Nawalny vs. Kreml

Bild: Evgeny Feldman, CC BY-SA 4.0

Gestern landete das Flugzeug der russischen Fluggesellschaft Pobeda mit Alexey Nawalny an Bord am Moskauer Flughafen Scheremetjewo. Laut Flugplan hätte das Flugzeug am Flughafen Moskau-Wnukowo landen müssen, aber aus Angst vor Massenversammlungen von Unterstützer*innen von Alexey Nawalny leitete die russische Regierung das Flugzeug um. Trotzdem wurden mehrere Dutzend Menschen ohne jeglichen formellen Grund von der Polizei verhaftet.

von Dima Yansky, Köln

Auch Alexey Nawalny wurde direkt nach der Landung In Haft genommen. Blitzartig fand die Gerichtssitzung statt. Alexey Nawalny wurde zu 30 Tage Haft verurteilt, weil er Weisungen des Gerichts nicht Folge geleistet habe. Dass Nawalny kurz davor vergiftet wurde, Im Koma lag, und danach mit dem Einverständnis der russischen Regierung nach Deutschland abtransportiert wurde ließ das Gericht außer Acht.

Wir wissen nicht, was genau von Putins Regierung geplant wurde. Alexey Nawalny hat dank seinem Mut und kompromisslosem Kampf gegen die Korruption von hochrangigen Beamten und Oligarch*innen das Vertrauen von Millionen Russen und Russinnen gewonnen. Vor allem für die Jugend personifiziert er den Protest gegen die alten, verlogenen, korrupten Eliten.

Die Generation der Russ*innen zwischen 15 und 30 haben in ihren Leben faktisch keinen anderen Präsidenten als Putin an der Macht erlebt. Wenn Putins Regierung für die älteren Generationen Stabilität und Wiederaufbau des Landes nach den chaotischen 90er Jahren verkörpert, verkörpert sie für die Jugend Korruption und vor allem die gläsernen sozialen Decken, die für 99 Prozent der Jugendlichen unüberwindbar sind. Die junge Arbeiter*innen und Uni-Absolvent*innen sind die Leidtragenden der Krise, die das Land faktisch seit 2008 ununterbrochen im Würgegriff hält. Die Realität für sie ist trotz optimistischen Berichten der staatlichen Medien eine zermürbende Suche nach Arbeit, sinkende Reallöhne, der schwankende Kurs des Rubel, teurere Bildung und explodierende Preise. Gleichzeitig sehen sie in ihrem alltäglichen Leben die Luxuskarossen der neuen Reichen, Paläste der Staatsbediensteten und den luxuriösen Lifestyle der Rich Kids. Dieser Unmut und die Unfähigkeit des „Pipeline-Präsidenten“ Putin und der herrschenden Klasse die Probleme der Gesellschaft zu lösen bilden die Basis für Nawalny. Die russische kapitalistisch–bürokratische Clique hat nicht vor Nawalny Angst, sondern vor der Frustration der Millionen Russen und Russinnen, durch die Nawalny zum populärsten Politiker des Landes geworden ist.

Alexey Nawalny ist kein linker Politiker. Seine politische Karriere hat er in der neoliberalen Partei Yabloko gestartet. Er unterhielt Kontakte in die rechte Szene, um sie zu Protesten gegen Putin zu mobilisieren. In seinen Aussagen präsentierte er sich früher oft nationalistisch und forderte die Abschaffung der Visumfreiheit von Arbeitsmigrant*innen aus Zentralasien. Allerdings reagierte er als geschickter Populist sensibel auf die Stimmung der verarmten Massen. So sprach er über die Notwendigkeit der Gründung unabhängiger Gewerkschaften. In seinen Reportagen sprach er immer wieder über die Notwendigkeit, Mindestlohn und Renten zu erhöhen. Er forderte eine zusätzliche Besteuerung von russischen Superreichen und äußerte sogar Sympathien für Bernie Sanders. Sein Mut, gutes politisches Gespür und Flexibilität sorgten dafür, dass seine Streams populärer als Videos von Popstars wurden.

