Radikal hilflos: Aktionen des “Aufstands der letzten Generation”

Immer wieder protestiert die Gruppe„Aufstand der letzten Generation“ in Form von Autobahnblockaden für zwei Forderungen: Ein “Essen-Retten-Gesetz” und das Einleiten einer Agrarwende. Sprecher*innen und Interviewte der Bewegung betonen, dass sie das machen, um öffentlich Aufsehen zu erregen. Wörtlich sagte einer: „Wir muten den Autofahrer*innen schon viel zu, das ist uns klar. Wir sehen einfach gerade keine andere Möglichkeit, um dem Thema die Aufmerksamkeit zu geben, die es braucht.“

Von Erik Miller und Claus Ludwig, Köln

Die Gruppe “Aufstand der letzten Generation” hat die bisherigen Aktionsformen eindeutig radikalisiert. Sie bilanziert , dass mehrere Jahre demonstrieren, Petitionen schreiben und Appelle an die Regierenden wenig bis nichts gebracht haben und deshalb radikalere Maßnahmen nötig sein werden, um auf das sich verschärfende Problem aufmerksam zu machen.  Daher ist die Gruppe dazu übergegangen, sich auf Autobahnen festzukleben und den Verkehr über mehrere Stunden zu blockieren. Die Aktivist*innen sind mutig und riskieren Strafen für Aktionen, beharren aber darauf, dass das nötig wäre.

Die Klimakatastrophe beschleunigt sich. Das 1,5-Grad-Ziel ist kaum noch zu erreichen. Die Lebensverhältnisse in immer mehr Regionen der Welt verschlechtern sich. In Deutschland regieren die Grünen und organisieren ihre spezielle Energiewende – weg vom russischen Gas, hin zu Fracking-Gas aus den USA und zur Laufzeitverlängerung für Kohlekraftwerke. Gruppen wie “Letzte Generation” oder Extinction Rebellion liegen auch richtig, wenn sie bilanzieren, dass die Demonstrationen nicht ausreichend waren. Die Klimabewegung braucht eine andere Strategie. 

Aufmerksamkeit nicht das Problem

Das zentrale Problem bei der Klimakrise ist jedoch nicht die mangelnde Aufmerksamkeit. Die Fakten sind sowohl der breiten Öffentlichkeit als auch den Regierenden bekannt. Jeder Sommer bringt mehr Klarheit über die konkreten Folgen auch in Mitteleuropa. Alle wissen, dass schnell etwas geschehen muss. Doch die Herrschenden wollen und können die notwendigen Maßnahmen nicht umsetzen, weil der Klimaschutz den kurzfristigen Profitinteressen der Konzerne widerspricht. Mehr Aufmerksamkeit, mehr mediale Resonanz sind gut, doch sie befreien die Klimabewegung nicht aus ihrem strategischen Dilemma, nicht darüber entscheiden zu können, was und wie produziert wird und wie das Verkehrswesen organisiert ist. Dies liegt weiterhin in den Händen privater Kapitalbesitzer*innen und von Politiker*innen, welche diese Interessen schützen.

Die Aktionen des “Aufstands der letzten Generation” sind drängender und auffälliger. Aber ihre zentralen Botschaften unterscheiden sich kaum von denen, die bei den Demos von Fridays For Future formuliert wurden. Auch sie richten den Appell an die Regierenden. Die Form ist anders, der Appell ist weniger höflich, eher ein Schrei, verzweifelter. Aber auch sie bitten unter dem Strich darum, den Kurs zu ändern – und wundern sich möglicherweise ebenso wie viele bei FFF, dass nichts passiert..

Schlagzeilen sind keine Strategie

Die Erkenntnis, dass die bisherigen Demonstrationen und Petitionen bis auf Aufmerksamkeit und Sympathien nicht viel bewirkt haben, ist korrekt. Die Frage ist, welche Schlüsse mensch hieraus zieht. Mit den Aktionen fordert der “Aufstand der letzten Generation” Veränderungen, die im Widerspruch zu den Profitinteressen der Konzerne und letztendlich zum kapitalistischen System stehen, stellen ihre Forderungen aber im Rahmen dieses Systems und seinen politischen Strukturen.

Die Protestierenden stellen weder die Eigentums- noch die Herrschaftsfrage und treffen mit ihren Aktionen tatsächlich die Falschen. Sie wissen es sogar, nehmen es aber als ein vermeintlich notwendiges Übel hin. Ihre Devise ist gar nicht, die Autofahrenden stören, weil sie Autofahrer*innen sind, sondern weil dies ein Mittel zum Zwecke der Aufmerksamkeit darstellt. In einem Video entschuldigen sie sich sogar bei den Autofahrer*innen. So sehen sie zwar die Notwendigkeit von politisch und wirtschaftlich weitreichenden Veränderungen und weisen richtigerweise kleinbürgerliche Ilusionen zurück, den Klimawandel durch individuellen Lebenswandel stoppen zu können, entwickeln aber bisher keine Strategie für, die grundlegenden wirtschaftlichen Veränderungen durchzusetzen..

Was nötig ist

Die Klimabewegung steht vor der Aufgabe, vom Protest zum Widerstand überzugehen. Die gesamte Produktion und Verteilung muss umgebaut werden. Die Klimabewegung braucht ein strategisches Bündnis mit den Produzent*innen, den Arbeiter*innen und ihren Organisationen wie den Gewerkschaften. Das ist ein schwieriger Kampf, aber er ist alternativlos. Die Produktion muss gesamtgesellschaftlich demokratisch geplant werden, um die Wende weg von fossilen Brennstoffen zu schaffen. Der gesamte Verkehr muss umgebaut werden. Die heute Regierenden samt der Grünen setzen die notwendigen Maßnahmen nicht um. Diese müssen von unten erkämpft werden. Daher muss die Klimafrage mit der Klassenfrage verknüpft werden – die Klimabewegung muss dem zerstörerischen “Weiter so” der Konzerne die Idee gegenüberstellen, dass ein besseres und nachhaltiges Leben für die Masse der Menschen möglich ist, wenn der kapitalistische Profit ausgeschaltet wird.

Blockaden von Autobahnen, Kohlegruben, Häfen und Flughäfen und weitere aufopferungsvolle Aktionen kleiner Gruppen haben ihren Platz in einer solchen Strategie, doch wenn sie darauf abzielen, moralische Empörung durch einen dramatischen Appell hervorzurufen, werden sie verpuffen. Sie können eine Wirkung erzielen, wenn sie dazu genutzt werden, Verbindungen zwischen der Klimabewegung und den Arbeiter*innen herzustellen und zu betonen, dass Klimafrage und “soziale Frage” untrennbar miteinander verbunden sind.

Bild: Felix Müller, CC BY-SA 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0, via Wikimedia Commons