8. März: eine Geschichte des internationalen feministischen Kampftags

Als am 8. März 1857 einige Hundert Textilarbeiterinnen in New York für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne demonstrierten, ahnten sie nicht, dass sie damit einen Internationalen Kampftag begründen sollten. Bis heute gehen Millionen Frauen und LGBTQI+Menschen weltweit an diesem Datum für ihre Rechte auf die Straßen, an einem Tag, der von Beginn an ein wichtiger Kampftag der gesamten Arbeiter*innenbewegung war.

Von Conny Dahmen, Köln

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte die Frauenbewegung in vielen Ländern gerade erst einige grundlegende Rechte erkämpft, wie z.B. das Recht auf gewerkschaftliche und parteipolitische Organisation, das Recht auf höhere Bildung, oder einfach das Recht zu arbeiten. Ein Kampf, den sie nicht nur gegen die herrschende Klasse, sondern auch gegen den männlichen Teil der Arbeiter*innenbewegung ausfechten mussten, um Vorteile zu zerschlagen und gleichberechtigt anerkannt zu werden.

Anders als der bürgerliche Teil der Frauenbewegung suchten die organisierten Arbeiterinnen nicht nur eine Verbesserung ihrer Lebensumstände unter dem Kapitalismus, sondern begriffen ihren Kampf als Schritt, die Klassengesellschaft zu überwinden. Anders als die bürgerlichen Feministinnen riefen sie keinen Geschlechterkampf aus, um Reformen durchzusetzen, sondern versuchten einen gemeinsamen Kampf mit ihren männlichen Kollegen.

Wie zum Beispiel beim Kampf für das Wahlrecht, den beide Teile der Frauenbewegungen führten: Nur in wenigen Ländern durften Frauen wählen, zuerst in Neuseeland 1893, dann in Finnland 1906. Aber auch für Männer war das vielerorts das Wahlrecht noch an Besitz geknüpft, weshalb sich viele mit den kämpfenden Frauen solidarisierten.

Bread and roses

Nach Britannien war die (bürgerliche) Bewegung für das Frauenwahlrecht („Suffragetten“) in den USA besonders stark. Dort war sie aus der Bewegung gegen die Sklaverei-(Abolitionismus) hervorgegangen, in der sich ungewöhnlich viele Frauen organisiert hatten. Diesen Frauen wurde nun auch ihre eigene Diskriminierung bewusst – besonders, nachdem schließlich nur den männlichen People of Colour das Wahlrecht verfassungsrechtlich zuerkannt worden war. Doch auch viele Arbeiterinnen, vor allem Migrantinnen aus Europa, die dort bereits gewerkschaftlich organisiert gewesen waren und nun in der Textilindustrie arbeiteten, engagierten sich für das Frauenwahlrecht.

Es war erneut am 8. März, als 15 000 solcher Aktivistinnen 1908 in New York für kürzere Arbeitszeiten, höhere Löhne, das Wahlrecht und gegen Kinderarbeit demonstrierten, und zum ersten Mal den Slogan „Bread and Roses“ riefen. Im gleichen Jahr erklärte die Socialist Party of America den letzten Sonntag im Februar zum US-weiten National Women’s Day für Wahlrecht und Sozialismus, der ab 1909 alljährlich stattfinden sollte.

Im Herbst 1909 begann mit dem „Aufstand der 20.000“ der bisher größte Arbeiterinnenstreik der US-Geschichte. Unter der Führung der International Ladies’ Garment Workers’ Union führten die Beschäftigten der New Yorker Blusenfabriken einen militanten, dreimonatigen Arbeitskampf für 20 % mehr Lohn, eine 52-Stunden-Woche (vorher waren 65-75 Stunden normal), bezahlte Überstunden und mehr Arbeitssicherheit. Die meisten Streikenden waren osteuropäische jüdische Migrantinnen unter 25 Jahren. Trotz massiver Polizeirepression, tausender Verhaftungen und gewalttätiger Übergriffe bezahlter Schläger konnten sie viele ihrer Forderungen am Ende durchsetzen.

Der erste Internationale Frauentag

Diese Idee eines internationalen Kampftages hatte internationale Ausstrahlung – bis nach Deutschland, wo vor allem die sozialistische Frauenbewegung sehr stark und gut organisiert war. Bereits bevor sie 1908 auch offiziell politischen Parteien beitreten durften, hatten sich viele Frauen über Umwege der – damals noch sozialistischen – SPD und der Gewerkschaftsbewegung angeschlossen. Sie hielten alle zwei Jahre unmittelbar vor den Parteitagen eigene Konferenzen ab. Eine ihrer bekanntesten Vorkämpferinnen war die führende Sozialdemokratin und Gewerkschafterin Clara Zetkin (1857-1933), hatte 1907 mit die ersten Internationalen Sozialistische Frauenkonferenz in Stuttgart eine internationale Vernetzung der sozialistischen Frauenbewegung initiiert, mit einer internationalen Kampagne für das Frauenwahlrecht.

