Die Hexenprozesse von Siegburg

Zwischen dem 17.07.1636 und dem 19.07.1638 wurden in Siegburg (bei Bonn) mindestens 37 Menschen der angeblichen Hexerei schuldig befunden und umgebracht. Wie konnte es in dem unscheinbaren Städtchen dazu kommen?

Der Anfang: Ein Streit unter Nachbar*innen

Am Beginn der Hexenprozesse stand ein Streit zwischen Kunigunde Meurer und dem Wollweber Christian Lindlar. Kunigunde hatte angeblich einen Laib Brot aus Lindlars Haushalt gestohlen und ihn verhext als er sie mit dem Diebstahl konfrontierte. Kurz darauf erkrankte der Wollweber und denunzierte, bereits sterbenskrank, Kunigunde vor den damaligen Bürgermeistern Wilhelm Kortenbach und Georg Räder. Kurz nach dieser Denunziation verstarb Lindlar.

Nach dem Rechtsverständnis der Frühen Neuzeit war der Vorwurf der Hexerei kein ,,normales“ Verbrechen. Es handelte sich um einen Verbrechen gegen die ,,göttliche Ordnung“, weshalb es auch eigenen juristischen Regeln unterlag. Die Wichtigste war, dass die Beweisführung durch einen bestellten Hexenkommissar erfolgen musste. Im Falle von Siegburg war dies der berüchtigte Dr. Franz Buirmann.

Buirmann hatte schon zuvor in Bonn (1628/29) und Rheinbach (1631) als Hexenkommissar gewirkt und war für seinen besondere Brutalität bekannt. In Rheinbach hatte er sich nach der Ermordung an den Reichtümern seiner Opfer bedient und war dabei selbst mit dem Gesetz in Konflikt geraten als er das Haus einer ermordeten Kaufmannswitwe stürmen lies, um es auszurauben.
Trotz seiner offensichtlich wirtschaftlichen Motive, muss er doch für die mit der Angelegenheit betrauten Bürgermeister wie ein Fachmann gewirkt haben. So war er der erste akademisch ausgebildete Jurist am Hohen Weltlichen Gericht Bonn, einem der höchsten Verwaltungsgerichte im Kurfürstentum Köln.

Die Situation gerät außer Kontrolle…

Anhand der 19 erhalten Protokolle lässt sich der weitere Ablauf rekonstruieren. Zunächst wurden die Beschuldigten vorgeladen und zum Tathergang befragt. Anschließend ging man zur Untersuchung nach Hexenmalen über. Diese waren angeblich bei der Berührung durch Satan auf den Körper des*der Beschuldigten übergegangen und drückten die Verbundenheit mit Satan aus. Typisches ,,Stigma” waren hier Hautunreinheiten, Pigmentflecken oder Muttermale. Waren diese vorhanden, so war nach damaliger Rechtsauffassung klar: Dieser Mensch muss mit dem Teufel im Bunde stehen. Ab diesem Zeitpunkt war der Mensch bereits schuldig.

Es galt nun die Seele von Satans Einfluss zu erlösen und auch weitere Angehörige der Teufelssekte zu erfahren, um auch diese Seelen zu erlösen. Dabei zeigte man den Angeklagten zunächst die Foltergeräte, um ein Geständnis zu erreichen.

War dies nicht erfolgreich, wurden diverse Foltermethoden angewendet. Dabei wurde bis zum Geständnis gefoltert. Unter Geständnis ist hierbei jedoch keine einfache Bestätigung des Vorwurfes zu verstehen. Vielmehr wollte das Gericht erfahren, wer beim sogenannten Teufelstanz ebenfalls anwesend war. Der Teufelstanz ist das Treffen der Satanssekte, bei dem die Satanssekte Gott lästert und an verschiedenen Orten in Siegburg ausgelassen des Nachtens feiert. Tanzplätze waren bspw. das Siegufer, Kaisers Kirchhof (Senior*innenstift am hohen Ufer) oder aber der Siegburger Marktplatz. Dorthin gelang man durch einen Ritt auf einem schwarzen Bock, durch das Auftragen von Hexensalbe oder aber zu Fuß. Der Hexenbesen war kein Fortbewegungsmittel. Er wurde dem Ehepartner ins Bett gelegt, damit dieser dachte, dass die Person noch im Bett lag.

Auch Kunigunde hatte unter Folter gestanden, beim Hexentanz mehrere Personen gesehen zu haben und dem Scharfrichter Namen genannt. Damit begannen nun gegen ihre Nachbar*innen weitere Prozesse.

… und spielt dem Bürgermeister in die Hände

Obwohl durch die Methode des Hexentanzes immer mehr Menschen in den Strudel der Ermittlungen gerieten, handelte es sich nicht um eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Denn nach der Vorladung entscheidet das Schöffengericht über die Anklageerhebung. Bürgermeister Kortenbach kam hierbei als Vorsitzendem die zentrale Rolle zu. Und auch hier gilt das alte Brechtsche Motto: ,,Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.“ Denn als Vorsitzendem stand Kortenbach einen Reichstaler pro Gerichtstag zu. Vor dem Hintergrund des Dreißigjährigen Krieges, der zu diesem Zeitpunkt tobte und auch Siegburg eine dreijährige schwedische Besatzung bescherte, in deren Verlauf die Stadtbevölkerung von 3.200 Einwohner*innen auf 800 sank, bares Geld. Er hatte also ein objektives Interesse daran möglichst viele Gerichtstage abzuhalten.


