Eine Chronik des Versagens

Zwei Jahre schlagen wir uns jetzt mit der Pandemie rum. Mit einer richtigen Strategie hätte sie vielleicht besiegt werden können, aber die Angst der Politik vor einer kurzen Unterbrechung der Profitmaschinerie, ein unterfinanziertes Gesundheitssystem und der Impfnationalismus haben dazu geführt, dass die Pandemie außer Kontrolle geriet.

Von Sebastian Rave, Bremen

In den ersten Monaten gab es noch nicht mal Masken für die Beschäftigten im Gesundheitswesen. OP-Masken mussten getragen werden, bis sie „durchgefeuchtet“ waren. Die große Einkaufs-Offensive von Spahn brachte später Linderung – und viel Geld in die Taschen einiger Zwischenhändler und korrupter CDUler. Mittlerweile gibt es FFP2-Masken in jedem Supermarkt – eine kostenlose Versorgung der Bevölkerung gibt es aber weiterhin nicht.

Die ersten Fälle in Deutschland traten auf, als heimgekehrte Geschäftsreisende infiziert an ihre Arbeitsplätze zurückkehrten. Die Seuche verbreitete sich über die Logistik-Branche, die Lebensmittelindustrie, und die Schulen. Den Lockdown gab es trotzdem nur für die Freizeit. So durfte man zwischenzeitlich abends nicht spazieren gehen, aber tagsüber weiterhin „Corona-Parties“ im Großraumbüro feiern.

Massenhaftes Testen

Mit massenhaften Tests und Nachverfolgungen hätte die Pandemie gestoppt werden können. Schon im März 2020 (!) haben wir nachgewiesen, dass millionenfache PCR-Tests machbar gewesen wären. Stattdessen entwickelte sich ein Netz aus teils zwielichtigen Privatanbietern, die Geld mit teils fragwürdigen Schnelltests verdienen, die gerade bei Geimpften mit Omikron selten anschlagen. Mittlerweile hat alleine die Stadt Wien mit 800.000 PCR-Tests am Tag ganz Deutschland überholt. Die Antwort der Bundesregierung ist nicht etwa, die PCR-Testkapazitäten drastisch zu erhöhen, sondern den Zugang zu PCR-Tests zu erschweren. So kann man die Zahlen natürlich auch nach unten drücken: „Die im Dunkeln sieht man nicht.“

Öffentlicher Dienst krankgespart

Die Nachverfolgung der Kontakte durch die Gesundheitsämter ist mittlerweile komplett zusammengebrochen. Diese haben nicht genügend Personal, um die Kontaktpersonen von Infizierten zu erreichen. Das Potenzial von über 150.000 Callcenter-Beschäftigten hätte genutzt werden können. Statt Unterstützung für die Gesundheitsämter gibt es aber weiterhin nur… Werbeanrufe.

Die meisten Schulen sind zwei Jahre nach Beginn der Pandemie immer noch nicht mit Luftfiltern ausgestattet. Unterricht findet bei offenem Fenster statt, Schüler*innen und Eltern sind gestresst von dem ewigen Hin und Her. Schulen und Kitas brauchen endlich mehr Personal, auch, um die psychischen Folgen der Pandemie für die Kinder aufzufangen.

Der Personalmangel in den Krankenhäusern war auch vor der Pandemie ein Problem. Pflegekräfte verlassen entnervt und ausgebrannt den Beruf. Hunderttausende könnten zurückgewonnen werden, wenn die Anerkennung sich nicht nur im Balkon-Applaus, sondern auch im Gehalt ausdrücken würde, und wenn die Arbeitszeiten reduziert werden würden. Das stellt direkt das Finanzierungsmodell der Krankenhäuser in Frage, die mit dem Fallpauschalen-System (DRG) einen Anreiz haben, am „variablen Kapital“ zu sparen: dem Personal.

Impfnationalismus führt zu Mutationen

Die rasche Herstellung eines sicheren Impfstoffes zeigt, was mit moderner Wissenschaft (finanziert mit öffentlichen Geldern) möglich ist. Eine rasche globale Verteilung des Impfstoffes hätte mögliche Mutationen vielleicht verhindert. Dazu ist es nicht gekommen, weil reiche Länder „ihre“ Impfstoffe lieber gebunkert haben, während der globale Süden ungeimpft blieb. Gut durchgeimpfte Inseln helfen nichts, wenn das Virus drumherum mutieren kann. Genau das ist mit der Delta-Variante (Indien) und Omikron (Südafrika) passiert. Die Patente, welche die Profite der Pharma-Industrie sichern, haben zu diesen Mutationen geführt, gegen die wahrscheinlich weitere Impfstoffe entwickelt werden müssen.

Das alles führt in der Summe dazu, dass wir auch in Zukunft mit Corona leben werden müssen. Als eine Endemie, die vielleicht weniger tödlich ist als zu Beginn – jedenfalls, wenn ausreichend Menschen geimpft und genesen sind. Unterm Strich stehen aktuell 5,6 Millionen Tote. Millionen Menschen, deren Tod vermeidbar gewesen wäre. Todesursache: Kapitalismus.