Aufbruch, Einheit, Pragmatismus

Augsburg: Linke-Parteitag zu den Europawahlen

Die Mission des Europa-Parteitags der Linken war: 1. Programm finden. 2. Kandidat*innen wählen. 3. Nach der Spaltung ein Signal des Aufbruchs erzeugen: “Die selbstlähmenden Konflikte liegen hinter uns, jetzt geht’s voran.” Hat’s geklappt? Jein. 

Von Sebastian Rave, Delegierter aus Bremen

Zumindest bei der bürgerlichen Berichterstattung, aber auch bei den Delegierten, kam das Aufbruchssignal an. Die Stimmung auf dem Parteitag war für “Die Linke”-Verhältnisse fast schon unheimlich harmonisch. Der Parteivorstand hatte versucht, Kontroversen zu vermeiden, und die Partei machte mit. So war die Debatte zu Nahost nur noch mündlich scharf, der schriftliche Kompromiss-Beschluss war von einer sehr breiten Mehrheit getragen. Ob dieses Vorgehen nachhaltig ist, darf bezweifelt werden. 

Der Initiativ-Antrag “Stoppt den Krieg! Stoppt die Besatzung!” gegen das Massaker in Gaza wäre ein großer Schritt in Richtung politischer Klarheit gewesen. Der Text ging über den sonst in der Partei vorherrschenden reinen Pazifismus hinaus, benannte eindeutig die Macht- und Unterdrückungsverhältnisse in Israel-Palästina und stellte sich an die Seite der Friedensbewegung und der weltweiten Solidaritätsbewegung mit den Palästinenser*innen. Die “Progressive Linke” fühlte sich davon offenbar provoziert, und legte einen Antrag mit der gegenteiligen Position vor, der der Hamas die Hauptverantwortung für die Eskalation gab  und die Erzählung reproduzierte, die Hamas würde palästinensische Krankenhäuser und Schulen als Kommandozentralen nutzen. Von einem Waffenstillstand schwieg sie beredt. Der Kompromiss geht nun zurück zum Pazifismus, nimmt eine Position der Äquidistanz ein, fordert aber immerhin sehr deutlich einen Waffenstillstand. Es besteht die Gefahr, dass mit dem Kompromiss beide Seiten ihre konträren Positionen weiterhin in die Öffentlichkeit tragen und sich dabei auf den Beschluss berufen können. Klarheit wird so nicht hergestellt. 

Kampf um statt gegen EU

Eine programmatische Rechtsverschiebung gab es schon vor dem Parteitag: Der Programm-Entwurf des Parteivorstands für den EU-Wahlkampf wurde von einigen auf dem linken Parteiflügel als “unrettbar” bezeichnet. Die Antikapitalistische Linke (akl) stellte deshalb einen Ersetzungsantrag zur Präambel, damit wenigstens ein wenig Analyse und Strategie zur EU im Programm vorkommt – vergeblich. Alle Anträge zur Präambel wurden ebenso abgelehnt wie die vorgeschlagenen Verschärfungen zur Enteignung von Schlüsselindustrien. 

Nach dem Parteitag will sich Die Linke darauf beschränken, den “Markt zu regeln und Demokratie auszubauen”. Die EU wird als etwas angesehen, dessen Struktur und Inhalt unbestimmt ist. Das Programm macht das Bild von zwei EUs in einem Europa auf: Der von “Frieden und Freiheit” und der, die die “Schranken für Wettbewerb und Profite” beseitigen und das Kapital stärken sollte. Tatsächlich ist die EU schon seit ihrer Gründung strukturell neoliberal, undemokratisch und militaristisch. Statt aber den Kampf gegen das wegen Bürokratie, Korruption und Sozialabbau verhasste Konstrukt EU aufzunehmen, will Die Linke UM die EU kämpfen. Statt zu erkennen, dass die EU selbst ein Werkzeug des Imperialismus ist, glaubt Die Linke, sie könne ein Mittel dagegen sein: Die EU dürfe “unter keinen Umständen in den Chor imperialer Staaten wie der USA oder Russland einstimmen” und die Globalisierung zurückdrehen, sondern sie “gerecht gestalten”. Im Neuen Kalten Krieg positioniert sie sich trotzdem: Mit der Forderung nach Sanktionen “gegen den russischen Machtapparat, die Oligarchen und den militärisch-industriellen Komplex”. Immerhin wurde nach einer Abstimmung nicht nur russischen Deserteuren und Kriegsdienstverweigerern, sondern auch ihren ukrainischen Verweigerungsgenoss*innen die Solidarität erklärt. Eine knappe Mehrheit der Delegierten wollte auch, dass Die Linke nicht nur “Widerstand gegen Putins Krieg und Diktatur” leisten solle, sondern “gegen Militarismus und Nationalismus überall”. 