Kortenbach stand zwar der nominell politisch schwächsten Institution, dem Stadtrat, vor. Als reichsunmittelbare Stadt gab eigentlich der Vogt als höchste weltliche Macht den Ton in der städtischen Politik an, während der Abt der Abtei Michelsberg das Oberhaupt der Stadt war. Da jedoch der Abt samt den Mönchen vor dem Einmarsch der Schweden am 27.10.1632 geflohen war und auch sein Nachfolger im Exil in Köln gewählt wurde und somit nicht in Siegburg weilte und auch die Stellung des Vogtes seit dem Aussterben der Linie Jülich-Kleve-Berg im Jahre 1609 unsicher war, hatte Kortenbach freie Bahn und konnte seine politische Stellung ausbauen. Erst als der Abt Ende Juli 1638 wieder in Siegburg einzieht, hat das Treiben ein Ende. Erst wenige Tage zuvor war mit Katharina Genßköpper die letzte Siegburgerin hingerichtet worden.

Zynismus und Frauen*hass

Waren es in den vorherigen Hexenprozessen des Rheinlandes, die Buirmann als Hexenkomissar durchführte, vor allem Menschen aus der städtischen Ober- und Mittelschicht, so traf es dieses Mal überwiegend mittellose und alleinstehende Frauen* ab 50 Jahren, die am Rande der dezimierten Siegburger Stadtgesellschaft standen.

Zum einen ist klar, dass Siegburg nach mehreren Jahren schwedischer Besatzung wirtschaftlich ausgezehrt war, weshalb es natürlich wenig zu holen gab. Zum anderen ist davon auszugehen, dass die Stellung der Frauen* in der frühneuzeitlichen Gesellschaft des Rheinlandes ihnen offensichtlich die schlechteren Karten zuspielte. Sie waren nur begrenzt rechtsfähig, ihr Wort galt weniger als das eines Mannes und natürlich galten sie in der patriarchalen Gesellschaftsordnung der Frühen Neuzeit auch juristisch als Untertanin des Mannes. Sie hatten also auch weniger Möglichkeiten sich zu Wehr zu setzen. Damit waren sie als Opfer für das politische Ränkespiel von Kortenbach prädestiniert.


Insbesondere in anglo-amerikanischen Darstellungen wird auch die These aufgestellt, dass der Frauen*hass Buirmanns eine besondere/gewichtige Rolle gespielt haben könnte. Dies ist aber bei genauerem Studium der Quellen mit Vorsicht zu genießen, da sie sich vor allem auf Äußerungen von Hermann Löher, der mit dem Hexenkommissar Buirmann bereits als Schöffe in Rheinbach zusammengearbeitet hatte und anschließend zu einem Kritiker der Hexenverfolgung wurde, berufen. Mehrere seiner Angaben zu Buirmann erwiesen sich als nicht stichhaltig. Dennoch ist unbestreitbar, dass Buirmann nicht im luftleeren Raum agierte. Seine Ausbildung als ,,Jurist“ lässt sich nicht von den Vorstellungen seiner Zeit zu trennen. Da das christliche Weltbild der Frühen Neuzeit die Unterordnung der Frau* unter den Mann auch ideologisch zementierte, sind Hexenverfolgungen ohne Frauen*hass so wenig vorstellbar wie ein Gottesdienst ohne Amen.

Die Geschichte der Hexenprozesse ist eine Geschichte der Klassenkämpfe

Die Geschehnisse in Siegburg sind natürlich nur ein Mikrokosmos im Rahmen der größeren Handlung des Dreißigjährigen Krieges, der seit den 30er Jahren des 17. Jahrhunderts auch das Rheinland heimsuchte. Ein Krieg, der entgegen der bürgerlichen Geschichtsschreibung kein ,,Glaubenskrieg“ war, sondern den Übergang in die Epoche der Frühindustrialisierung bildete, die bereits in verschiedenen Staaten Europas ihre Schatten vorauswarf. Das damalige Heilige Römische Reich Deutscher Nation hinkte dieser ökonomischen Entwicklung hinterher, da der Widerspruch zwischen der alten feudalen Ordnung und dem aufstrebenden Bürgertum sich in den verschiedenen Herrschaftsgebieten unterschiedlich auflöste.

In einer Situation der Unsicherheit und des Umbruchs konnte irrationales Denken besonders starke Wirkung entfalten. Eine gewisse Parallele hat sich in jüngster Zeit am Aufkommen von Verschwörungsmythen rund um Corona, gezeigt, wo verschiedenen finsteren Mächten die „Schaffung“ des Virus unterstellt wird.

Die Ereignisse in Siegburg waren keine Ausnahme. Als einzige verbliebene städtische Institution verband der Bürgermeister die politische Macht mit der Methode der Hexenprozesse, um die gesellschaftlichen Konflikte in seinem Sinne zu lösen. So klein und unbedeutend Siegburg mit seinen 800 Einwohner*innen nach dem Abzug der Schweden 1635 auch war, zeigt die Beschäftigung mit diesem Fall exemplarisch wie die wirtschaftlich und sozial besonders unterdrückten Mitglieder der Stadtgesellschaft eine Kombination aus politischem Machtkalkül, Entfremdung durch Krieg und patriachaeler Herrschaft zum Opfer fielen.