Tarifrunde Öffentlicher Dienst: Je früher streiken, desto besser

Über 330.000 Kolleg*innen des öffentlichen Dienstes haben für die Forderung nach 500 Euro bzw. 10,5 % mehr Lohn unterschrieben. Jetzt ist Zeit für flächendeckende Warnstreiks und den Aufbau von Solidarität mit streikenden Kolleg*innen in anderen Bereichen und sozialen Bewegungen.

Von Thies Wilkening, Reinbek

Die Friedenspflicht ist seit dem 1. Januar vorbei – ver.di und GEW hätten bereits mit Warnstreiks beginnen können. Bundesweit wurde entschieden, die erste Verhandlungsrunde abzuwarten und erst nach dem 24. Januar Streiks zu organisieren. Die ersten Warnstreiks sollten mit denen bei der Post koordiniert werden, wo die Beschäftigten ebenfalls gegen den drohenden Reallohnverlust kämpfen. Ihr Abschluss kann eine Signalwirkung für den öffentlichen Dienst haben – wohl auch deshalb hat die Post bisher kein Angebot vorgelegt.

Anders als bei der Post, wo bis zur zweiten Verhandlungsrunde auf Warnstreiks verzichtet wurde, sollten bei Bund und Kommunen schon vor der Fortsetzung der Verhandlungen im Februar erste Streiks stattfinden, um nach der erfolgreichen Unterschriftensammlung für den „Stärketest“ die Dynamik nicht zu verlieren.

Bei jedem Warnstreik sollten Streikversammlungen organisiert werden, damit die Kolleg*innen sich über den Stand der Verhandlungen informieren, weitere Schritte diskutieren und potenzell nötige Erzwingungsstreiks vorbereiten können. Das ist auch deshalb wichtig, weil die Arbeitgeber wahrscheinlich irgendwann ein Tarifangebot mit steuerfreien Einmalzahlungen bis zu 3000 Euro vorlegen werden, das auf den ersten Blick attraktiv erscheint, aber nicht tabellenwirksam ist und auf lange Sicht Reallohnverluste festschreibt – wie schon die „Corona-Prämie“ aus der letzten Tarifrunde 2020. Breite Diskussionen unter Streikenden über Forderungen und Verhandlungsstände können auch davor schützen, dass ihnen wieder einmal ein Tarifabschluss mit schön gerechneten Zahlen über die Medien verkauft wird.

ver.di führt die Tarifkampagne unter dem Motto „Zusammen geht mehr“. Viele Kolleg*innen und Gewerkschaftsgliederungen haben erkannt, dass das nicht nur innerhalb des öffentlichen Dienstes oder innerhalb der Gewerkschaften gilt, sondern für Arbeiter*innen, die Jugend und Rentner*innen insgesamt: Einerseits ist der TVÖD der zweitgrößte Flächentarifvertrag in Deutschland, nach dessen Entgelttabelle sich auch viele Betriebe außerhalb des öffentlichen Dienstes richten, zum Beispiel kirchliche und freie Träger in Kitas, Altenpflege und sozialer Arbeit. Eine erfolgreiche Tarifrunde mit deutlichen Lohnerhöhungen hätte eine Vorbildwirkung für andere Bereiche.

Solidarität aufbauen

Andererseits ist es relativ schwierig, mit Streiks ökonomischen Druck aufzubauen, deshalb spielt politischer Druck eine große Rolle. Kommunale Haushalte werden von gewählten Stadt- und Gemeinderäten beschlossen, die VKA als Arbeitgeberverband vertritt zu einem großen Teil gewählte Bürgermeister*innen und Landrät*innen. Noch mehr als bei Streiks in anderen Branchen brauchen wir im öffentlichen Dienst daher die Solidarität der gesamten Arbeiter*innenklasse. Viele Bereiche des öffentlichen Dienstes sind Teil der Daseinsvorsorge und für viele relevant. Die ganze Gesellschaft ist auf Kranken- und Altenpflege, Kinderbetreuung und eine funktionierende Müllabfuhr angewiesen und spätestens seit Corona ist der großen Mehrheit der Bevölkerung klar, dass die Kolleg*innen in den Krankenhäusern und den Kitas viel zu wenig Lohn bekommen.

Daher sollten die Gewerkschaften zumindest eine aktive Öffentlichkeitsarbeit betreiben und zum Beispiel Plakate an Bahnhöfen aufhängen lassen, wie bei der IG Metall in großen Tarifrunden üblich. In manchen Orten gibt es aus früheren Arbeitskämpfen oder Initiativen noch Krankenhaus- und Pflegebündnisse und Solidaritätskomitees für die Sozial- und Erziehungsdienste. Ihre Unterstützung kann bei den Streiks eine wichtige Rolle spielen.

Aktionstage zu Streiktagen!

Die geplanten Aktionstage mit dem Schwerpunkt „Öffentlicher Verkehr und Solidarität mit der Klimabewegung“ am 3. März und dem Schwerpunkt „Sozial- und Erziehungsdienste“ zum Frauenkampftag am 8. März sind gute Initiativen, die an positive Erfahrungen aus den Tarifrunden im Nahverkehr 2020 und bei den Sozial- und Erziehungsdiensten im letzten Jahr anknüpfen. Wichtig ist, dass an diesen Tagen über rein symbolische Aktionen hinaus gestreikt wird.

Für den 3. März ruft Fridays for Future zu einem globalen Klimastreik auf. Am ersten Aktionstag dieser Art 2019 haben in Deutschland 1,4 Millionen Menschen teilgenommen, auch bei späteren Klimastreiks gab es große Demos, aber noch nie einen „richtigen“ Streik in Betrieben. Die Tarifrunde, an der in vielen Städten und Kreisen auch die örtlichen Verkehrsbetriebe teilnehmen, bietet eine Möglichkeit, das zu ändern und die Verbindung zwischen dem Kampf für Klimaschutz und Verkehrswende und dem Kampf für gute Löhne und Arbeitsbedingungen im Nahverkehr noch klarer zu machen. Zumindest in den Verkehrsbetrieben muss gestreikt werden, in anderen Bereichen sollten die ver.di-Betriebsgruppen mit den Kolleg*innen über Warnstreiks am 3. März sprechen.

2022 wurden in vielen Städten zum ersten Mal in Deutschland Warnstreiks mit den feministischen Protesten am 8. März verbunden, in diesem Jahr sollte an diesen erfolgreichen ersten Schritt angeknüpft werden, indem bundesweit zu Warnstreiks für die Tarifforderung und gegen Sexismus und Patriarchat aufgerufen wird – auch über die Kitas und Jugendämter hinaus, denn auch in der Pflege, in der Verwaltung und in den Schulsekretariaten arbeiten mehrheitlich Frauen. Für erfolgreiche Streiks braucht es allerdings die Beteiligung und Solidarität von Kolleg*innen aller Geschlechter.

Flyer der Vernetzung für Kämpferische Gewerkschaften zum Herunterladen und Verteilen

Foto: Niels Holger Schmidt, CC-BY-SA 2.0