Bildungscard – wie dumm sind wir eigentlich?

Wie an Symptomen eines kranken Systems herumlaboriert – und diskriminiert – wird


 

Die Diskussion in den bürgerlichen Medien um Bildungsgutscheine für die 1,8 Millionen Hartz-IV-Kinder fördert zwei Vorurteile gegenüber den betroffenen Familien: 1. Die Eltern stammen aus „bildungsfernen“ Schichten, die sich nicht um die Ausbildung und Erziehung ihrer Kinder kümmern. 2. Sie geben eher Geld für „verzichtbaren“ Konsum aus, anstatt ihren Kinder eine vernünftige Ausbildung zu ermöglichen.

von Ingo Rehmke, Bremerhaven

Man kann dies auch einfacher formulieren: Sie sind zu dumm und egoistisch, sie hauen ihre üppigen Hartz-IV-Leistungen in „spätrömischer Dekadenz“ (FDP-Chef Guido Westerwelle) lieber auf den Kopf, statt sich um ihre Kinder zu sorgen. Deshalb müssen die Politiker für die „richtige“ Erziehung der Kinder sorgen. Nebenbei zeigt dann die Nutzung der Karte sofort, dass dieses Kind aus einer Familie stammt, wo Kinder nur in die Welt gesetzt werden, um noch mehr Sozialleistungen verprassen zu können.

Halten wir an dieser Stelle einmal fest, worum es tatsächlich geht. Ein Kind zu bekommen, bedeutet heute ein erhebliches Armutsrisiko. Weder Eltern- und Kindergeld, noch Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz mindern dieses Risiko. Dazu kommt die ungerechte soziale Auslese des Schulsystems, an der auch die Förderprogramme oder die Einbeziehung privater Sponsoren an Schulen und Hochschulen nichts ändern. Im Gegenteil.

Armut

Der Anteil der befristeten Arbeitsverhältnisse, des Niedriglohnsektors und der Leiharbeit steigt seit Jahren. Diese „Beschäftigungs“politik sorgt dafür, dass immer mehr Menschen nicht von ihrem Lohn leben können, sondern auf zusätzliche Leistungen des Staates angewiesen sind.

Indessen passiert in jeder Kommune das gleiche: Kürzungen im Sozialhaushalt und Erhöhungen von Gebühren für Bibliotheken, Schwimmbäder, Theater. Gleichzeitig werden Einrichtungen geschlossen, Mitarbeiter entlassen oder freie Stellen nicht mehr besetzt. Dies gilt nicht nur für Schulen und Kindergärten, sondern auch für Jugendhilfe, Streetworker, Frauenhäuser…

Um von diesem sozialem Kahlschlag abzulenken, wird über die ach so schlimmen Eltern hergezogen, die ihren Kindern eine gute Ausbildung und Förderung regelrecht verweigern würden.

Erst das Bundesverfassungsgericht zwang die Regierenden, über die Hartz-IV-Regelsätze neu nachzudenken. Aber nicht, dass wir jetzt „unser“ Verfassungsgericht loben, die Richter befanden nur, dass die Berechnung der Leistungen nicht nachvollziehbar sei. So wurde mal eben „vergessen“, dass Kinder zur Schule gehen und dass dies ja auch Geld koste. Dass ein Kind mit etwa drei Euro pro Tag für Lebensmittel weniger Geld angerechnet bekommt, als zum Beispiel ein Polizeihund (6,80 Euro), scheint auch dem Gericht entgangen zu sein…

Bildungscard?

Das, was nicht fehlt, ist eine Bildungscard (die derzeit gehandelten 16 Euro pro Kind und Monat würden nicht mal für einen Klavierunterricht reichen) – es fehlt vielmehr an ausreichenden, guten und erschwinglichen Angeboten. Kostenlose Bildung für alle, genügend LehrerInnen, Studienplätze, Kindergärten, freie Nutzung von Sportanlagen, Bibliotheken, Jugendhäusern – dies alles wäre möglich. Doch dieser Staat schützt eben nicht die Schwachen, sondern ist und bleibt das Instrument zur Unterdrückung aller berechtigten Interessen der Mehrheit der Bevölkerung.