Weltwirtschaft auf Crashkurs

Am „Schwarzen Montag“ verloren die Dax-Unternehmen 63 Milliarden Euro. Am darauffolgenden Dienstag waren alle Kursgewinne des Deutschen Aktienindexes vom gesamten Jahr 2007 zunichte gemacht.


 

Im Sommer letzten Jahres hatte die Krise an den Immobilien- und Geldmärkten ihren Lauf genommen. Seitdem erschüttert sie viele Großbanken und greift jetzt auf immer weitere Sektoren der Wirtschaft über. Mit der kräftigen Leitzinssenkung Ende Januar gestand die US-Notenbank ein, dass sich die größte Ökonomie der Welt am Vorabend einer Wirtschaftskrise befindet.

Schon jetzt, vor dem Einsetzen einer internationalen Rezession, werden Arbeitsplätze vernichtet und verlieren Menschen ihre Häuser. Auch in Deutschland spüren ArbeiterInnen und Angestellte die ersten Auswirkungen der Krise. Was haben wir zu erwarten und warum bekommt der Kapitalismus die Krisen eigentlich nicht in den Griff?

von Lucy Redler, Berlin

Finanzkrise: der Beginn einer weltweiten Rezession?

Vor ein paar Monaten wusste noch keiner so recht, wer oder was die IKB ist. Oder was, um Himmels Willen, Subprime bedeutet. Den meisten sind die Bewegungen von Abermilliarden Dollar an den Finanzmärkten nur ein unergründliches Rätsel und hat nichts mit unserem wirklichen Leben zu tun. Das beginnt sich jetzt zu ändern.

Im August letzten Jahres pumpten Zentralbanken so viel Geld in die Finanzmärkte wie zuletzt als Reaktion auf den 11. September 2001. Der unmittelbare Auslöser war eine Krise auf dem Geldmarkt. Dort leihen Banken einander Geld, das sie kurzfristig nicht brauchen. Plötzlich bezweifelten sie wechselseitig ihre Kreditwürdigkeit und waren nicht mehr bereit, einander zu den üblichen Konditionen Geld zur Verfügung zu stellen. Es folgten Rettungsaktionen für angeschlagene Banken wie die Deutsche Industriebank IKB und die Sachsen LB in Deutschland oder die britische Northern Rock (die Financial Times schlug sogar eine Verstaatlichung der Bank vor).

Der Hintergrund der Geldmarktkrise war der Einbruch im US-Immobiliensektor, insbesondere im Bereich der sogenannten Subprime-Hypotheken. Das sind Hypotheken von SchuldnerInnen, die früher bei Krediten in Zahlungsverzug geraten sind oder gar eine Zwangsversteigerung mitmachen mussten. In Zeiten sich immer höher schraubender Immobilienpreise – nicht nur in den USA – haben die Banken die Subprime-Risiken ignoriert. Allein in Großbritannien sind die Hauspreise in den letzten zehn Jahren um 180 Prozent gestiegen.

Dann kam der Crash. Der Fall der Immobilienpreise um bisher acht Prozent in den USA (in einzelnen Regionen um bis zu 40 Prozent) hat eine regelrechte Bankenkrise mit internationalen Ausmaßen ausgelöst, weil die kreditgebenden Banken ihrerseits die faulen Kredite an andere Spekulanten oder Bankinstitute wie die Sachsen LB oder IKB weiterverkauft hatten.

Wie groß das Ausmaß fauler Kredite genau ist, kann heute keiner sagen. Allein die US-Banken Citigroup und Merrill Lynch haben bisher Verluste von fast 50 Milliarden Dollar verkündet.

Vertrauenskrise

Aus Angst vor weiteren faulen Krediten verweigern sich mehr und mehr Banken der Kreditvergabe untereinander. In der Bänkersprache heißt das „Kreditklemme im Interbankenhandel“. Die Zentralbanken sahen sich gezwungen, immer mehr Geld ins System zu pumpen und die Leitzinsen zu senken. Am 22. Januar senkte die US-Notenbank (Fed) die Zinsen um 0,75 Prozent, so deutlich wie zuletzt in der Wirtschaftskrise 1982.

