Zum Flugzeugabsturz bei Jaroslawl

Ein Unglück mit ganz kapitalistischen Ursachen


 

Am 7. September stürzte in Tunoshna in der Nähe der russischen Stadt Jaroslawl eine Kleinmaschine des Typs JAK-42 ab. 43 Menschen kamen ums Leben, nur zwei überlebten und befinden sich weiterhin in kritischem Zustand. An Bord war auch die jaroslawlische Eishockey-Mannschaft mit zahlreichen Weltklassespielern, darunter Karel Rachůnek, Ruslan Salei, Robert Dietrich und Stefan Liv. Manche Tragödien passieren einfach, und manchmal stürzen selbst sichere, gut gewartete und unter optimalen Bedingungen befindliche Flugzeuge ab. Aber wie der untenstehende Artikel von der Website der Sozialisticheskaya Alternativa, der Schwesterorganisation der SAV in Russland, zeigt, ist auf den Kapitalismus Verlass.

von P. Klimov, Ortsgruppe Moskau Süd

Tausende Jaroslawler versammelten sich vor dem Sportpalast und hinterlegten Blumen. Rein durften sie nicht: Am selben Tag begann das weltpolitische Forum, an dem Vertreter aus Politik und Wirtschaft ausgerechnet über „die Probleme der demokratischen Länder in der Zeit sozialer Vielfalt“ und über „die ökonomische Ungleichheit der Bürger“ diskutieren wollten.

Es scheint, als hätten diejenigen, die Blumen zum Sportpalast brachten, diese (und andere) Ungleichheit durchaus zu spüren bekommen. Aus der Presse erfährt man, dass in der Nacht „Weg mit dem Forum!“- Rufe zu hören waren, und im Internet kursieren Meldungen wie diese: „Das Flugzeug startete auf der Hälfte der Startbahn – deshalb hat es die notwendige Geschwindigkeit und in der Folge auch die richtige Höhe nicht erreicht. Die anderen Flugbahnen in Tunoshna waren von VIP-Flugzeugen besetzt (Maschinen der Forumsbesucher), und die zweite Bahn wurde zur Überprüfung vor Medvedevs Einflug gesperrt. Man hat sich auf die Fertigkeiten des Piloten verlassen, aber Kenner sagen, dass ein richtiger Start von halber Bahn ein sehr schwieriges Manöver ist“.

Ob sich die Ereignisse so abgespielt haben oder nicht, werden wir höchstwahrscheinlich nie erfahren. Experten dementieren dieses Szenario (sicher, denn das Abstellen weiterer Flugzeuge auf der Startbahn ist eine Straftat), aber im modernen Russland erscheint es nicht außergewöhnlich. Zugleich sind die Untersuchungsbehörden niemandem Rechenschaft schuldig, außer der Regierung, und nach dem Prinzip „von oben nach unten“. Man kann davon ausgehen, dass sie es vorziehen werden, einen Fehler dieser Art – der auch noch zu einem Prestigeverlust des Landes führen könnte! – lieber zu übersehen.

Und so bleiben drei mögliche Schuldige für die Untersuchenden: Schlechter Treibstoff, technische Störungen und menschliches Versagen.

Anfang August stiegen die Treibstoffpreise um fünf bis zehn Prozent, und Anfang September wurde die Kerosinherstellung stark gedrosselt, was einen entsprechenden Mangel an Treibstoff in den Flughäfen zur Folge hatte. Die Flugaufsichtsbehörde hat einen eigenen Krisengipfel dazu einberufen, an dem hochrangige Beamte und Vertreter von Ölgesellschaften teilnahmen – Letztere wurden regelrecht überredet, Produktion und Beförderung „zu optimieren“. Nichtsdestoweniger führen ein solches Defizit und die Preissteigerung zu Sparzwängen und in der Folge zu Qualitätseinbrüchen. ArbeiterInnen an den Flughäfen waren zeitweise gezwungen, übriggebliebene Treibstoffreste einzutanken.

Natürlich verlangt ein derart verantwortungsvoller Zweig wie der Flugbetrieb eine besondere Planung zur Bereitstellung aller notwendigen Dinge und Mittel, um den Betrieb am Laufen zu halten – dazu zählt auch Kerosin. Aber wann kann unter den Bedingungen eines instabilen Marktes und kapitalistischer Konkurrenz jemals mit langfristiger Planung gerechnet werden? Planen kann man alles Mögliche – Business bleibt Business.

Noch 2009 hatte die Flugaufsichtsbehörde Russlands JAK-Service, dem Betreiber des Unglücksflugs, Beschränkungen in Bezug auf internationale Flüge auferlegt. Auch die europäische Flugaufsichtsbehörde betrachtete JAK-Service im selben Jahr als die am wenigsten sichere Fluggesellschaft Russlands unter denen, die nach Europa fliegen. Zwar wurden diese Entscheidungen später zurückgenommen, an sich sind sie aber nicht verwunderlich. Die Fluggesellschaft ist spezialisiert auf „Auftragsflüge“ und flog 2010 ein Defizit von zwei Millionen Rubel ein (ca. 50 000 €). Im Einsatzkommando zur Beseitigung der Folgen der Katastrophe verkündete Medvedev: „Die Anzahl der kleinen Fluggesellschaften in Russland muss radikal gemindert werden! Und er fügte hinzu: „Da passieren eine Menge wundersame Dinge. Was die Leute nicht alles erzählen!“

Welch eine überraschende Einsicht! Die Erfahrung in jedem Wirtschaftszweig zeigt, dass kleine private Gesellschaften in der Regel an allem Erdenklichen sparen. Darunter fallen sowohl schlechte Wartung als auch die Nichteinhaltung von Sicherheits- und technischen Normen. Es genügt zu sagen, dass das abgestürzte Flugzeug die jüngste Maschine der Firma war (Baujahr 1993) und nicht einmal die Kilometer bis zur Wartung geschafft hat (Die Lizenz wäre im Oktober ausgelaufen). Ähnliches lässt sich auch über die Arbeitsbedingungen sagen. Je kleiner die Firma, desto schwieriger fällt es den ArbeiterInnen, sich zusammenzutun und die Einhaltung ihrer elementarsten Rechte durchzusetzen. Über den Aufbau einer starken Gewerkschaft bleibt da wenig zu sagen.

Im Übrigen nützen Konkurrenz und kapitalistische Zersplitterung insgesamt nicht der Entwicklung funktionierender Wirtschaftszweige (oder der Gesamtwirtschaft). Darüber werden Untersuchungsbehörden und andere hohe Beamte aber friedlich schweigen. Anstatt sämtliche Fluggesellschaften in öffentliche Hand zu überführen und unter allseitige Kontrolle durch Arbeiterorganisationen und demokratische Verwaltung zu stellen, wird man uns nur wieder einmal vorschlagen, die „Weichensteller“ zu bestrafen – die nur Pech hatten und erfolglos nach den Regeln des entstandenen System gespielt haben.

Früher oder später werden die „Weichensteller“ aller Bereiche nicht mehr am Rand stehen wollen. Sie werden sich organisieren und zu handeln beginnen, gemeinsam und unabhängig von den Bossen. Und erst dann werden Katastrophen wie diese – die Früchte des Kapitalismus – endgültig der Vergangenheit angehören.