Es gibt keine Friedenspanzer

Nein zu Leopard-2-Lieferungen an die Ukraine

Deutschland sendet Panzer in die Ukraine. In einen Krieg, in dem die Machtinteressen von Russland und den NATO-Verbündeten der Ukraine in einer blutigen Materialschlacht aufeinandertreffen. Schätzungen gehen von 100.000 Toten und Verletzten auf beiden Seiten aus. Die Panzerlieferungen sind nicht das Ende der Fahnenstange, das zeigen allein die Forderungen von Ex-Botschafter Melnyk, der direkt Kampfflugzeuge forderte, und sie werden den Krieg auch nicht beenden. Das organisierte Morden wird nicht aufhören, wenn immer mehr Menschen und Maschinen zum Verheizen an die Front geschickt werden, sondern nur durch den Widerstand der Bevölkerung – im Westen wie im Osten.

Von Sebastian Rave, Bremen

Die Bevölkerung ist laut Umfragen gespalten. Laut ARD-Deutschlandtrend sind 46% dafür und 43% dagegen. Diese Opposition ist angesichts des medialen Dauerfeuers für den Panzer und der Einigkeit der etablierten Parteien beachtlich. Gegner*innen von Waffenlieferungen werden beschimpft und diffamiert, trotzdem stehen viele dazu. Noch ist offen, wann sich diese Stimmung auch auf der Straße zu einer Bewegung formiert. Möglicherweise sind die Aktionen gegen die Leopard-Lieferung und zum Jahrestag am 24. Februar noch klein, aber das Potenzial wächst. Eine neu aufzubauende Antikriegsbewegung muss auch die geopolitischen Hintergründe des Krieges und seinen Verlauf analysieren. 

Nachdem in den letzten Monaten die Ukraine größere Geländerückgewinne bei Charkiw und Cherson vermelden konnte, gelang es Russland nach monatelangen Artilleriegefechten, die an den Ersten Weltkrieg erinnern, die stark befestigte Frontlinie bei Soledar und Bachmut offenbar zu durchbrechen. Russland hätte damit die Initiative zurückgewonnen.

Russland „all in“, NATO zieht nach 

Trotz massiver Militärhilfe des Westens an die Ukraine, die mit den Kampfpanzern eine neue Qualität erreicht: In dem Abnutzungskrieg kann Russland mehr Material und Menschen in die Schlacht werfen und ist daher weiterhin in der Lage, begrenzte Offensiven zu starten und ukrainische Offensiven zu blocken. Während es angesichts des Massensterbens an der Front auch Berichte über vermehrte Fahnenflucht ukrainischer Soldat*innen gibt, könnte Russland die schweren Infanterieverluste durch eine weitere Mobilisierungswelle mit bis zu 400.000 weiteren Soldat*innen mehr als ausgleichen. 12.000 russische Kampfpanzer stehen 2.500 ukrainischen Kampfpanzern gegenüber, 30.000 weitere russische gepanzerte Fahrzeuge 12.000 ukrainischen. Und die russische Panzerproduktion läuft im Dreischichtsystem, während die Ukraine vollständig auf die Waffenlieferungen ihrer Verbündeten angewiesen ist.

Vor diesem Hintergrund forderte der ukrainische Generalstabschef Walerij Saluschnyj vom Westen mindestens 300 schwere Kampfpanzer, 600-700 leichte Schützenpanzer sowie 500 Artilleriesysteme, um „wieder in die Offensive zu kommen“. In der NATO herrschte über Wochen Uneinigkeit, ob man bei dieser Erhöhung des Einsatzes tatsächlich mitgehen möchte. Die Gefahr, Kriegsmaterial ohne Gewinnchance in die Zerstörung zu schicken, wurde gegen das Interesse abgewogen, dem russischen Imperialismus seine Grenzen aufzuzeigen. Ob die zusammengerechnet zunächst etwa 100 Kampfpanzer aus NATO-Ländern den Kriegsverlauf entscheidend verändern, ist fraglich. Die Lieferungen könnten aber der Dammbruch sein, dem weitere Lieferungen von Hubschraubern, Flugzeugen, Schiffen und mehr folgen würden – und als Reaktion darauf wiederum mehr Material aus Russland. 

Deutschland beruft sich weiterhin darauf, offiziell keine Kriegspartei zu sein. Das ist zwar angesichts der massiven militärischen und finanziellen Hilfen an die Ukraine Heuchelei, aber auch Ausdruck einer realen Sorge der Regierenden vor einer weiteren Eskalation. Denn dieser Krieg wird nicht mit dem Kampf um Bachmut aufhören, wenn das mit den gelieferten Kampfpanzern überhaupt möglich ist. Beide Kriegsparteien stehen auch unter innenpolitischem Druck: Putins politisches Überleben hängt davon ab, in diesem Krieg nicht sein Gesicht zu verlieren. Und Selenskij wird von rechtsnationalistischen Kräften dazu gedrängt, den Donbas und die Krim zurückzuerobern, koste es was es wolle.

