Pro & Contra: Stabilisierung des Bankensektors als Etappenziel?

Der schwerste Finanzcrash seit 80 Jahren – Wie soll die LINKE reagieren?


 

Angesichts der schwersten Bankenkrise seit den dreißiger Jahren und der beginnenden Rezession haben die Regierungen der führenden kapitalistischen Mächte bis dato unvorstellbare Summen an staatlichen Bürgschaften und Finanzhilfen mobilisiert, um einen Kollaps des gesamten Finanzsystems zu verhindern. Sollten diese Gelder fällig werden, würde so manchem Land der Staatsbankrott drohen. Die Welt scheint Kopf zu stehen: Die fanatischen Prediger der Privatisierung rufen nach dem Staat.

In der Arbeiterbewegung und der Linken wird diskutiert, wie mit dieser Krise umzugehen ist. Die Führung der Partei DIE LINKE stellt Forderungen nach eine Re-Regulierung des Finanzsystems und zur Stützung der Konjunktur in den Vordergrund.

Kann durch das Ankurbeln der Konjunktur mit öffentlichen Geldern eine tiefe Rezession verhindert oder entscheidend abgemildert werden? Ist ein regulierter, gezähmter Kapitalismus eine reale Alternative zur neoliberalen Variante? Wie sollte sich die Arbeiterbewegung gegenüber den Stabilisierungsmaßnahmen der kapitalistischen Regierungen verhalten?

PRO:

Ulla Lötzer, Mitglied des Bundestags, Fraktion DIE LINKE, Sprecherin für internationale Wirtschaftspolitik

In der letzten Woche hat DIE LINKE im Bundestag ihre Ablehnung des Bankenrettungspaketes begründet und parallel dazu ihre Forderung nach einem sofortigen Antikrisenprogramm in die parlamentarischen Beratungen eingebracht.

Für DIE LINKE im Bundestag gilt: Wir halten eine Stabilisierung des Bankensektors für notwendig. Die Funktionsfähigkeit des Finanzkreislaufes, der Zahlungsverkehr und die Finanzierung von Investitionen ist zu gewährleisten.

Wir haben es in der vorgelegten Fassung aber aus folgenden Gründen abgelehnt. Es ist zutiefst undemokratisch. Bankmanager wie Ackermann waren beteiligt. Das Parlament wird demgegenüber kaum beteiligt. Steinbrück hatte gesagt, man müsse den Brand löschen, bevor man die Brandstifter bestrafen könne. Er macht stattdessen die Brandstifter zur Feuerwehr und wir bezahlen das Löschwasser. Das ist inakzeptabel. Dazu kommt, dass im Paket der Bundesregierung die Banken nicht zur Finanzierung der Lasten herangezogen werden. Weder ist geklärt, inwieweit die Banken mögliche Verluste tragen, noch ob der staatliche Fonds an zukünftigen Gewinnen beteiligt ist. Die Gehaltsbegrenzung für Manager ist nichts als ein Feigenblatt und auch nur lax geregelt.

Die Forderung nach einer Vergesellschaftung des privaten Bankensektors drängt sich in diesen Zeiten auf. Aber sie reicht bei weitem nicht aus. Als Tagesforderung würde sie darauf hinauslaufen, dass die große Koalition aus SPD und CDU/CSU den Bankensektor der Bundesrepublik kontrolliert. Verbesserungen in der Geschäftspolitik der Banken sind davon allein nicht zu erwarten – wie die Skandale um die Praktiken der Landesbanken von Sachsen, Bayern oder NRW zeigen. Darüber hinaus ist sie national begrenzt. Die Finanzmärkte sind demgegenüber international organisiert.

Deshalb muss das weltweite Kasino geschlossen werden. Und dazu braucht es mehr als die Überführung in öffentliches Eigentum. Wir fordern Maßnahmen zur Regulierung der Finanzmärkte. Das heißt keine Zulassung von Hedge Fonds; Verbot spekulativer Elemente und ein öffentlich-rechtlicher Finanz-TÜV, der darüber wacht; Transaktionssteuern; Zielzonen im Währungssystem, auch um spekulative Angriffe auf Währungen zu verhindern; Schließung von Steueroasen; eine öffentlich-rechtliche Ratingagentur; die Rücknahme der Freistellung von Veräußerungsgewinnen – um nur einige der wichtigsten Maßnahmen zu nennen. Ohne diese Maßnahmen wird auch eine Vergesellschaftung, wie auch eine Teilvergesellschaftung, verpuffen.