Es ist paradox: Die Krise, die aufgrund von zuviel Liquidität und Spekulation entstanden ist, soll mit erneuter Liquidität bekämpft werden. Die Wirtschaftsbosse, die gerade ihren jährlichen Gipfel in Davos abhielten, warnten mehrheitlich, das werde jetzt nicht helfen, sondern nur eine neue Spekulationsblase im nächsten Aufschwung erzeugen.

Dass die Krise keine Liquiditäts-, sondern eine Vertrauenskrise ist, zeigen die Reaktionen auf die Rettungsversuche plastisch. Als die britische Regierung versicherte, das Geld der Northern-Rock-Anleger sei sicher, bildeten sich vor den Filialen riesige Schlangen von Menschen, die ihr Geld in Sicherheit bringen wollten. Als US-Präsident George Bush ankündigte, die Wirtschaft mit 145 Milliarden Dollar stützen zu wollen, gab es den größten Börsenkrach seit dem 11. September und die panische Zinssenkung der Fed.

Ein weiteres Opfer der Krise ist der Kreditkartenmarkt. Viele Hausbauer, aber auch andere Schuldner können ihre Darlehen nicht zurückzahlen. Kein Wunder. Der Durchschnittshaushalt in Nordamerika hatte 2006 Schulden im Wert von 129 Prozent seines verfügbaren Einkommens. Im Zuge der Verschuldung übertraf der Anstieg der Konsumausgaben den Anstieg der Löhne und Gehälter 2001 bis 2006 um 270 Milliarden Dollar jährlich. Kreditkartenunternehmen wie American Express oder Capital One verzeichneten bereits jetzt deutliche Verluste.

Die US-Wirtschaft hängt zu 70 Prozent vom Konsum ab. Wenn immer mehr Menschen ihr Geld aus Angst vor kommenden wirtschaftlichen Entwicklungen zurück halten oder ganz einfach pleite sind, wird die US-Ökonomie empfindlich gestört.

Der Mini-Börsenkrach vom 21. Januar, als die New Yorker Börse wegen einem Feiertag geschlossen war, demonstrierte den globalen Charakter der Finanzkrise. Viele Aktienindizes in Asien und Europa fielen 20 Prozent unter ihren Höchststand (die gängige Definition für einen „Bärenmarkt“, einen Abschwung an der Börse). In Zeiten der Globalisierung ist die Hoffnung auf eine Abkoppelung der Weltwirtschaft von einer Krise in den USA weltfremd.

Rezession in den USA?

Die Investmentbank Goldman Sachs sagt eine Rezession in den USA für das zweite und dritte Quartal voraus. Eine Rezession tritt ein, wenn das Wirtschaftswachstum in zwei aufeinander folgenden Quartalen negativ ist. Entscheidend ist: Das Krisenpotenzial ist heute deutlich größer als in der Südostasien-Krise 1997 oder in der sogenannten Dotcom-Krise 2001.

Nachdem die New-Economy-Blase 2001 geplatzt war, senkte die US-Zentralbank den Zinssatz in großen Schritten. Durch niedrige Zinsen wurde viel frisches Geld in die Wirtschaft gepumpt und die Verschuldung privater Haushalte, beson-ders in den USA, gesteigert. Dadurch entstanden neue spekulative Blasen und vergrößerten bereits bestehende Blasen an den Aktienmärkten, im Immobiliensektor und in den Bereichen Verschuldung und Währungen. Allein die US-Immobilien stiegen jahrelang alle zwölf Monate um etwa 700 Milliarden Dollar im Preis. Insgesamt wurden die USA – auf dem Papier – dadurch um fünf Billionen Dollar reicher.

