Kollontai: Ein Leben für die Frauenbefreiung und die Revolution

Am 31. März 2022 wäre die russische Bolschewikin Alexandra Kollontai 150 Jahre alt geworden. Aber wer war sie?

Alexandra Kollontai, geboren am 31. März 1872 in St. Petersburg in Russland, war wohl die bekannteste russische Revolutionärin. Sie war die erste Frau, die als vollwertiges Mitglied ins Zentralkomitee der Bolschewiki und nach der Oktoberrevolution 1917 zur Volkskommissarin (Ministerin) gewählt wurde. 1899 trat sie der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands bei und setzte sich sofort für die Befreiung der Frau ein. Ursprünglich eine Menschewikin, wechselte sie wegen der unerschütterlichen Antikriegsposition Lenins 1915 zu den Bolschewiki. Sie beschäftigte sich damit, wie Frauen aus der Arbeiter*innenklasse in den Kampf für eine Veränderung der Gesellschaft miteinbezogen werden können, welche Rolle dabei die revolutionäre Partei spielt und wie geschlechtsspezifische Unterdrückung in einer neuen, gleichberechtigten Gesellschaft überwunden werden kann. Kollontai brach dafür nicht nur mit ihrem bürgerlichen Klassenhintergrund, sondern auch mit den Erwartungen, die an Frauen in der kapitalistischen Gesellschaft herangetragen wurden.

Beitrag zum sozialistischen Feminismus

Kollontai beschäftigte sich von Anfang an mit der Befreiung der Frau. In ihrem Text die soziale Basis der Frauenfrage schrieb sie bereits 1909, dass die Unterdrückung der Arbeiterin im Kapitalismus zweifach sei: als Arbeiterin vom Kapital und als Frau vom Mann. Um die Abhängigkeit vom Mann zu überwinden, müssten ökonomische Grundlagen geschaffen werden, in denen die Arbeiterin sich vom Joch des Kapitals befreie und selbständig und unabhängig vom Mann und Kapital arbeiten könne. Sie formulierte die Notwendigkeit der „Vergesellschaftung der Carearbeit“ als Voraussetzung für die Frauenbefreiung. Die unbezahlte Hausarbeit, die Frauen unter dem Patriarchat überwiegend machen müssen, solle von gut bezahlten Arbeiter*innen durch öffentliche Wäschereien, Kitas und Volksküchen übernommen werden. Bei der Frage der besten Partner der Befreiung setzte sie sich den bürgerlichen Feministinnen ihrer Zeit entgegen. Sie erkannte richtig, dass die bürgerlichen Feministinnen sich in Wirklichkeit nur für ihre eigenen Vorteile und eben nicht für die Befreiung der arbeitenden Frauen einsetzten. Anstelle der Frauen der Kapitalist*innenklasse sah Kollontai die männlichen Arbeiter der Arbeiter*innenklasse als die besten Partner an, um das Patriarchat überwinden zu können. Denn solch eine notwendige Veränderung der Gesellschaft sei im Kapitalismus nicht möglich in, sondern erfordere ein System, das nicht auf Ausbeutung, insbesondere der unbezahlten Arbeit der Frau, aufgebaut ist: den Sozialismus

„Die Frauen und ihr Schicksal beschäftigten mich ein Leben lang, und ihr Los war es auch, das mich zum Sozialismus führte“

Alexandra Kollontai

Mit der Oktoberrevolution wandelte Kollontai ihre Theorie in Praxis um. Als das einzige weibliche Mitglied des Zentralkomitees der Bolschewiki stritt sie für die Umsetzung ihrer Ideen. Und sie hatte Erfolg. Die Bolschewiki führten das Recht auf Schwangerschaftsabbruch, ein universales Frauenwahlrecht und die Entkriminalisierung von Homosexualität ein. Als Leitung des Volkskommissariats für Soziale Fürsorge setzte sie die „Vergesellschaftung der Care-Arbeit“ um: Volksküchen, kommunale Frauenhäuser und kollektive Kindererziehung (Kitas). Damit wurde die Frau von einem Großteil der Carearbeit entlastet und konnte sich auf Arbeit, Liebe und Aufbau der sowjetischen Gesellschaft fokussieren. Leider wurden viele dieser Errungenschaften 1936 mit der neuen sowjetischen Verfassung rückgängig gemacht. Zum großen Teil dank Kollontai war die frühe Sowjetunion im Bezug auf Frauenrechte mit Abstand das fortschrittlichste Land der Welt. 

Kollontais Verhältnis zur Sowjetunion und zum Stalinismus

Mit der Zeit verlor sie an Einfluss innerhalb der Partei und des Landes. Ihre kontroverse Kritik an dem Aufstieg des Bürokratismus, an Kriegskommunismus und der Beschränkung der Arbeiter*innendemokratie während des Bürgerkriegs und ihre Rolle in der „Arbeiteropposition“ 1921 führten dazu, dass sie ihre Führungsrolle abgab. Die Arbeiteropposition äußerte schon Jahre vor der späteren Linken Opposition Kritik an Bürokratisierung und fehlender Arbeiter*innendemokratie. Sie forderte die Steuerung der Wirtschaft durch die Gewerkschaften und lehnte die Neue Ökonomische Politik (NEP) mit seinen weitgehenden Zugeständnisse an das bäuerliche Privateigentum ab, zu deren Einführung sich die Bolschewiki nach Bauernaufständen gezwungen sahen. Die Vorschläge der Arbeiteropposition waren der Versuch, die zunehmende Bürokratisierung zu bekämpfen – nahmen dabei aber keine Rücksicht auf die materiellen Verhältnisse in der vom Bürgerkrieg zerstörten Sowjetunion. Die Auseinandersetzungen mit der Arbeiteropposition drohte die Partei zu spalten und führte 1921 zum Fraktionsverbot. Alexandra Kollontai verlegte in den nächsten Jahren ihren Arbeitsschwerpunkt auf die Diplomatie und übernahm Funktionen in Ausland. 1923 wurde sie die erste Botschafterin der Welt: zuerst in Norwegen, dann in Mexiko und zuletzt in Schweden. In diesen Ländern arbeitete sie wichtige diplomatische Maßnahmen, u.a die Anerkennung der Sowjetunion als Staat, aus. Obwohl frühe Oppositionelle, machte sie ihren Frieden mit der stalinistischen Bürokratie. Sie war deshalb die einzige der „alten Bolschewiki“, die die große Säuberung Stalins überlebte.

Ihr Vermächtnis

Alexandra Kollontai ist eine Heldin der russischen Revolution. Vor der Revolution spielte sie als mitreißende Rednerin, aber auch als Theoretikerin eine wichtige Rolle im Aufbau der sozialistischen Bewegung. Mit ihren Beiträgen zum sozialistischen Feminismus setzte sie den Grundstein für die Befreiung der Frau. Aber ihre Theorie war nicht nur Theorie. Sie setzte sie in der Praxis um und damit verbesserte sie das Leben von Millionen Arbeiterinnen und Arbeitern.