Auch hier stellt sich die Frage der Demokratie. Die G8 wollen sich mit Vertretern der großen Schwellenländer treffen, um über die internationale Regulierung zu sprechen. Ich fordere, dass die Entwicklungsländer mit am Tisch sitzen, sie sind schließlich davon ebenfalls tief betroffen.

Die Lebensbedingungen der Menschen, die direkt von den Folgen der Bankenkrise, aber vor allem des wirtschaftlichen Abschwungs betroffen sein werden, sind für uns ein weiterer wichtiger Grund in der Ablehnung des Gesetzes gewesen. Der Abschwung ist bereits da, die Finanzmarktkrise wird ihn gewaltig verschärfen. Trotzdem lehnt die Bundesregierung nach wie vor ein Konjunkturprogramm ab. Deshalb unsere konkreten Forderungen nach einer Stärkung der Masseneinkommen durch die Anhebung des Arbeitslosengeldes II auf 435 Euro, die Anhebung der Regelsätze für BezieherInnen von Sozialhilfe und für AsylbewerberInnen, die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns in Höhe von 8,71 Euro und die Wiederherstellung der Rentenformel. Deshalb auch unsere Forderung nach einem Investitionsprogramm mit einer Ausweitung der öffentlichen Investitionen des Bundes für Bildung, Infrastruktur, Energiewende und Gesundheit um 30 Milliarden Euro.

Damit geht es der LINKEN nicht darum, den Kapitalismus zu retten, im Gegenteil: Die durch die Umverteilung von unten nach oben bewirkte Überakkumulation von Kapital ist für uns eine zentrale Ursache für die Finanzkrise und damit Kernelement des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus.

Gegen diese zentralen Stützpfeiler sind unsere Vorschläge für eine Ausweitung der öffentlichen Investitionen gerichtet, dagegen sind unsere Forderungen zur Stärkung der Masseneinkommen gerichtet und dagegen ist unsere Forderung nach einer Millionärssteuer und der Vermögens- beziehungsweise Erbschaftsteuer gerichtet. Deshalb wollen wir auch an der zweiten Ursache, den deregulierten Finanzmärkten ansetzen: Wir wollen Spekulation verbieten und die Kapitalströme Re-Regulieren.

Entwicklungsländer bekommen keine Kredite mehr, um Nahrungsmittel für Hungernde zu kaufen. Es fehlen international Gelder für Infrastrukturprojekte und Daseinsvorsorge oder die Kredite werden teurer. Auch hier muss dringend ein Fonds durch eine Kapitalabgabe bereitgestellt werden.

CONTRA:

Claus Ludwig, Ratsmitglied der Stadt Köln, Fraktion Die LINKE, Mitglied des SAV-Bundesvorstandes

Vorstand und Bundestagsfraktion der LINKEN fordern zu Recht die Rücknahme der Finanzmarkt-Deregulierung, ein Investitionsprogramm zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Erhöhung von Löhnen und Sozialleistungen sowie die stärkere Besteuerung von Millionären. Sie liegen allerdings falsch, wenn sie öffentlich vermitteln und selbst glauben, dass der Kapitalismus durch eine Kontrolle der Finanzmärkte entschärft oder gezähmt werden könnte.

Aus dieser irrigen Annahme resultieren Schlussfolgerungen, welche Partei und Arbeiterbewegung desorientieren. Die Bundestagsfraktion hat korrekterweise das „Rettungspaket“ für den Bankensektor abgelehnt, allerdings nicht konsequent. In der Debatte sagte Oskar Lafontaine, an die Regierung Merkel gewandt: „Wir haben doch gar keine andere Wahl, als das Finanzmarktsystem [ …] schleunigst wieder in Gang zu bringen. Insofern ist das, was Sie technisch machen, in der Sache nicht zu kritisieren.“ Der Berliner Landesverband der Partei hat sich sogar für das Paket ausgesprochen und im Bundesrat mit „ja“ gestimmt.