Ziemlich lange versuchte das Regime, die Korruptionsermittlungen von Alexey Nawalny einfach zu ignorieren. Allerdings wurde Nawalny in Zeiten von Krise, wachsenden politischen Spannungen und Unzufriedenheit für Putins Regierung und die russischen Oligarch*innen immer gefährlicher. Mittlerweile bekommt er Unterstützung nicht nur aus den verarmten Massen und der Jugend, sondern auch von kleinbürgerlichen urbanen Schichten. Kleinunternehmer*innen, Künstler*innen, selbstständige IT-Spezialist*innen, die weder Unterstützung von irgendwelchen Parteien, noch vom Staat bekommen, die in ihrer wirtschaftlichen Existenz von der Willkür der Beamten abhängig sind und Angst vor der Polizei und der Mafia haben machen Nawalny zur Stimme des Bildungsbürgertums. Abgesehen davon bekommt Nawalny anonyme Unterstützung von einigen Millionär*innen, die auch mit Putins Regierung unzufrieden sind und den harten Griff des Bonapartes lockern wollen.

Obwohl die bonapartistische Regierung Putins die Interessen der herrschenden kapitalistischen Klasse mit eiserner Faust verteidigt, träumen viele Superreiche von einer klassischen bürgerlichen Demokratie wie in Westeuropa. Die schützenden Umarmungen der staatlichen Strukturen erscheinen vielen Millionär*innen viel zu eng.

Neben Nawalny wurden auch mehrere linke, soziale und feministische Aktivisten und Aktivistinnen verhaftet. Wegen der komplizierten Wirtschaftslage und zunehmenden internationalen politisch-militärischen Spannungen ist es sehr eng für Putin geworden. Eine politische Niederlage Putins würde nicht einfach zum Austausch einiger politischer Figuren führen, sondern den Zusammenbruch seines ganzen Systems bedeuten.

Unsere Genoss*innen sind in vielen Fragen mit Alexey Nawalny prinzipiell nicht einverstanden. Wir denken nicht, dass Russland oder andere Länder der ehemaligen UdSSR die Fragen von Armut, Demokratie oder Erhöhung des Lebensstandards auf der Basis des Kapitalismus lösen können. Sein Flirten mit russischen Nationalismus verurteilen wir zutiefst. Wir haben keine Illusionen in Nawalny oder einige seine neoliberalen oder libertären Unterstützer*innen. Allerdings geht es momentan darum, dass Putins Bürokratie und russische herrschende Klasse um ihre finanzielle Interessen zu schützen bereit sind, jegliche politische Opposition mit allen Mitteln, bis hin zu langen Gefängnisstrafen oder sogar politischen Morden zu zerschlagen. Die gleichen Methoden werden die bürokratische Clique und die Superreichen auch gegen Gewerkschaften, Arbeiteraktivist*innen, Sozialist*innen, Feminist*innen und lokale Aktivist*innen benutzen. Wir möchten den Kampf für die breite Demokratie mit dem Kampf für soziale Forderungen und Sozialismus verbinden.

Schon Wladimir Lenin erinnerte an die Pflicht der Linken, „bei der Aufrollung, Zuspitzung und Lösung jeder allgemein demokratischen Frage allen voranzugehen“. Unsere Forderungen der Stunde sind:

  • Freiheit für Alexey Nawalny
  • eine unabhängige Ermittlung zum Mordversuch an Nawalny
  • offene und unabhängige Gerichtsverfahren gegen Mordverdächtige
  • Auflösung aller staatlichen Geheimdienste
  • Freiheit für alle politischen Gefangenen
  • Sturz des Putin-Regimes durch eine soziale Bewegung
  • Einberufung einer russischen konstituierenden Versammlung von allen Schichten der Arbeiterinnenklasse, die über die Zukunft Russlands entscheiden wird
  • Demokratie für alle Arbeiter*innen und Unterdrückten
  • gemeinsamer Kampf für eine Gesellschaft mit maximaler politischer und wirtschaftlichen Demokratie, eine sozialistische Gesellschaft.