Kasseler Klinikum: Verzicht mit allen Mitteln

Neubau wird durch Gehaltskürzungen finanziert. Ver.di-Funktionäre rechnen Lohneinbußen schön. Betriebsratschef wechselte ins Management


 

von Herbert Wulff, zuerst erschienen in der jungen Welt, 21. Dezember 06

Der geplante »besondere Tarifvertrag« am Klinikum Kassel sorgt weiter für Unruhe. Auf durchschnittlich 5,3 Prozent ihrer Löhne und Gehälter sollen die Beschäftigten bis zum Jahr 2015 verzichten, um einen 152,2 Millionen Euro teuren Neubau für das Krankenhaus zu ermöglichen. Das sieht eine zwischen ver.di und der Gesundheit Nordhessen Holding AG (GNH) am Dienstag geschlossene Rahmenvereinbarung vor. Zur Empörung der Kritiker des Vertrags haben ver.di-Vertreter diesen unterschrieben, obwohl die Zahlen, mit denen den Gewerkschaftern im Betrieb der Verzicht zuvor schmackhaft gemacht worden war, ganz offensichtlich nicht stimmten.

63 Prozent der anwesenden Gewerkschafter hätten sich auf drei Versammlungen für die Vereinbarung ausgesprochen, verkündeten die ver.di-Hauptamtlichen Anfang dieses Monats. Allerdings hat sich nach jW-Informationen lediglich ein Drittel der Mitglieder an dem Votum beteiligt. Demnach stimmten von den rund 600 ver.di-Mitgliedern im Kasseler Klinikum nur 126 für den Vertrag. Zudem hätten ver.di- und Betriebsratsfunktionäre den Lohnverzicht »schöngerechnet«, kritisierte Katja Hoffmann vom »Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di«. So sei behauptet worden, ein Teil der im kommenden Jahr fälligen Lohnkürzung von vier Prozent werde über eine Reduzierung der Arbeitgeberbeiträge zur betrieblichen Altersversorgung ZVK abgewickelt und dadurch nicht sofort im Portemonnaie der Beschäftigten spürbar. Das GNH-Management hat nun jedoch unmißverständlich klargestellt, daß es die vollen vier Prozent – 2008 sollen es fünf, in den Folgejahren gar sechs Prozent sein – von den Gehaltsüberweisungen abziehen wird. Daraufhin hieß es bei ver.di zwar, man werde die Mitglieder im Januar erneut befragen, dennoch wurde die entsprechende Rahmenvereinbarung unterzeichnet, »weil sonst alles geplatzt wäre«. Nun kann nur noch die Clearingstelle beim ver.di-Bundesvorstand, die alle Tarifverträge auf ihre Vereinbarkeit mit den Grundsätzen der Dienstleistungsgewerkschaft überprüft, das Inkrafttreten des Vertrags verhindern.

Während die ver.di-Spitze den Pflegern und Arbeitern des Kasseler Klinikums also drastische Einkommenskürzungen zumutet, lehnen die Vertreter der Ärzte dies weiterhin ab. Ärzteliste und Marburger Bund argumentieren, die Finanzierung des geplanten Neubaus sei mittelfristig nicht gesichert. Nun soll der »Beitrag« der Mediziner, den ver.di vehement eingefordert hatte, über Stellenabbau realisiert werden.

Widerstand kommt derweil nicht nur von Ärzten und linken Gewerkschaftern, sondern auch von der in der Stadtverordnetenversammlung vertretenen Fraktion Kasseler Linke.ASG. Diese verweist u.a. darauf, daß das Neubauprojekt nicht nur Millionen verschlingen, sondern zudem 300 Arbeitsplätze kosten soll. Auch eine künftige Privatisierung des Klinikums werde durch den Lohnverzicht keineswegs verhindert. Die Stadt Kassel hat sich als Teil der Vereinbarung lediglich dazu verpflichtet, bis 2015 maximal 49,9 Prozent der Anteile der bislang vollständig in kommunaler Trägerschaft befindlichen GNH zu verkaufen. Aber selbst das ist nicht gesichert. Falls das Eigenkapital der GNH, das derzeit auf 40 Millionen Euro beziffert wird, um 2,5 Millionen Euro abnimmt, kann die Stadt aus der mit ver.di geschlossenen Vereinbarung aussteigen.

Die Kasseler Linke.ASG kritisierte in einer Pressemitteilung außerdem, daß die GNH-Spitze »gleich drei ehemalige Gewerkschafter und Betriebsräte in die Chefetage berufen hat, um sich ganz offensichtlich damit die Zustimmung der Gewerkschaftsseite ›zu erkaufen‹«. Anfang des Jahres hatte Betriebsratschef Peter Metz einen Posten im GNH-Management angenommen. »Das und die Verzichtspolitik haben dazu geführt, daß unsere Gewerkschaft bei vielen Kollegen an Glaubwürdigkeit verloren hat«, meinte Hoffmann. Weder im Landesbezirk noch vor Ort waren die für das Kasseler Klinikum zuständigen ver.di-Sekretäre am Dienstag und Mittwoch für jW-Nachfragen zu erreichen.