Tatsächlich retten die 480 Milliarden nicht die arbeitenden Menschen vor den Folgen der Finanzkrise oder der Rezession, sondern „stabilisieren“ die Top-Manager, die reichen Anleger und ihre Profite. Die Kosten des Zusammenbruchs des Finanzsystems werden den öffentlichen Haushalten und damit den arbeitenden Menschen auferlegt. Es drohen Angriffe auf öffentliche Dienstleistungen und Arbeitsplätze, deren Ausmaß heute noch nicht abzusehen ist.

Die dramatischen Ereignisse der letzten Wochen sind keine reine Finanzkrise, die „auf die Realwirtschaft übergreifen könnte“, wie die bürgerlichen Medien behaupten. Der Banken-Crash wurzelt tief in den Widersprüchen der kapitalistischen Ökonomie, er ist sowohl Ergebnis der gigantischen Umverteilung zu Gunsten der Kapitalbesitzer als auch der grundlegenden Krise der Profitabilität der Produktion seit den siebziger Jahren.

Nicht der Neoliberalismus, nicht der finanzmarktgetriebene Kapitalismus, hat abgewirtschaftet, sondern das System selbst. Der Neoliberalismus war nicht die „falsche“ Wahl von ideologisch verblendeten Politikern, sondern die dem Klasseninteresse des Kapitals entsprechende Variante ihres Wirtschaftssystems. Ein Zurück zum regulierten „Sozialstaat“ der Sechziger und Siebziger wird es nicht geben.

Zwei Aufgaben ergeben sich daraus für DIE LINKE: Ein Programm gegen die Abwälzung der Krisenlasten auf die arbeitenden Menschen und die Armen muss ausgearbeitet werden. Ein Kernpunkt dieses Programms muss die Ablehnung des „Rettungspaketes“ und die Warnung vor dessen Folgen sowohl in den Parlamenten als auch in den Betrieben und Stadtteilen sein.

Zweitens muss DIE LINKE die Legitimationskrise des Kapitalismus nutzen, um für dessen Abschaffung und eine sozialistische Demokratie einzutreten, nicht in ferner Zukunft, sondern jetzt.

Wenn schon Vertreter der herrschenden Klasse wie Paulson und Sarkozy umfassende staatliche Eingriffe befürworten – um den Kapitalismus zu retten – muss DIE LINKE die Forderung nach einer Verstaatlichung des gesamten Bankensystems unter demokratischer Kontrolle auf die Tagesordnung setzen, nicht nur der Pleite-Banken, sondern vor allem der gewinnbringenden Institute. So kann die Idee einer demokratisch geplanten Wirtschaft konkretisiert werden. Eine Kontrolle des Finanzsektors ohne die Verstaatlichung ist illusorisch.

DIE LINKE-Landesparteitage in Hessen und Nordrhein-Westfalen haben diese Forderung beschlossen. Doch im Bundesvorstand wurde die Entscheidung vertagt. Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück scheint das Motto der Parteispitze zu sein.

In einer Phase, in der Millionen Menschen das Scheitern des real existierenden Kapitalismus beobachten, in der wohl Zehntausende bereit sind, aktiv zu werden, scheint Die LINKE gelähmt, bekommt die Parteiführung kalte Füße vor den Konsequenzen einer entschiedenen antikapitalistischen Haltung.

Jetzt ist die Zeit rauszugehen, Kampagnen zu führen mit den Slogans „Wir bezahlen eure Krise nicht!“ und „Verstaatlichung aller Banken“. Jetzt ist die Zeit, in allen Ortsverbänden Lese- und Diskussionszirkel mit den Werken von Karl Marx anzustoßen. Doch die Parteiführung stellt Forderungen zur Finanzmarkt-Kontrolle in den Mittelpunkt, wie sie Attac vor einigen Jahren vorgeschlagen hat.

Es wurden viele gute Vorschläge für ein Investitionsprogramm entwickelt, um die soziale Infrastruktur zu verbessern und Jobs zu schaffen. Doch wenn dieses Programm nicht mit einer stimmigen Analyse der Realität und Forderungen zur Überwindung des Kapitalismus verbunden wird, wird die Wirkung verpuffen, dann wird es keine Rolle dabei spielen, den Widerstand gegen die Abwälzung der Krisenlasten zu stärken und politisch voran zu bringen.