ein Lindemann Konzert?

Die SAV und ROSA Kassel organisieren am 18. November einen Protest und ein Gegenkonzert gegen den Solo-Auftritt von Rammstein-Frontsänger Till Lindemann. Am 08. Dezember organisiert ROSA Hamburg eine Gegenparty.

Jahrzehntelang blieben die Strukturen und Netzwerke in denen Sexismus und Übergriffe gedeihen konnten, unhinterfragt. Dank Shelby Lynn ändert sich das in Deutschland langsam. Im Kapitalismus gibt es kaum eine Industrie wie die Musikindustrie in der Patriarchat und kapitalistische Ausbeutung so eng miteinander verwoben sind. Viele Betroffene haben bereits berichtet, wie die Machtstrukturen auf sie wirken und wie schwer es ist, aus einem Backstagebereich raus zu gelangen oder in einer „Suckbox“ deutlich „Nein“ zu sagen.

Das Machtgefälle zieht sich durch die gesamte Industrie. Auch an der Organisation einer Tour sind immer verschiedene Firmen und Gruppen beteiligt. Je berühmter die Künstler*innen sind, desto abhängiger sind die unterschiedlichen Parteien voneinander. Dennoch können sie alle (k)eine Rolle dabei spielen, dass Künstler*innen das Machtgefälle zwischen ihnen und jungen Frauen und queeren Menschen ausnutzen können.

Im Fall von Lindemann und Rammstein vertreibt und verkauft Universal die Musik. Rammstein und andere große Bands bringen dem Unternehmen Millionen ein. Daher werden ihnen gerne auch noch so problematische Wünsche erfüllt.

Dass Lindemann und Rammstein keine Einzelfälle sind, davon berichten nicht nur Konzertbesucher*innen, sondern auch Arbeitende in der Kulturindustrie. Vor allem einige international große Bands, deren Agenturen Bühnen und Aftershow-Räume in verschiedenen Städten buchen, fragen auch nach sogenannten „Pussypickern“ oder „Girl Scouts“. Diese sollen dann vor Ort beim Konzert oder schon davor vor allem junge weiblich gelesen Fans ansprechen, ob sie danach mit in den Backstage Bereich kommen.

Insbesondere bei großen Bands stellt nicht der lokale Veranstalter die Bühne, sondern es werden verschiedene Technikfirmen angefragt, den gesamten Aufbau organisieren. Im Fall von Rammstein geht es dabei um dutzende LKWs und hunderte Mitarbeiter*innen, die den Aufbau, den Abbau, das Licht, den Sound, die Pyrotechnik und den Ablauf betreiten. In dem Zusammenhang müssen vorher auch Zeichnungen und Pläne der Bühne nach den Bedürfnissen der Band angefertigt werden. Im Falle von Rammstein wussten also alle, die am Aufbau beteiligt waren davon, dass es die „Suck Box“ unter der Bühne gab.

Veranstaltungstechnik ist eine prekäre Branche. Viele arbeiten selbstständig, befristet oder mit Honorar- und Werkverträgen. Käme beispielsweise ein Techniker auf die Idee, diesen Aufbau oder den Ablauf der Show zu hinterfragen, kann ihn das seinen Job kosten. Und zwar nicht nur dieses eine Mal, sondern es kann passieren, dass er auch für andere Veranstaltung nicht mehr gebucht wird.

Das zeigt, wie stark das Machtgefälle nicht nur zwischen Fans und Künstler*innen, sondern zwischen Label und Musiker*innen einerseits und den Arbeitenden in Veranstaltungsindustrie andererseits ist.

Unschuldig?

Das Machtgefälle erklärt auch, warum sich viele Betroffene nicht trauen, vor Gericht zu gehen, was dazu führte, dass die Untersuchung von der Staatsanwaltschaft Berlin eingestellt wurde. Jedoch bedeutet das nur, dass der Fall nicht weiter verfolgt wird und nicht, dass Lindemann die Unschuld nachgewiesen wurde. Im Gegenteil: das Landgericht Hamburg hatte in einer Unterlassungsklage des Sängers gegen den Spiegel geurteilt, dass der „Der Kernvorwurf eines perversen Groupie-Castingsystems“ von der Unterlassungsklage unberührt sei (siehe Spiegel Online vom 30. August 23). Und auch das Landgericht Frankfurt urteilte im Oktober zu einer Unterlassungsklage gegen die Süddeutsche, dass diese das Recht habe über das „Casting-System“ zu berichten, da es ein„überragendes öffentliches Informationsinteresse“, insbesondere „unter Präventionsgesichtspunkten“ gebe, da „junge Frauen systematisch für sexuelle Handlungen mit dem Kläger ausgesucht und diesem organisiert zugeführt werden“ und „in diesem Rahmen aufgrund ihrer Unerfahrenheit in Situationen geraten können, in denen es zu sexuellen Handlungen kommt, aus denen sie sich aus Angst oder Scham oder einer erheblichen Alkohol- oder Drogenintoxikation nicht mehr herauszulösen vermögen“ (Süddeutsche am 11. Oktober 2023).

