Lehren aus den Protesten 2003 und 2004

Am 1. November 2003 beteiligten sich 100.000 Menschen an einer von unten initiierten Demonstration


 

Als der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder im Frühjahr 2003 die „Agenda 2010“ verkündete, mäkelte DGB-Chef Michael Sommer zwar an den „Reformen“. DGB-Funktionäre beklagten seinerzeit am 1. Mai traurig „fehlendes Augenmaß“ der rot-grünen Regierung – den offenen Konflikt mit der SPD wagte die Gewerkschaftsführung jedoch nicht einzugehen. Proteste mussten von unten durchgesetzt werden.

von Sönke Schröder, Essen

Im Sommer 2003 beschloss eine bundesweite Aktionskonferenz von Gewerkschaftslinken und AktivistInnen aus Betrieben und sozialen Bewegungen eine Demonstration für den 1. November in Berlin. Über einzelne Gewerkschaftsgliederungen und Protest-Bündnisse wurde dafür geworben. Es kamen – trotz der Blockade der Gewerkschaftsspitzen – 100.000 Menschen.

Der Widerstand nahm Fahrt auf: Am 18. November protestierten 70.000 Beschäftigte des Öffentlichen Dienstes und VW-ArbeiterInnen in Hessen. Aktionen gegen Tarifflucht fanden in ganz Deutschland statt, weitere 70.000 MetallerInnen demonstrierten, wobei es zu vielen Arbeitsniederlegungen kam. In Kassel streikten am 9. Dezember KollegInnen aus Verkehrsbetrieben, Metall- und Autofabriken sowie dem Klinikum gemeinsam mit Studierenden.

Der Druck auf den DGB wuchs und wuchs. Schließlich sah sich der Gewerkschaftsbund genötigt, für den 3. April zu bundesweiten Demonstrationen aufzurufen. Bei allen Bemühungen der Funktionäre, daraus ein Volksfest mit Popmusik und Bratwurst zu machen, kam eine halbe Million in Berlin, Köln und Stuttgart zusammen.

Es folgten die Montagsdemos gegen Hartz IV. Bei Opel wurde im Herbst eine Woche lang wild gestreikt.

Zunächst ist der 1. November 2003 ein großartiges Beispiel dafür, dass die Blockade von Sommer und Co. gebrochen werden kann. Allerdings zeigte sich, dass Demonstrationen und vereinzelte Arbeitsniederlegungen damals nicht ausreichten. Die SAV, die von Anfang an für die bundesweite Demonstration eingetreten war, argumentierte im Mai 2003 in dieser Zeitung für einen bundesweiten Streiktag: „Wer glaubt, diese Regierung würde sich von weniger beeindrucken lassen, der irrt. Ein eintägiger Generalstreik aller Beschäftigten wäre eine Demonstration der Stärke, Geschlossenheit und Entschlossenheit der abhängig Beschäftigten in Deutschland.“

Die Ereignisse vor fünf, sechs Jahren unterstreichen auch, wie notwendig es ist, eine Opposition in den Gewerkschaften aufzubauen. Auch in den Betrieben müssen sich kämpferische Kräfte zusammentun und Positionen erobern. Die Streikwoche bei Opel Bochum fand gegen den Willen der IG-Metall-Spitze statt. Auf diese Erfahrungen muss heute zurückgegriffen werden; wichtig ist der Brückenschlag zu anderen Betrieben, die Frage der Betriebsbesetzung und eine klare Absage an Verzichtspolitik.

Aus der damaligen Protestbewegung ging auch die Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG) hervor – die vor zwei Jahren mit der PDS zur Partei Die LINKE fusionierte. Die Jahre 2003 und 2004 beweisen auch die Notwendigkeit einer Partei, die eine Antwort jenseits der Profitlogik gibt, Kämpfe aktiv unterstützt, weitertreibt und über die Darstellung einer Alternative den Widerstand stärkt.