Chinesische Entwicklungshilfe für US-Dollar

Weltwirtschaft und Dollarkrise
 
Die Achillesferse der kapitalistischen Weltwirtschaft ist derzeit die weltweite Finanzarchitektur. Ein erheblicher Teil des weltweiten Wirtschaftswachstums, das es 2004 gab, wurde auf künstliche Weise herbeigeführt: durch die gewaltigen „Zwillings-Defizite“ in den USA, die Fehlbeträge von Haushalt und Leistungsbilanz, durch eine daraus resultierende US-Verschuldung und durch deren Finanzierung vor allem durch asiatische Zentralbanken.
Seit 2001 ist der US-Haushalt defizitär. Unter George W. Bush gibt es einen spezifischen „militärischen Keynesianismus“: Schaffung von künstlicher Nachfrage durch steigende Ausgaben zum Töten und Bespitzeln bei gleichzeitiger Senkung der Unternehmenssteuern. Die Budgetdefizite stiegen von 158 Milliarden US-Dollar 2002 auf 513 Milliarden 2004. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) macht das 2004er US-Defizit (Bund, Bundesstaaten, Sozialversicherungen) sieben Prozent aus – das Doppelte des Maastricht-Kriteriums der EU. 2002 bis 2005 steigen damit die öffentlichen Schulden der USA um rund 1.500 Milliarden Dollar. Finanziert wird diese Schuld überwiegend durch Staatsanleihen, die von in- und ausländischen Personen und Institutionen gekauft werden.
Parallel gibt es das US-Leistungsbilanzdefizit. Seit 15 Jahren importieren die USA mehr als sie an Waren und Dienstleistungen exportieren. Dieses Defizit erreichte 2004 das Rekordniveau von 600 Milliarden Dollar, was 5,7 Prozent des US-BIP entspricht. Der Internationale Währungsfonds interveniert gegenüber Schwellenländern, wenn ihr Leistungsbilanzdefizit fünf Prozent überschreitet.

Asiatische Entwicklungshilfe für USA

Aus den US-Defiziten resultieren im Wortsinne „offene Rechnungen“. Allein das 2004er US-Defizit in der Leistungsbilanz verteilt sich auf neue Dollar-Guthaben in Höhe von 160 Milliarden in Tokio, 150 Milliarden in Peking, 140 Milliarden in Europa und weiteren 100 Milliarden Dollar in den Golfstaaten. Bisher haben die Zentralbanken der jeweiligen Länder mit diesen Dollar-Guthaben US-Anleihen gekauft. Allein die asiatischen Zentralbanken sammelten von 2000 bis 2004 auf diese Weise einen Devisenschatz von 1.800 Milliarden Dollar an (Tokio 800 und Peking 600 Milliarden Dollar). Sieht man von Japan ab, so fungierten damit Schwellenländer als Bank for America.
Diese „Entwicklungshilfe“ erfüllt zwei Funktionen. Erstens wird der Dollar gestützt; gleichzeitig werden die eigenen Währungen (Yen, Renminbi, Won und so weiter) niedrig gehalten, was wiederum die ei-genen Exporte fördert. Zweitens wird durch diese Mega-Kredite an die USA der US-Konsum beflügelt und das dortige Wirtschaftswachstum auf Pump verlängert, was die Weltkonjunktur stützt und die Sucht nach Importen aus Asien fördert.
Doch der Prozess künstlicher Welt-Nachfrage ist nicht beliebig fortsetzbar. Ende 2004 hat die Auslandsverschuldung der USA 3.100 Milliarden US-Dollar erreicht. Das entspricht dem Dreifachen des Werts der US-Exporte. Im Fall von Drittwelt-Ländern gilt: Wenn die Auslandsverschuldung den doppelten Wert der jährlichen Exporte ausmacht, ist dies ein Warnzeichen vor einem Absturz.

Lok aus der Spur

Bisher reagierte die US-Regierung, indem sie eine Abwertung des Dollars akzeptierte. Damit wurden die US-Exporte erhöht, das Leistungsbilanzdefizit reduziert und die US-Schulden im Ausland entwertet. So fiel der Wert der US-Währung gegenüber dem Euro von Mitte 2001 bis heute um rund 35 Prozent. Bereits dies hatte negative Auswirkungen auf die Weltkonjunktur: Die US-Importe verteuerten sich und der US-Konsum ging zurück. Die US-Zentralbank hob die Zinsen wieder an, um das dringend benötigte Auslandskapital anzuziehen. Damit steigen die Immobilienzinsen an; die Blase in diesem Sektor droht zu platzen. Vor allem aber verteuerten sich die Exporte aus Japan und Europa, was den wichtigsten Motor der Weltkonjunktur ins Stottern bringt.
Dennoch hat sich die Wettbewerbsfähigkeit der US-Wirtschaft nicht erkennbar verbessert. 2005 droht das US-Defizit in der Leistungsbilanz gemessen am BIP auf sieben Prozent anzusteigen. Die US-Konjunktur – die Lok der Weltwirtschaft – droht zu entgleisen.
Dies erfolgt nach Fahrplan. Die Wirtschaftspolitik unter George W. Bush zielte von vornherein auf den schnellen Profit für große Konzerne und den Wahlsieg für eine zweite Amtsperiode. Natürlich gibt es immanente Krisentendenzen des Kapitalismus, die in jedem Fall wirken, so den tendenziellen Fall der Profirate. Doch im Fall des „Bushism“ kam es auch aus großbürgerlichen Sicht zu einer speziellen, unverantwortlichen Wirtschaftspolitik. Der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz bilanzierte: „Die Bush-Regierung betreibt eine neue Form des beggar your neighbour (beleih Deinen Nachbarn; W.W.), eine Politik auf Kosten anderer Staaten. Das große Defizit im Außenhandel führt zu einem schwachen Dollar und zu einem starken Euro, der wiederum die Exportfähigkeit Europas beeinträchtigt. Irgendwann könnte das Vertrauen in die USA derart erschüttert sein, dass ausländische Anleger (…) das US-Defizit nicht mehr finanzieren wollen.“