Parteilose Kandidaturen und eine “pragmatische Notwendigkeit” 

Die Wahl der Kandidat*innen lief wenig aufgeregt – bis auf Bijan Tavassolis Troll-Gegenkandidatur (der wirre Auftritt, bei dem etwa 150 Delegierte aus Protest den Saal verließen, erhielt – trotz Austrittserklärung – erstaunliche 9 Stimmen, 2%) gegen Martin Schirdewan auf Platz 1. Carola Rackete, die als Kapitänin und Seenotretterin für Geflüchtete bekannt ist, ihren eigenen Schwerpunkt aber auf Klimaaktivismus legt, wurde im Vorfeld vor allem wegen ihrer Symbolik ausgewählt. Einige hatte zuvor spekuliert, dass die parteilose Aktivistin Waffenlieferungen für die Ukraine zustimme – tatsächlich scheint sie aber dazu einfach gar keine Position zu haben. Mit Özlem Demirel musste sich eine der Autor*innen des linken Nahost-Antrags gegen das Parteivorstandsmitglied Didem Aydurmuş durchsetzen, erhielt aber souveräne 62%.

Martin Trabert, “Armenarzt” aus Mainz, erhielt mit 96,8% das beste Ergebnis, und ist ein weiterer parteiloser Kandidat. Er wurde wie Rackete gefragt, ob er Mitglied der Partei werden würde, beantwortete diese Frage aber wie sie lieber nicht. Andere Neumitglieder stellten sich im Rahmen der gestarteten Kampagne zur Gewinnung neuer Mitglieder vor. Eins wurde sogar gewählt: Ines Schwerdtner, Redakteurin des Jacobin-Magazin, ist erst seit wenigen Monaten Mitglied der Partei, konnte sich aber mit 55% knapp gegen Daphne Weber auf Platz 5 durchsetzen. Daphne bedankte sich anschließend für die “flügelübergreifende Unterstützung” – die bei vielen aber wohl Misstrauen geweckt hatte. Ines hingegen hatte in ihrem Wahlkampf (inklusive Tour durch Landesverbände) auf die Ost-Karte gesetzt – erfolgreich. Ob sich hier jetzt eher die linke oder die rechte Parteihälfte durchgesetzt hat, ist unmöglich zu bestimmen. Auf Platz sechs gewann der Brandenburger Martin Günther mit einer gewerkschaftsorientierteren Bewerbung gegen den Berliner Landesabgeordneten und Reformer Carsten Schatz. 

Auf Platz 10 wurde es noch einmal kurz laut: Lucas Fiola aus Bremen wurde gefragt, wie er es mit den Anträgen pro Waffenlieferungen des Bremer Landesverbandes und mit der Schließung des Klinikums Links der Weser gegen 10.000 Unterschriften und den Betriebsrat halte. Nach etwas Winden nach dem Motto “In einer Regierung muss man auch schmerzhafte Kompromisse eingehen”, endete er mit den Worten “die Schließung ist eine pragmatische Notwendigkeit” – und wurde von einigen Delegierten ausgebuht. Er erhielt trotzdem 66% der Stimmen, was wohl auch daran lag, dass bekannt wurde, dass sein Gegenkandidat aus seinem Landesverband ausgeschlossen wurde. Im Anschluss war Fiola die verunglückte Antwort auf die für eine Linke Partei unmöglich zu beantwortende Frage dem Vernehmen nach ein wenig unangenehm, die für die Schließung des Krankenhauses verantwortliche Senatorin Claudia Bernhard war aber wohl zufrieden. Der Aufbruchslaune tat das keinen Abbruch.

Aufbruch! 

Für das Signal des Neustarts gab es es auch visuell eine Auffrischung: Ein neues CI, das Logo jetzt als Schriftzug ohne Versalien, mit einem roten Keil, der nach rechts oben zeigt statt nach links – gewöhnungsbedürftig, aber zumindest kein Hinderungsgrund für einen Neustart, der hier verkündet wurde. Entscheidender dafür wird die Nachricht sein, die wenige Tage nach dem Parteitag kam: Einige hundert radikale Linke haben sich entschlossen, in die Partei einzutreten, um sie zu retten. In ihrer gemeinsamen Erklärung fordern sie, dass Die Linke in der Opposition bleiben muss, um sich vom Rest des Parteienspektrums abzuheben, in Bewegungen Zuhause sein muss, keine Karrierepartei sein darf, und eine sozialistische Klimapolitik machen soll. Beim Kampf um eine sozialistische Ausrichtung der Partei ist jede Unterstützung nur zu begrüßen. 


Der Aufruf zum Eintritt in Die Linke findet sich hier: 

https://wir-jetzt-hier.info

Foto: DIE LINKE / Martin Heinlein (CC BY 2.0 DEED)