Beide Gebiete sind seit 2014 nicht unter der Kontrolle Kiews, nachdem eine ukrainisch-nationalistische Regierung nach dem “Euro-Maidan” genannten Protesten an die Macht gekommen war. Damals hatte die Angst vor der Unterdrückung der russischsprachigen Bevölkerung Teile der Bevölkerung in den Regionen Luhansk und Donezk dazu getrieben, sich als von Kiew unabhängig zu erklären, und – mit russischer Unterstützung – autonome “Volksrepubliken” auszurufen. Das offizielle Kriegsziel der Ukraine, den Status von Krim und Donbas zu revidieren, kollidiert damit nicht nur mit dem Interesse Russlands, die Kontrolle über die Krim und damit über das Schwarzen Meer zu behalten, sondern auch mit den Interessen eines Teils der  lokalen Bevölkerung. Die Idee, über die Frage, welche Farben die Fahnen haben sollen, die über der Krim und dem Donbas wehen, über 100.000 Menschenleben zu opfern, ist völlig absurd. Aber Friedensverhandlungen sind ebensowenig in Sicht, wie eine baldige militärische Lösung – nur noch mehr Tote, mehr Zerstörung, und im schlimmsten Fall eine weitere Eskalation über die Grenzen der Ukraine hinaus.

Neuer Kalter Krieg

Der Krieg in der Ukraine findet statt im Kontext weltweit zunehmender zwischenimperialistischer Spannungen im krisenhaften „Zeitalter der Unordnung“, wie es die Deutsche Bank 2020 nannte. Dieses ist geprägt durch die Abkehr von der neoliberalen Globalisierung und sich verschärfende Auseinandersetzungen zwischen den imperialistischen Großmächten um regionale und globale Vorherrschaft, Extra-Profite, Märkte, Rohstoffe, Transportwege. Der Ukraine-Krieg ist dabei nur eine Front dieses Neuen Kalten Krieges, in dem die Hauptpole USA und China sind.

Die NATO-Verbündeten wollen den China-Verbündeten Russland schwächen – auch, wenn es bei den Herrschenden Sorgen gibt, “aus Versehen” in einen Weltkrieg zu schlittern. Gleichzeitig wird die Regierung von einer medial und politisch angefachten Kriegsbegeisterung unter Druck gesetzt, die in Teilen an die Euphorie vor dem ersten Weltkrieg erinnert – die übrigens unter organisierten Arbeiter*innen deutlich weniger verbreitet war als es der Mythos besagt. Damals gab es kurz vor Ausbruch des Krieges Massendemonstrationen gegen den Krieg – bis die Führung der Sozialdemokratie umkippte und den Kriegskrediten zustimmte. 

Wir sind in Deutschland, aber auch international, weit von einer solchen starken Arbeiter*innenbewegung entfernt. Trotzdem: Viele in Deutschland sind gegen die Lieferung von Panzern in die Ukraine. Darauf müssen Linke aufbauen, und sich daran machen, aus einer Stimmung eine Bewegung aufzubauen. Denn die Eskalationslogik kann nur von unten durchbrochen werden. Es gibt Berichte von zunehmenden Sabotage-Akten gegen den russischen Nachschub. Aber die Antikriegsbewegung in Russland findet fast ausschließlich im Untergrund statt, und einige der mutigen Aktivist*innen tappen in die Falle, den Feind ihres Feindes als Verbündeten zu sehen. Doch die NATO schickt keine Friedenspanzer – sie schickt Kampfpanzer, um ihre eigenen imperialistischen Interessen durchzusetzen. 

Nur eine internationale Bewegung gegen JEDEN Imperialismus kann eine Perspektive jenseits der Eskalationslogik des Krieges bieten. Dafür müssen wir auch in Deutschland unseren Beitrag leisten.  LINKE und Gewerkschaften stehen in der Verantwortung, Proteste gegen den Krieg nicht nur Russlands zu organisieren und zum Widerstand gegen die Kampfpanzerlieferungen aufzurufen. Eine selbstbewusste Arbeiter*innenbewegung in Russland und im Westen könnte mit Streiks und Blockaden den Krieg stoppen. Das mag für manche weit weg klingen – tatsächlich ist das aber realistischer, als dass der Krieg durch immer weiteres Anheizen militärisch entschieden wird.

Foto: Kyivcity.gov.ua (CC BY 4.0)