Jung, Arbeiterin und superausgebeutet

Die heute am häufigsten von jungen BrasilianerInnen ausgeübten Berufe sind VerkäuferIn, BürogehilfIn, Call-Center-AgentIn, AssistentIN, RezeptionistIn, Pizza-LieferantIn und Bürohilfskraft (alles unqualifizierte Arbeiten), die stets mit prekären Arbeitsverträgen, ohne die von den ArbeiterInnen erkämpften Rechte zu garantieren, einhergehen.
 

von Mariana Cristina, SR (bras. cwi-Sektion)

Bei Jugendlichen ist der Arbeitstag häufig länger als 10 Stunden, und manchmal sogar wochenlang ohne jegliche freien Tage. Die Gesundheitsrisiken sind bekannt – Schlafstörungen, ungesunde Ernährung und keine Zeit zur Erholung.

Die Schwierigkeit, die Arbeit mit der Schule oder dem Studium zu verbinden, macht aus den jungen ArbeiterInnen die am häufigsten unter schulischen Problemen wie Nichtbestehen von Prüfungen oder mangelhaften mündlichen Leistungen leidende Studierendengruppe.

Gemäß dem UNO-Weltjugendbericht 2005 leben 18% der jugendlichen Weltbevoelkerung in extremer Armut. In der Altersschicht von 15 bis 24 Jahren (insgesamt 1,2 Mrd. Menschen) müssen mehr als 200 Mio. mit weniger als einem Euro pro Tag auskommen, und 88 Mio. haben keine Arbeit. Wenn sie Arbeit finden, verdienen sie weniger als ältere ArbeiterInnen, weil sie keine Erfahrung und wenig oder gar keine Ausbildung haben.

Juliana ist 21 Jahre alt und eins von unzähligen Opfern dieses Systems, das junge Leute ausschließt und Frauen diskriminiert. Derzeit arbeitet sie in einem Call-Center, dem Sektor, in dem die Superausbeutung junger ArbeiterInnen auf die Spitze getrieben wird. Die Tatsache, dass die Mehrheit der Call-Center-Angestellten junge Frauen sind, ist ein weiterer Beweis für die Verknüpfung der Geschlechterunterdrückung mit der kapitalistischen Ausbeutung.

In welchem Alter hast du angefangen zu arbeiten? In welchen Unternehmen und welchen Funktionen hast du bisher gearbeitet? Haben dir die Berufe gefallen?

Ich habe mit 15 Jahren angefangen zu arbeiten, im Büro eines Onkels, aber als Schwarzarbeit. Dann habe ich für die CAN (eine brasilianische Sprachschulenkette) als Verteilerin von Werbezetteln gearbeitet, dann in der "Agua de Cheiro"-Parfümerie als Teilzeitverkäuferin, und dann in der Galerie "Oro Fino" ebenfalls als Verkäuferin. Dann war ich zwei Jahre bei submarino.com (ein brasilianischer online-Versandhandel), wo ich als Helpdesk-Mitarbeiterin anfing und dreimal befördert wurde. Heute arbeite ich bei TMS (ein grosses Call Center in Sao Paulo).

Die Arbeiten bei CNA und bei submarino.com haben Spaß gemacht. Bei Zoe und bei "Agua de Cheiro" war es schrecklich, letztere haben mich sehr erniedrigt und mein Arbeitstag ging von 8 Uhr morgens bis 23 Uhr abends. Einmal hatte ich grosse Fußschmerzen und habe für ein paar Minuten an einem von den Kunden nicht einsehbarem Ort die Beine hochgelegt. Die Folge war eine beleidigende und sexuell belästigende Szene des Inhabers vor der ganzen Belegschaft. Ich habe daraufhin meine Sachen gepackt und bin gegangen. Ich habe das Geschäft verklagt, weil mir der Inhaber nur 20 Reais (ca. 7 Euro) zahlen wollte, nach drei Monaten Arbeit! Der Prozess wurde erst nach zwei Jahren entschieden, aber der Typ musste mir letztendlich 2.000 Reais bezahlen

Hast du schon den Druck durch Zielvereinbarungen kennengelernt? Enthält dein Arbeitsvertrag Rechte wie Freizeit, Weiterbildung, Pausen? Bist du der Ansicht, für deine Arbeit gut bezahlt zu werden?