Auf Zetkins Initiative hin etablierte die nächsten Internationalen Frauenkonferenz der Zweiten Internationale 1910 in Kopenhagen den Internationalen Frauentag: „Die sozialistischen Frauen aller Länder werden jedes Jahr einen Frauentag abhalten, dessen Hauptzweck es sein muss, die Erlangung des Frauenwahlrechts zu unterstützen. Diese Forderung muss in Verbindung mit der gesamten Frauenfrage nach sozialistischen Gesichtspunkten behandelt werden. Der Frauentag muss einen internationalen Charakter haben und soll sorgfältig vorbereitet werden.“

Ab 1911 fanden in den USA, Österreich-Ungarn, Deutschland, Dänemark und der Schweiz jedes Jahr Kundgebungen und Demonstrationen statt, allerdings an unterschiedlichen Tagen zwischen Ende Februar und Mitte März. In Deutschland gehen über eine Million Frauen auf die Straße, vor allem aus der SPD und den Gewerkschaften.

Der 8. März setzte sich als Datum 1914 weltweit durch – am Vorabend des Ersten Weltkrieges. Der vierte Internationale Frauentag wurde auch zu einem massenhaften Anrikriegs-Tag. Im April 1915 beschloss die dritte und letzte sozialistische Frauenkonferenz ein Manifest „Krieg dem Krieg“, dessen Verbreitung natürlich illegal war – genauso wie das Demonstrieren und Feiern des Internationalen Frauentages.

Ironischerweise erlangten Frauen durch den Arbeitskräftemangel in der Kriegswirtschaft auf einmal eine herausragende Stellung im industriellen Produktionsprozess, was eine weitaus höhere gesellschaftliche Akzeptanz für Gleichberechtigung mit sich brachte.

Die Revolution macht`s möglich

9 Jahre nach dem New Yorker Näherinnenstreik sollte ein weiterer Streik von Textilarbeiterinnen nicht nur das Wahlrecht, sondern noch viel mehr bringen: Am 8. März (westlicher Kalender) 1917 führen 90.000 Textilarbeiterinnen im russischen Petersburg einen Massenstreik und eine Demonstration mit der Forderung nach Frieden und Brot an. Diese Streikbewegung breitete sich von Fabrik zu Fabrik aus und wurde tatsächlich zu einem Aufstand, der den Beginn der russischen Februarrevolution markiert, die erst den Zaren und dann, mit der Oktoberrevolution, das gesamte kapitalistische System und die Herrschaft von Großgrundbesitzern und Kapital stürzen sollte.

Obwohl damals eines der rückständigsten Länder Europas führte das revolutionäre Russland neben allgemeinem Wahlrecht auch Abtreibungsrechte, zivile Eheschließung und Scheidung, Rechte für Schwule, Lesben, Bisexuelle und trans Personen, einen achtwöchigen Mutterschutz und kommunale Kinderbetreuung sowie das Verbot sexueller Belästigung ein. Anfangs gab es auch öffentliche Wäschereien und Kantinen, bevor Bürgerkrieg und später die Machtübernahme Stalins viele Errungenschaften wieder zunichtemachten.

Aufgrund des Verrats der SPD-Führung konnte die Novemberrevolution 1918 zwar das deutschen Kaiserregime, nicht aber den Kapitalismus abschaffen. Nachdem sie an der Regierung das allgemeine Wahlrecht eingeführt hatte, erklärte die SPD den Internationalen Frauentag für überholt. Die Kommunistischen Parteien dagegen begingen ihn weiterhin, später wurde er in der Sowjetunion und den meisten ehemaligen stalinistischen Ländern zum Nationalfeiertag. Allerdings galten auch hier feministische Ziele im vermeintlichen Sozialismus als erreicht, viel mehr als Festtagsreden und Blumen hatten Frauen nicht zu erwarten.

Heute scheinen die Herrschenden weltweit das Rad der Geschichte zurückdrehen zu wollen, mit Einschränkungen von Abtreibungsrechten, Reallohnsenkungen, Arbeitsverdichtung, längeren Arbeitszeiten, Militarisierung und Krieg. Mehr denn je muss der 8. März heute ein Kampftag gegen diesen Wahnsinn des Kapitalismus und für eine sozialistische Zukunft sein.

Foto: ROSA Kassel beim feministischen Kampftag 2021