Die Maßnahmen, die um 2001 getätigt wurden, um die damalige Rezession abzufedern, tragen dazu bei, dass – angesichts der spekulativen Blasen und der Ungleichgewichte in der Weltwirtschaft – eine tiefe Krise heute um so wahrscheinlicher ist. Sie könnte das Ausmaß und die Intensität der internationalen Rezession 1974/75 erreichen. Der Spekulant George Soros warnt gar vor der „schlimmsten Marktkrise seit 60 Jahren“.

Die Globalisierung, der bisher die Funktion zukam, Risiken zu verteilen, führt jetzt dazu, dass auch die Krise sich sehr schnell international ausbreiten kann. Vor allem die gegenseitige Abhängigkeit zwischen den USA und China spielt in diesem Zusammenhang eine Rolle.

Krisenkarussell

Hinzu kommen weitere Faktoren, die den Kapitalismus weltweit vor Probleme stellen. So ist der hohe Ölpreis ein Faktor im Krisenkarussell. Allein im Jahr 2007 ist er um 60 Prozent gestiegen. Zudem drosseln die hohen Lebensmittelpreise den Konsum in vielen Ländern.

Für die europäischen Staaten kommt hinzu, dass der schwache Dollar beziehungsweise der starke Euro die eigenen Exporte verteuert. Besonders für die exportorientierte deutsche Wirtschaft ist dies problematisch. Stimmen werden lauter, denen zu Folge jetzt auf die Binnenkonjunktur gesetzt werden müsse. Doch gerade wurden neue Zahlen veröffentlicht, denen zufolge sich die Einzelhandelsumsätze in Deutschland im letzten Jahr stark abgeschwächt haben. Welch ein Wunder bei Mehrwertsteuererhöhung, steigenden Lebensmittel- und Energiepreisen und der neuen Armee von Billigjobbern.

Wenn die Fed die Zinsen senkt und die Europäische Zentralbank (EZB) die Zinsen weiter hoch hält, schwächt das den Dollar weiter. Zunehmend werden Anleger ihre Dollarreserven verkaufen, bevor sie noch mehr entwertet sind. Das kann zu einem Absturz des Dollar und dem Verlust seiner Funktion als Leitwährung führen, mit verheerenden Folgen für den Welthandel.

Während eine Rezession in den USA so gut wie sicher ist, ist die Frage des Krisenverlaufs und der Zeitpunkt des Übergreifens auf die deutsche Wirtschaft offen. Exakt kann das in dem chaotischen Wirtschaftssystem Kapitalismus niemand vorhersagen. Wir wissen nicht, wann die Krise genau einsetzen wird und wie tief sie sein wird. Eines ist jedoch so sicher wie das Amen in der Kirche: Die Kapitalisten werden versuchen, die Krise auf unserem Rücken auszutragen.

Welche Folgen für die arbeitende Bevölkerung?

Noch stehen wir vor einer Rezession in den USA und ihren weltweiten Auswirkungen. Doch schon jetzt ist die Krise für Beschäftigte und Erwerbslose spürbar.

In den USA sind aufgrund der Immobilienkrise Institute wie die Citibank in massive Schwierigkeiten geraten. Doch wer bezahlt eigentlich dafür? Der Citibank-Chef, der das Unternehmen mit einer 40-Millionen-hohen Abfindung mit persönlichem Chauffeur und Assistenten verlassen durfte, offensichtlich nicht.

Stellenabbau und Verschuldung

Für die Arbeiterklasse sehen die Folgen der Krise gänzlich anders aus: So hat die Citigroup in den USA bereits angekündigt, ein Zehntel der gesamten Belegschaft zu entlassen. 33.000 Beschäftigte würden dadurch ihren Job verlieren. Auch der US-Immobilienfinanzierer Countrywide steht vor der Pleite. Aber auch andere Beschäftigte sind mittelbar von der Immobilienkrise betroffen, weil viele Pensionsfonds und Versicherungskonzerne Geld in Subprime-Hypotheken investiert haben. Wenn klar wird, wie hoch die Verluste sind, werden die Pensionsfonds versuchen, die Renten vieler KollegInnen zu kürzen.

