Vor uns die Sintflut?

Ein Sommer als endloser Alptraum: kaum konnten im griechischen Volos die ersten Schaufeln in den Schlamm gegraben werden, spülte eine Flutwelle im libyschen Darna innerhalb weniger Stunden ganze Stadtteile samt 11.000 Menschen ins Mittelmeer. Zuvor hatte derselbe Sturm in der Türkei, Bulgarien und Griechenland weite Landstriche überflutet.

Von Conny Dahmen, Köln

Nachdem in diesem Sommer über 1,7 Millionen Hektar Waldfläche und Dörfer in Griechenland verbrannt sind (Angaben des Europäischen Informationssystems für Waldbrände EFFIS), hat der Starkregen im September 720.000 Hektar Land überschwemmt,15 Menschen sind (nach offiziellen Angaben) gestorben. Zehntausende Menschen in Volos und im Piliongebirge waren tagelang ohne Strom und Trinkwasser und stehen nun auf den Trümmern ihrer Existenz. Die thessalische Tiefebene ist ein einziger Schlammsee, in dem laut Efthymios Lekkas, Professor für Naturkatastrophenmanagement, frühestens in fünf Jahren wieder Landwirtschaft betrieben werden kann. Das Gebiet lieferte zuvor über 25% der Agrarerzeugnisse und stellte knapp 11% aller Arbeitsplätze des Landes. 

Seit Beginn der Aufzeichnungen ist in Griechenland noch nie so viel Regen gefallen. Die Wetterstation der Ortschaft Zagora im Pilion registrierte innerhalb von 20 Stunden 734 Liter Regen pro Quadratmeter. Im Ahrtal im Juli 2021 waren es bis zu 200 Liter pro Quadratmeter an zwei bis drei Tagen.

Die rasante Häufung von Extremwetterlagen ist ein bekanntes Symptom des fortschreitenden Klimawandels. Mittelmeer-Hurricanes (Medicanes) wie Sturm Daniel entstehen bei zu hohen Wassertemperaturen schneller und werden stärker. Selbst wenn wir ab sofort keine Treibhausgase mehr emittieren würden – solche Extreme werden weiter vorkommen, wir werden damit umgehen müssen.

Klimakollaps und Staatsversagen

Die  Staaten in den betroffenen Regionen machen aber genau diesen Umgang schwer bis unmöglich. Warnungen von Meteorolog*innen wurden von Behörden zunächst ignoriert bzw. zu spät verbreitet, staatliche Hilfe kam zu spät und unzureichend. In Libyen ist nach einem Bericht der Weltbank von April diesen Jahres das BIP seit Beginn des Bürgerkrieges 2011 um über 50% gefallen, dementsprechend verfallen auch die Infrastruktur und Warnsysteme. Die Menschen in den Ländern des globalen Südens treffen nicht nur die Folgen des Klimawandels in der Regel viel extremer, sondern auch die Folgen von Kolonialisierung, der Intervention westlicher imperialistischer Staaten und des Profitstrebens der Großkonzerne.

Auch in Griechenland wurde nicht evakuiert. Die sofortige Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern, selbst Wasser, lief zunächst nur durch Solidaritätsaktionen seitens der lokalen Bevölkerung. Selbst nach neun Tagen mussten noch Menschen von ihren Hausdächern gerettet werden. Rettungsfahrzeuge, Feuerwehr oder Armeehubschrauber, -schlauchboote und -baugerät trafen erst nach endlosen Stunden ein, die meisten Rettungsflugzeuge waren nicht einsetzbar. Erst nach vier Tagen richtete die Regierung ein Krisenzentrum vor Ort ein.

Die thessalische Tiefebene ist als potentielles Überschwemmungsgebiet bekannt, war sie doch bereits 1994 und zuletzt 2020 überflutet. Dennoch ist trotz aller Versprechen der Regierungen bezüglich des Ausbaus der kritischen Infrastruktur und Hochwasserschutz nichts passiert. Brücken, Dämme und Straßen werden genauso unzureichend und fehlplatziert repariert und neu gebaut wie 

Katastrophenschutz heißt Kampf dem Kapital 

Auch hierzulande wurden und werden Infrastruktur und Katastrophenschutz vernachlässigt. Während Unsummen in Militär und Rüstung fließen, will die Ampelregierung bei allem anderen kürzen – 23% beim Bundesamt für Umwelt- und Katastrophenhilfe, 9% beim Bundesnaturschutzfonds, 34% bei humanitärer Hilfe und Krisenprävention,10% beim Technischen Hilfswerk (THW).

Statt Kürzungen brauchen wir massive Investitionen in den Katastrophenschutz  und noch mehr in den Klima- und Naturschutz. Um Überschwemmungen direkt abzumildern, müssen begradigte Flüsse und planierte natürliche Überschwemmungsgebiete dringender denn je renaturiert werden. Auf dem Gebiet der Bundesrepublik sind bereits 80% der natürlichen Überflutungsflächen an den großen Flüssen verloren gegangen. Durch Begradigungen und Staustufen fließen Flüsse viel schneller, so dass eine Flutwelle im Rhein in 30 Stunden von Basel nach Karlsruhe rauscht – 1955 waren es noch 65 Stunden. Wälder müssen geschützt und großflächig wieder aufgeforstet werden, vor allem in Gewässernähe.

All dies wird aber solange nicht passieren, wie Privatkonzerne über ihre politischen Vertreter*innen in Lobbys bestimmen, wo staatliche Gelder investiert werden und wie Energie produziert wird. Wenn das Erwachen nicht der Selbstmord sein soll, müssen wir endlich diejenigen entmachten, die uns diesen Alptraum eingebrockt haben. Die Energie-, Automobil- und Rohstoffkonzerne, für deren Profite Millionen Menschen verhungern, verbrennen oder ertrinken, müssen in Gemeineigentum überführt und demokratisch organisiert werden. Nur wenn wir den Kapitalismus überwinden und demokratisch wirtschaften, können Energiegewinnung und Produktion endlich nachhaltig umgestellt werden.

Foto: By Fotis A. – Own Work, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=137455903