Bei submarino.com kam ich um 8 Uhr und ging theoretisch um 18 Uhr, aber wir mussten eigentlich immer bis 19 oder 20 Uhr bleiben. Bei Nichterfüllung der Ziele mussten wir Samstags Extraschichten einlegen oder nach Geschäftsschluß noch sehr lange bleiben. Wir verdienten nur 1,40 Reais pro Überstunde. Ich hatte überviele Aufgaben und ein Grossteil meines Lohns stand regelmäßig aus. Ich kam ausserhalb der Arbeit zu fast nichts mehr, weil ich wochentags den ganzen Tag arbeitete und auch häufig am Samstag, ich war schlecht gelaunt und ständig gereizt. Ich verdiente sehr wenig für die Arbeits- und Aufgabenmenge, die mir übertragen worden war, und obwohl es Dinge gab, die nur ich machen konnte, verdiente ich nur 670 Reais (ca. 240 Euro). Ich hätte befördert werden sollen, was auch eine höhere Bezahlung eingeschlossen hätte, aber mein Abteilungsleiter erlaubte die Versetzung nicht. Ich bat um eine Gehaltserhöhung, die aber nie gewährt wurde. Kurze Zeit später wurde ich entlassen.

Hast du dich schon einmal wegen deines jungen Alters diskriminiert gefühlt?

Ich wurde schon immer wegen meiner Piercings und Tatoos diskriminiert. Meine Chefs verachteten mich und alle forderten mich auf, die Tatoos und Piercings zu verstecken. Am schlimmsten ist es bei TMS, weil einen bei der Arbeit als Call-Center-Agentin die Kunden ja nicht sehen, aber dennoch alle Angestellten förmlich angezogen sein müssen. Und von mir wird gefordert, die Haare offen zu tragen, um mein Ohrpiercing zu verstecken, die anderen Piercings rauszunehmen und die Tatoos zu verdecken.

Hast du schon mal versucht, in die Betriebsabläufe eines der Unternehmen, für die du gearbeitet hast, einzugreifen? Wenn ja, wie? Haben sich andere ArbeiterInnen angeschlossen? Gab es Repressionen oder Bestrafungen?

Als ich bei submarino.com arbeitete, habe ich versucht, eine ArbeiterInneninitiative für bessere Arbeitsbedingungen zu gründen, denn es gab sehr viele Überstunden und das Kantinenessen war salpeterhaltig und unhygienisch (ein Kollege fand eine tote Kakerlake in seinem Essen). Bei meinen Gesprächen mit den KollegInnen waren alle dafür, sich zu organisieren und gegen diese schlechten Bedingungen zu streiken. Aber am vereinbarten Tag war ich die einzige, die wirklich den ganzen Tag die Arbeit niederlegte. Die anderen sagten, dass sie Angst vor Entlassungen hätten. Der Tag wurde mir aber nicht vom Lohn abgezogen.

Wie sind die Arbeitsbedingungen im Call-Center?

Die Arbeit bei TMS ist sehr hart. Wir haben bestimmte Maximalzeiten für die Kundengespräche, und wenn wir die überschreiten, kommt der Aufseher und stichelt mit zynischen Fragen, ob wir Hilfe wöllten – ganz zu schweigen von den ständigen Anrufen, die sie uns durchstellen mit der Aufforderung, die Leitung freizugeben. Wir können nicht auf die Toilette gehen und haben nur 15 Minuten Mittagspause, aber dass auch nur, wenn wir morgens 15 Minuten früher anfangen. Und auch die Bezahlung ist sehr niedrig.