Debatte: Krise lösen durch Umverteilen?

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DIE LINKE und die „UmFAIRteilen“-Kampagne

Eine Woche nach den Demonstrationen am bundesweiten „UmFAIRteilen“-Protesttag, an denen sich in 40 Städten insgesamt 40.000 Menschen beteiligten (und DIE LINKE überall gut sichtbar war), titelte die Zeitung „Klar“ von der LINKEN-Bundestagsfraktion in ihrer Ausgabe Nr. 27 am 9. Oktober: „Die Lösung der Krise heißt: Umverteilen“. Darin steht: „Während die Reichen immer reicher werden, explodieren die Staatsschulden, sinken Löhne und Renten. Es ist höchste Zeit für einen Kurswechsel: ‚UmFAIRteilen – Reichtum besteuern!‘ lautet das Gebot der Stunde.“

Wie in der Zeitung „Klar“ werden seitens der LINKEN Umverteilungsmaßnahmen derzeit häufig als zentrale Antwort auf die Krise präsentiert. Aber um was für eine Krise handelt es sich überhaupt? Geht es um eine Staatsschulden-, Banken-, Finanz- oder Wirtschaftskrise? Ist die Krise konjunkturell oder strukturell? Darüber, aber auch über die inhaltlichen Alternativen existiert Diskussionsbedarf in der Linkspartei. Das zeigte sich beispielsweise auch auf dem hessischen Landesparteitag vom 6. und 7. Oktober in Frankfurt am Main. Dort wurde leidenschaftlich über den Leitantrag „UmFAIRteilen: Für ein soziales Hessen“ debattiert.

Karin Binder, Karlsruhe, Parlamentarische Geschäftsführerin der LINKEN-Bundestagsfraktion

Heißt die Lösung der Krise „Umverteilen“? Ja und Nein. Umverteilen allein reicht nicht.

Unsere Gesellschaft braucht eine weit stärkere Beteiligung der Unternehmen und der Reichen an den Kosten für die Aufgaben des Staates. Die Aufgabe und der gesellschaftliche Nutzen des Staates ist das Vorsorge- und Fürsorgeprinzip für eine soziale Gesellschaft. Das erfordert weit höhere Beiträge der Wohlhabenden und der Unternehmen als diese in den vergangenen Jahrzehnten in Deutschland geleistet haben.

Gerade die Agenda-Politik der Schröder/Fischer-Regierung hat mit ihren Hartz-Gesetzen Lohn- und Sozialdumping der schlimmsten Art betrieben. Deshalb fordert DIE LINKE seit Jahren die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns von zehn Euro pro Stunde, die Abschaffung von Leiharbeit und Minijobs sowie das Ende unbegründeter Befristungen. Erwerbseinkommen müssen sozialversichert und existenzsichernd sein, ebenso wie die Rente. Aber auch die Menschen ohne Einkommen müssen ein menschenwürdiges Auskommen haben, eine solidarische Grundsicherung für Kinder, für Kranke und Erwerbslose.

Höhere Steuereinnahmen zum Beispiel aus einer Finanztransaktionssteuer, Millionärssteuer sowie Vermögens- und Bankenabgaben wären deshalb dringend erforderlich. Bis zu 190 Milliarden Euro mehr jährliche Steuereinnahmen wären nach unseren Vorschlägen möglich.

Immer mehr gesellschaftlich notwendige Aufgaben dürfen nicht länger ins unbezahlte „Ehrenamt“ abgeschoben werden. Aufgaben im Bereich Bildung, Betreuung, Pflege oder auch Umwelt sind für unsere Gesellschaft unerlässlich und müssen entsprechend bezahlt werden.

Eine gerechtere Verteilung der Vermögen ist deshalb ein wesentlicher Bestandteil zur Lösung unserer gesellschaftlichen und sozialen Krise in Deutschland.

Das allein reicht jedoch bei weitem nicht, um die Krise in Europa zu bewältigen. Ein Schuldenerlass für in Not geratene Länder, der sogenannte Schuldenschnitt, ist notwendig. Wir wollen verhindern, dass die soziale Krise die Menschen und die Gesellschaften in den europäischen Ländern zerstört. Länder wie Griechenland, Portugal oder Spanien haben ihre Schulden bei den Banken schon mehrfach abbezahlt. Aber sie werden zu weiteren Schuldenaufnahmen genötigt, um ihre Zinsen zu bezahlen und das Diktat des Fiskalpakts zu erfüllen, das sie zwingt, trotz aller Kürzungsauflagen im Interesse der „Geberländer“ ihre Rüstungshaushalte aufrecht zu erhalten.

Deshalb kann „Umverteilen“ nur ein notwendiger Schritt von vielen sein.