Wie lässt sich die Machtstruktur umdrehen?

Bei Universal gibt es nicht nur eine Cashcow, sondern verschiedene weitere große Künstler*innen unter Vertrag, in Deutschland und international. Warum schließen diese sich nicht zusammen und fordern vom Label, den Vertrag mit Rammstein zu beenden? Diese Druckmöglichkeit gibt es. Universal Dänemark hat bereits die Zusammenarbeit mit Lindemann auf Eis gelegt. Wir fordern vor allem, dass Künstler*innen Druck auf das Label machen, Rammstein nicht mehr zu promoten.

Darüber hinaus ist es absurd, dass riesige Labels bestimmen können wer und was eine Reichweite bekommt und wer und was nicht. Universal und Co haben Unsummen Geld mit sexistischen, rassistischen Bands und dem sexistischen Machtstrukturen gemacht, von denen vor allem Frauen und queere Menschen betroffen sind. Wir fordern, dass sie enteignet werden und ihr Geld an Schutzräume für Betroffene von sexueller Gewalt und alternative Musikprojekte, öffentliche Proberaumzentren, Jugendklubs usw. gegeben wird und diese generell stärker gefördert und aufgebaut werden.

Insbesondere in Kassel sind momentan Einrichtungen wie die Perle, das Hugenottenhaus und das York von Schließungen bedroht, während riesige Eventhallen weiter ausgebaut werden.

Keine Räume

Wenn Veranstalter*innen bereits vor dem Bekanntwerden der Vorwürfe Konzerte organisiert haben und unter Vertrag stehen, kann es schwer sein da heraus zu kommen. Dafür müssten wir sehr viele Leute mobilisieren und nicht nur Unterschriften sammeln, sondern eine kleine Massenbewegung lostreten.

Was Veranstalter*innen aber bereits tun können, ist, dass sie nur einen Backstage zum Umkleiden zur Verfügung stellen, Partys im Backstage untersagen. Sie können sich weigern, Aftershowpartys auszurichten und vor allem, sich als „Girl Scout“ zu betätigen. Vor allem können sie sich in Zukunft weigern, noch weitere Konzerte für bestimmte Bands zu organisieren und sich entsprechende Richtlinien dafür geben, welchen Inhalten sie eine Infrastruktur bieten wollen und welche nicht. Das werden viele nicht freiwillig machen, sondern auch hier braucht es Massenproteste und Druck von Unten.

Whistleblowing und Organisierung der Techniker*innen

Vor allem für viele prekäre Veranstaltungstechniker*innen ist es kaum möglich, sich zu äußern und auf Machtmissbrauch und Missstände in der Industrie hinzuweisen, ohne ihren Job zu verlieren oder sogar verklagt zu werden. Hier müssen Gewerkschaften Anlaufstellen bieten, die Kolleg*innen zu vernetzen. Denn nur, wenn diese nicht einfach entlassen und auf eine schwarze Liste gesetzt werden können, weil sie gut organisiert sind und im Falle des Falles auch streiken, haben sie die Möglichkeit, in der Machthierarchie in der sie ganz unten stehen, was zu bewegen.

Was könnt ihr tun?

Lindemann kommt am 14. 11 nach Bamberg, am 15.11 nach Lingen, am 17.11 nach Frankfurt/Main, am 18.11 nach Kassel, am 20.11 nach Trier, am 8.12 nach Hamburg usw. Schreibt die Veranstaltungshäuser an und fordert sie auf, die Konzerte zu stoppen und in Zukunft keine Verträge mehr mit Lindemann und Co einzugehen. Organisiert euch, sammelt Unterschriften gegen die Konzerte, macht in der Stadt auf die Konzerte aufmerksam, organisiert Gegenproteste und Gegenkonzerte am gleichen Tag und informiert euch weiter über Sexismus in der Musik- und Kulturindustrie. Schreibt Gewerkschaften und regionale Bündnisse, lokale Veranstalter*innen und Klubs an, euch zu unterstützen.

Werdet aktiv für eine Gesellschaft ohne Ausbeutung und Sexismus und eine Kulturindustrie, die davon profitiert.