Sonderfall China

Peking hat seine Währung, Renminbi (Yuan) seit 1995 an den Dollar gekoppelt. Die Verteidigung des Kurses von 8,28 Yuan für einen US-Dollar ist teuer erkauft. 2004 finanzierte China bereits ein Drittel des gesamten Defizits in der US-Leistungsbilanz. Mit den schnell steigenden Dollar-Devisenreserven verteidigt die chinesische Zentralbank diese Währungsrelation. Der Yuan gilt als um 25 Prozent unterbewertet, was die enormen chinesischen Exporte in den Dollar-Raum fördert. Dies führt dazu, dass die Regierungen in Washington, Tokio und Europa auf eine Aufwertung des Renminbi drängen.
Kommt es zu einer deutlichen Aufwertung des Renminbi, so wird die Architektur der Weltfinanzen bedroht. Zunächst würde die Wirtschaft in China abschmieren, weil die wichtige Exportwirtschaft einbrechen würde. Die ohnehin fragile Weltkonjunktur verlöre eine letzte Stütze. Sodann würden die chinesischen Devisenreserven drastisch abgewertet. Die Symbiose zwischen Süchtigem und Dealer, zwischen US-Konjunktur auf Pump und dessen Finanzierung durch die chinesische Zentralbank, würde zerschlagen. Allein eine Yuan-Aufwertung um 20 Prozent bedeutet für Peking angesichts des erwähnten 600-Milliarden-Dollar-Devisenschatzes einen Verlust von 120 Milliarden US-Dollar. Dies wäre nicht hinnehmbar – zumal es dann die Gefahr weiterer Dollar-Abwerungen gibt. Peking könnte dann ganz aus dem Dollar aussteigen. Damit aber würde die „Weltfinanzarchitektur des Schreckens“, wie dies der ehemalige US-Finanzminister Larry Summer nannte, endgültig ins Wanken gebracht.

Dollar, Gold, Euro

So nähert sich der Kapitalismus dem Zeitpunkt, an dem der Dollar als Welt-Leitwährung abtritt. Dem britischen Pfund, Vorgänger des US-Dollars in dieser Funktion, erging es ähnlich. Großbritannien war vor dem Ersten Weltkrieg der größte Gläubiger der Welt. Nach dem Zweiten Weltkrieg war das Land – wie heute die USA – einer der größten Schuldner der Welt. Dies führte nach dem Zweiten Weltkrieg zum Aufstieg des US-Kapitalismus auf dem Weltmarkt und zum Dollar als neuer Leitwährung.
So gesehen würde sich Wirtschaftsgeschichte lediglich wiederholen. Allerdings sind drei Besonderheiten zu berücksichtigen: Erstens dauerte der reale Ablösungsprozess des britischen Pfund durch den US-Dollar rund zwei Jahrzehnte und war unter anderem mit der Weltwirtschaftskrise verbunden. Zweitens gab es mit dem US-Dollar eine glaubwürdige Alternative zum britischen Pfund, hinter dem die größte Wirtschaftskraft der Welt stand. Heute gibt es zwar den Euro als Alternative, worin bereits 20 Prozent der weltweiten Devisenvorräte angelegt sind. Doch hinter dem Euro steht als EU nur ein Staatsgebilde im Geburtszustand. Vor allem ist die EU noch nicht Militärmacht Nummer eins.
Die dritte zu berücksichtigende Besonderheit: Das Pfund war jederzeit in das allgemeine Äquivalent für gesellschaftliche Arbeit, in Gold, umtauschbar – zu einem fixen Kurs („Goldstandard“). Das war in Krisenzeiten wichtig. Und damit bestätigte sich die Marxsche ökonomische Theorie, wonach alle Werte auf Arbeitszeit beruhen und „geronnene Arbeitszeit“ sind. Karl Marx: „Die spezifische Schwere des Goldes und des Silbers, viel Gewicht in einem relativ schmalen Volumen zu enthalten (…) wiederholt sich in der Welt der Werte so, dass es großen Wert (Arbeitszeit) in verhältnismäßig schmalem Volumen enthält.“
Auch der US-Dollar als Leitwährung hatte nach dem Zweiten Weltkrieg Goldstandard (35 Dollar je Unze Gold). Er wurde 1971 als eine Folge des Vietnamkriegs aufgegeben. Der damalige US-Finanzminister John Connally äußerte: „Es ist unsere Währung, aber euer Problem.“ Drei Jahrzehnte lang funktionierte es, sich mit einem Weltwährungssystem durchzuwursteln, dessen „ideeller Anker“ nur das Vertrauen in die US-Ökonomie war. Dieses Vertrauen schwindet. Die Krise der Leitwährung Dollar wird zum Problem für die gesamte kapitalistische Ökonomie.

Gastartikel von Winfried Wolf. Er ist seit mehr als dreißig Jahren in der marxistischen Bewegung aktiv. Von 1994-2002 war er Bundestagsabgeordneter der PDS. Letztes Jahr trat er aus der PDS aus. Winfried Wolf ist Mitherausgeber der Zeitung „Gegen den Krieg“ und Autor diverser Bücher, darunter „Eisenbahn und Autowahn“, „CasinoCrash“, „Bombengeschäfte“ und „Sturzflug in die Krise“.