ESM und Fiskalpakt drängen die europäischen Länder, auch Deutschland, weiter in eine Verarmung, senken die Lebensstandards und höhlen die demokratische Verfassung aus. Die Aushebelung des Haushaltsrechts der Parlamente ist nur ein Teil der Radikalisierung des kapitalistischen Systems. Die Wirtschaft hat in der Politik Europas schon lange das Sagen. Frau Merkel hat mit ihren Aussagen zur „marktkonformen Demokratie“ klar gemacht, wer wem angepasst werden soll. Nicht die Wirtschaft soll der Demokratie, sondern das demokratische System soll der Wirtschaft untergeordnet werden. Ein Umstand, den Beschäftigte in den Betrieben schon lange zu spüren bekommen. Nicht die Maschinen wurden den Menschen angepasst, sondern die Menschen sind dem Takt der Maschinen unterworfen.

Dagegen müssen wir uns wehren, im Kleinen wie im Großen. Wir brauchen mehr Mitsprachen und Beteiligung auf allen Ebenen. Dafür reichen Betriebsräte und ein Betriebsverfassungsgesetz leider nicht aus. MitarbeiterInnen müssen auch beteiligt werden, wenn es darum geht, was produziert wird und wie produziert wird. Wer braucht Akkordarbeit oder Nachtschichten? Wer braucht „Just in time“ oder „Rund-um-die-Uhr-Erreichbarkeit“? Hier befinden sich die Gewerkschaften in einem Dornröschenschlaf. Die Diskussionen sind schon lange überfällig, aktive GewerkschafterInnen müssen sie hineintragen.

Auch die Wachstumsideologie der reichen Industrienationen zu Lasten der Dritten Welt und Schwellenländer muss endlich thematisiert werden. Wir brauchen den Umbau unserer Industriegesellschaft in Europa und ein Entwicklungskonzept für einen schonenden Umgang mit den Ressourcen dieser Erde.

Dieses ausbeuterische System muss grundlegend verändert werden, damit eine gerechte Umverteilung langfristig gesichert werden kann. Deshalb fordert DIE LINKE die Vergesellschaftung von Großbanken. Spätestens mit der „Bankenrettung“ wurde klar, dass die Gesellschaft nur an den Verlusten beteiligt werden soll. Das muss aufhören. Banken, die sich verspekuliert haben und „gerettet“ wurden, müssten zumindest mit ihren künftigen Gewinnen die in Anspruch genommene Unterstützungsleistung an die Gesellschaft zurückzahlen.

Grundsätzlich muss das weltweite Casino für Banken geschlossen werden. Banken haben Sparguthaben zu verwalten und Kredite für Investitionen und Anschaffungen zu vergeben, sonst nichts. Spekulationen braucht kein Mensch.

Der Einfluss der Wirtschaft auf die Politik muss durch vielerlei Maßnahmen eingeschränkt werden. Der Einfluss der Menschen auf die Politik muss durch unterschiedliche Beteiligungsformen wie Projekt-Räte und Volksentscheide zwischen den Wahlen gestärkt und entwickelt werden.

Sebastian Rave, Bremen, gehört dem Landesvorstand der LINKEN an und ist Mitglied im SAV-Bundesvorstand

Die „Schere zwischen Arm und Reich“, die immer weiter aufgeht, ist ja schon seit langem ein geflügeltes Wort. Laut „Armuts- und Reichtumsbericht“ der Bundesregierung besitzen die reichsten zehn Prozent mehr als die Hälfte des gesamten Vermögens. Die gesamte ärmere Hälfte der Bevölkerung dagegen muss sich mit einem einzigen Prozent des Kuchens begnügen. In den letzten zehn Jahren hat sich der private Besitz in Deutschland von 4,6 Billionen Euro auf etwa zehn Billionen Euro mehr als verdoppelt.

Wer sich fragt, wo das alles geblieben ist, muss nach „oben“ gucken. Laut „Manager-Magazin“ beträgt der Reichtum der 100 reichsten Deutschen 319,85 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Der Bundeshaushalt sieht für Gesundheit 15 Milliarden, für Bildung elf Milliarden und für Umwelt 1,6 Milliarden Euro vor.

Man kann sich vorstellen, wie sehr die Gesellschaft profitieren würde, wenn der Reichtum der Wenigen stattdessen allen zugute käme. Allein für die 16 Millionen Deutschen, die laut Statistischem Bundesamt aus finanziellen Gründen laufende Rechnungen nicht bezahlen können, nicht in den Urlaub fahren und nicht einmal jeden zweiten Tag eine vollwertige Mahlzeit einnehmen, ist Umverteilung also bittere Notwendigkeit.

