Rechter Terror und bürgerlicher Staat: 100. Jahrestag des Republikschutzgesetzes

Die Weimarer Republik war nicht das, wofür die Massen in der Novemberrevolution gekämpft hatten: Das Kapital blieb an der Macht, der alte Staatsapparat intakt. Der radikalen Rechten aber war die Republik zu viel an Demokratie. Rechtsradikale Gruppen verübten systematischen Terror gegen Linke und republiktreue bürgerliche Politiker*innen. Als am 24. Juni 1922 Außenminister Rathenau ermordet wurde, sah sich der Staat gezwungen zu handeln.

Marcus Hesse, Aachen

Die rechtsradikalen Terrororganisationen sind schon 1919 aus dem Dunstkreis der Kräfte entstanden, die die sozialdemokratische Ebert-Regierung gegen die revolutionäre Arbeiter*innenklasse losließ. Sie töteten Angehörige der politischen Linken, aber es gab auch Morde an bürgerlichen Politikern,  wie Finanzminister Erzberger 1921. Auch der SPD-Politiker Scheidemann entging nur knapp einem Attentat. 1920 versuchten rechte Militärs einen Putsch gegen die Regierung. Die Klassenjustiz ging kaum gegen rechten Terror vor und verhängte meist milde Urteile, wohingegen Kommunist*innen massenhaft die Gefängnisse füllten. Der Mathematiker Emil Julius Gumbel wies dies in seinem 1922 erschienenen Buch „Vier Jahre Politischer Mord“ eindrucksvoll statistisch nach, wodurch er fortan zum verhassten Feind des Establishments und Außenseiter im akademischen Betrieb wurde.

Der Mord an Walther Rathenau

Außenminister Rathenau von der liberalen DDP entsprach als Jude besonders dem Feindbild der frühen Faschisten. Dass er für eine Verständigung mit Sowjetrußland und für die Erfüllung der Bedingungen des Versailler Vertrages eintrat, rückte ihn ins Visier der aus dem Kreis der Kapp-Putschisten stammenden terroristischen Gruppe „Organisation Consul“. Deren Mitglieder hatten schon 1921 Finanzminister Erzberger ermordet, bekamen aber dafür durch ihnen wohlgesonnene reaktionäre Richter vergleichsweise milde Strafen. Der Mord am 24. Juni des Folgejahres löste eine Welle von Protesten aus. Besonders die Arbeiter*innenbewegung ging auf die Straße und forderte entschlossene Maßnahmen gegen rechtsradikalen Terror.

Anders als bei den vorangegangenen Morden wurden die Täter dieses Mal tatsächlich härter bestraft. Grund dafür war, dass für diesen Prozess ein Sondergericht zur Verteidigung der Republik eingerichtet wurde, mit Laienrichter*innen aus SPD, USPD, Zentrum und Liberalen. Die republikanischen Parteien trauten den Berufsrichtern aus gutem Grund nicht.

Republikschutz – aber gegen wen?

Am 23. Juli 1922 wurde im Reichstag das „Gesetz zum Schutze der Republik“ verabschiedet. Getragen wurde es von SPD, USPD, DDP, der Mehrheit der konservativen DVP und dem Zentrum. Deutschnationale und Bayerische Volkspartei lehnten es ab. Tatsächlich stemmte sich Bayern lange dagegen und wandte das Gesetz praktisch nicht an. Dieser Milde des Freistaats gegenüber republikfeindlichen rechtsradikalen Aktivitäten standen eigene spezielle Gesetze gegen kommunistische Betätigung gegenüber, die nicht im Zusammenhang mit dem reichsweiten Republikschutzgesetz standen. Die KPD forderte entschlossene Maßnahmen gegen Faschismus und rechten Terror, auf der Grundlage einer Einheitsfront aller Organisationen der Arbeiter*innenklasse.

Besonders die Sozialdemokratie verkaufte das Republikschutzgesetz als Waffe gegen die faschistische Bedrohung. Tatsächlich beinhaltete dieses Gesetz, das 1930 verlängert und erweitert werden sollte, weitgehende staatliche Sonderbefugnisse und härtere Strafen gegen Organisationen, die sich „gegen die verfassungsmäßige republikanische Staatsform“ richteten. Es ging einher mit der Verpflichtung aller Beamten, sich zur Verfassung zu bekennen.

In den Folgejahren wurden rechtsradikale Aktivitäten durch die Republik tatsächlich schärfer bekämpft. Aber die Bestimmungen des Gesetzes wurden genauso gegen Kommunist*innen angewandt. Immer wieder kam es zu vorübergehenden Partei- und Vereinsverboten sowie Verboten von Zeitungen, besonders im SPD-regierten Preußen. Beamte, die sich für die KPD engagierten, konnten auf der Grundlage dieses Sondergesetzes ihre Stellung verlieren. Bei den Verurteilungen auf Grundlage des Republikschutzgesetzes wurden Kommunist*innen in den Folgejahren tatsächlich am häufigsten und am härtesten bestraft. Das Gesetz zum vermeintlichen Kampf gegen den rechten Terror wurde zur Waffe des bürgerlichen Staates gegen radikale Linke und Antifaschist*innen.