Hunderttausende Familien haben in den USA zudem bereits jetzt ihr Haus aufgrund von Zwangsversteigerungen verloren. Dort besitzen heute knapp 70 Prozent, darunter also auch viele Arbeiterfamilien ein eigenes Heim. Sie betrachten diesen Besitz als einzige Sicherheit – oft auch zur eigenen Altersvorsorge. Diese Menschen haben nun durch die Krise auf dem Immobilienmarkt viel oder alles verloren.

Doch auch fernab der Immobilienbranche werden Arbeitsplätze aufgrund der drohenden Krise vernichtet. So plant Rolls Royce die Streichung von weltweit 2.300 Stellen, offiziell aufgrund steigender Rohstoffkosten und den Auswirkungen des schwachen Dollars. In den USA wächst die Arbeitslosigkeit. Innerhalb eines Monats haben 474.000 Menschen ihren Job verloren.

Und auch in Deutschland äußert sich die Krise schon: Der Autozulieferer Karmann plant in Osnabrück und Rheine den Abbau von 1.800 Stellen, um Überkapazitäten abzubauen.

Und das alles ist erst der Anfang.

Folgen von Krisen

Ein Blick in die jüngere Geschichte zeigt uns, welche sozialen Folgen eine Weltwirtschaftskrise für die Arbeiterklasse haben kann. Die Weltwirtschaftskrise 1974/75 markierte das Ende des Nachkriegsaufschwungs. Vor der Krise, im Jahr 1973, waren in der Bundesrepublik 273.000 Menschen ohne Erwerbsarbeit. 1975 lag die Arbeitslosigkeit bei über einer Million. Auch auf weltweiter Ebene schnellte die Erwerbslosigkeit in die Höhe. Zudem kam es zu Angriffen auf eine Vielzahl von Errungenschaften der Arbeiterklasse.

In den folgenden Rezessionen 1980-82 und zu Beginn der neunziger Jahre verdoppelte sich die Arbeitslosigeit in der Bundesrepublik jeweils und konnte in den anschließenden Konjunkturaufschwüngen nicht abgebaut werden.

Der Rückgang der Erwerbslosenzahlen in den letzten Jahren ist zum einen darauf zurückzuführen, dass die Statistiken geschönt wurden. Zum anderen kam es aber vor allem zu mehr prekären Beschäftigungsverhältnissen und einer Ausweitung des Niedriglohnsektors. Wie sicher gerade die Jobs in der Leiharbeit sind, zeigt sich in diesen Wochen. Erst die Ankündigung von BMW, 8.000 Stellen zu streichen und dabei als erstes Leiharbeiter zu entlassen. Dann die Nachricht von der geplanten Schließung des Nokia-Werkes in Bochum, wo auch 1.000 Leiharbeiter ihren Job verlieren sollen.

Die Krise Mitte der siebziger Jahre führte auch zu einer politischen Radikalisierung innerhalb der Arbeiterklasse. In den führenden kapitalistischen Staaten stieg die Zahl der Ausfalltage durch Streiks erheblich an. In einem Land wie Portugal kam es sogar zu einer Revolution.

Ökonomisches wird politisch

Das politische Bewusstsein ist heute niedriger als in den siebziger Jahren. Das liegt an den Folgen des Zusammenbruchs des Stalinismus, der neoliberalen Offensive und dem Rechtsruck an der Spitze der Arbeiterorganisationen, was auch zum Rückzug vieler linker AktivistInnen führte. Nichtsdestotrotz wird eine Weltwirtschaftskrise starke Auswirkungen auf das Bewusstsein der Arbeiterklasse und der Jugend haben. Jede ökonomische Krise des Kapitalismus ist immer auch eine politische Krise. Wenn Arbeitslosigkeit und Verarmung massenhaft zunehmen, wird Millionen Menschen die Unfähigkeit des Kapitalismus vor Augen geführt. Radikalisierung, Politisierung und die Suche nach Alternativen zur kapitalistischen Misere werden die Folge sein.