Dass eine Gesellschaft ein so krasses Vermögens-ungleichgewicht aufweist, ist ein Symptom ihrer Krankheit. Ein guter Arzt gibt aber bei steigendem Fieber nicht nur ein fiebersenkendes Mittel, er muss auch den Krankheitserreger ausfindig machen, um den Patienten zu heilen. Die Ursache für die immer weiter aufklaffende Lücke zwischen Arm und Reich ist in dem Grundprinzip des Kapitalismus zu finden: der Akkumulation, also der Anhäufung und Vermehrung von Kapital. Die unglaublichen Vermögen der Reichen haben ihren Ursprung in der Arbeit der vielen Millionen Menschen, die in den Unternehmen Waren produzieren, verwalten, transportieren. Da diese Unternehmen in privatem Besitz sind und in Konkurrenz zueinander stehen, sind sie gezwungen, profitabel zu sein: Wer in diesem Wettlauf um Marktanteile verliert, geht unter. Dann werden Tausende „Schlecker-Frauen“ arbeitslos, und Anton Schlecker (2011 noch auf Platz 56 der reichsten Deutschen) hat statt 1,92 Milliarden „nur noch“ 40 Millionen Euro. Die Konkurrenz war stärker, und in unserem Beispiel profitiert die Drogeriemarktkette dm von der Schlecker-Pleite mit einem satten Umsatzplus von 14 Prozent auf 5,1 Milliarden Euro – dahinter steckt mit Götz Werner übrigens Platz 78 der reichsten Deutschen.

Sahra Wagenknecht schrieb in der Zeitung der LINKEN „Klar“, dass eine gerechtere Verteilung des Reichtums der Ausweg aus der Krise sei. Die Staatsverschuldung könne so abgebaut werden, ohne die Wirtschaft zu schwächen. Aber die Ursache der Krise ist weder die Staatsverschuldung noch dass sich Banken auf den Finanzmärkten verzockt haben. Dass die Banken nämlich (sogar für Götz Werner) unvorstellbare Kapitalmengen in riskanten Spekulationen anlegten, ging letztlich auf die Überakkumulationskrise der siebziger Jahre zurück: Die konkurrierenden Kapitale hatten in ihrem Profitrennen technisch immer weiter aufgerüstet, brauchten immer mehr Maschinen, mehr Verkaufsfläche und immer weniger Menschen. Profit wird letztlich aber nur aus menschlicher Arbeit gewonnen, und wenn immer mehr für Maschinen und ähnliches ausgegeben wird, gibt es am Ende weniger Gewinn. Das Kapital sucht sich andere Wege, sich zu vermehren und hinterlässt leere Fabriken und Filialen. Auf der Suche nach profitablen Anlagemöglichkeiten ist ein enormer Teil des Kapitals schließlich auf den Finanzmärkten gelandet. 2006 wurde fast vier Mal soviel Geld auf dem Finanzmarkt umgesetzt wie in der „realen Wirtschaft“. Als diese Traumblase platzte, fanden sich Großbanken und Finanzdienstleister im freien Fall wieder.

Die Krise lässt sich durch bloße Umverteilung nicht lösen. Auch lässt sich das kapitalistische Profitprinzip, Reichtum der einen durch die Ausbeutung der anderen, durch eine „faire“ Besteuerung nicht ändern. Trotzdem ist die Forderung nach einer weitergehenden Besteuerung der Reichen natürlich vernünftig. Wenn die Einnahmen aus einer Vermögenssteuer zum Beispiel den oben genannten 16 Millionen Armen die Möglichkeit geben würden, sich über mehr Gedanken zu machen als darüber, wie man den Rest des Monats nur mit Nudeln und Reis rumkriegt, wäre das ein riesiger Fortschritt.

Aber schon gegen solch einen Schritt würden sich die Schleckers und Werners mit Händen und Füßen wehren. Von der Enteignung der Banken- und Konzernchefs ganz zu schweigen. Wozu es jedoch keine Alternative gibt, wenn bei Schlecker, Bombardier und Opel Tausende auf der Straße landen sollen.

Am 11. September erinnerte sich Lafontaine in einem Gastbeitrag in der FAZ: „Immer noch bestätigt sich, was ich als deutscher Finanzminister erfuhr, als ich Ende der neunziger Jahre vorschlug, die Finanzmärkte zu regulieren. Mitglieder der Clinton-Regierung erklärten mir lapidar, dass solche Überlegungen keine Chance hätten, da die Wall Street den Wahlkampf des Präsidenten finanziere.“ Daraus müssen Konsequenzen gezogen werden: Nötig ist es, dass DIE LINKE nicht nur die Verteilungs-, sondern auch die Eigentumsfrage stellt und den Kampf für Umverteilung mit dem Kampf für die Überwindung des kapitalistischen Systems verbindet.