Arbeitskampf bei Alstom

Interview mit Udo Belz, Betriebsratsvorsitzender bei Alstom Mannheim
 
belzDenjenigen, die in den letzten Jahren Neuigkeiten auf gewerkschaftlichen und betrieblicher Ebene beobachtet haben, wird Alstom Mannheim sicherlich schon ein Begriff sein, da es bereits in der Vergangenheit einige Male K?rzungen, Entlassungen, und auch erfolgreichen Widerstand gegen solche Ma?nahmen gegeben hat. Bevor wir uns mit den aktuellsten Entwicklungen besch?ftigen, k?nntest du die aktuelle Situation in den Kontext der Ereignisse der letzten Jahre setzen und erkl?ren, wie es zu dieser Situation gekommen ist?

Tja, wo soll ich da anfangen? Da m?sste man eigentlich vor 20 Jahren anfangen ? aber ich denke es ist vielleicht am sinnvollsten, bei der Fusion von ASEA und BBC anzufangen, das war 1988. Damals wurden wir in Mannheim konfrontiert mit der Frage Abbau von 2000 Leuten, und insgesamt sollten in Deutschland 4000 Stellen abgebaut werden. Das hatte damals eine Auseinandersetzung zur Folge die ?ber neuen Monate dauerte. Wir haben den Ausma? des Abbaus drastisch reduzieren k?nnen ? eben als Folge des Monatelangen Kampfes. Und danach gab es unter ABB alle 1 oder 2 Jahre Umstrukturierungen ? das ist das neudeutsche Wort f?r Rausschmisse. Die Ursachen h?ngen mit dem Zusammenbruchs des Ostblocks zusammen, der Konzern hat sich da drastisch verkalkuliert, hatte Standorte in den Ostblockl?ndern aufgekauft, und hatten den dortigen Regierungen ? es waren ja alles Staatsbetriebe gegeben ? Besch?ftigungszusagen gegeben, in der Erwartung dass dort ein ziemliches Marktpotenzial g?be. Dieses Marktpotenzial hat sich letztendlich als gro?er Flop herausgestellt, weil der Markt zwar da war aber diese Staaten kein Geld hatten. Und dann war es eben so, dass die Westeurop?ischen Standorte keine Besch?ftigungszusagen hatten, und man probierte, an diesen Standorten das Personal zu reduzieren. Ein sch?nes Beispiel ist Bergmann-Borsig, ein Ostberliner Kraftwerksbauer, der hatte zum Zeitpunkt als er gekauft wurde ca. 4000 Besch?ftigte. Die haben heute nur noch 200 Besch?ftigte.
Diese Fehlkalkulation war ein logische Folge der Tatsache, da? in diesen L?ndern die L?hne so gering sind. Wenn ich nur einen Euro Einkommen habe, zahle ich nur auf einen Euro Steuern, und der Staat hat entsprechend weniger Geld um Infrastruktur aufzubauen. So gab es eben alle paar Jahre diese Umstrukturierungen und so hat es sich bis heute fortgesetzt.

Kommen wir zur aktuellen Situation und dem, was ansteht bzw. droht und die Forderungen der Konzernleitung…

Also die offizielle Begr?ndung ist eine Verlagerung von weiten Teilen der Fertigung und der Konstruktion. Dabei handelt es sich um h?chstqualifizierte Arbeitspl?tze. Vor einigen Jahren hat man es immer so dargestellt, da? man die ? ich sage mal, ?minderwertigen? Arbeitspl?tzen ? nat?rlich in Anf?hrungszeichen, ich will den Kollegen dort nicht zu nahe treten, aber so hat man eben argumentiert ? dass man diese Arbeiten eben im Ausland besser und kosteng?nstiger machen kann. Aber hier reden wir ?ber h?chstqualifizierte Arbeitspl?tze. Man muss das so sehen: der Abbau, der jetzt geplant ist betrifft zur H?lfte hochqualifizierte Facharbeiter und zur anderen H?lfte Ingenieure, Entwicklungskonstrukteure und Techniker, also spitzenm??ig qualifiziertes Fachpersonal. Es geht also angeblich um eine Verlagerung nach Indien und nach China, aber wir glauben dem nicht, wir glauben dass die Sache eine ganz andere ist. Da war n?mlich in der Franz?sischen Zeitung Le Monde zu lesen dass der Franz?sischen Staatsbetrieb Areva, der eine Tochter hat, die Framatom, an der ist die Siemens zu 35% beteiligt; dass eben in diesem Framatom das Nukleargesch?ft konzentriert werden soll, dass das konventionelle Kraftwerksgesch?ft bei Siemens konzentriert werden soll, und dass die schienengebundene Verkehrstechnik bei Alstom konzentriert werden soll. Wie man sieht bahnt sich hier eine neue Fusion der gro?en Industrieunternehmen an, das geht in die Richtung von diesem Konzept von den Europ?ischen Champions, das ist zu so einem Schlagwort avanciert in letzter Zeit. Und angesichts dieser Pl?ne f?rchten wir hier in Mannheim, dass wir in dieses Schachbrettmuster nicht reinpassen.
Was die Frage der Globalisierung betrifft, ich habe mich da mit Kollegen unterhalten ? Ingenieure, Projektleiter, die des ?fteren in China sind. Sie berichten dass es in China Gegenden gibt, wo Menschen und Schweine sich Behausungen teilen m?ssen. Und ich denke, es kann doch einfach nicht sein, dass als Folge der Globalisierung gro?e Industriekonzerne nach China gehen, nicht weil sie den Menschen dort was gutes tun wollen, sondern weil dort die Ausbeutungsbedingungen g?nstiger sind.

Um mal kurz das Thema wechseln. Der letzte gr??ere Arbeitskampf hier in Mannheim war der Streik bei der Eichbaum-Brauerei, und dort hat die Solidarit?t und die Unterst?tzung aus der Bev?lkerung und aus anderen Betrieben eine wichtige Rolle spielt. Ebenso die Lokalpresse, die sich als Propagandaorgan der Gesch?ftsleitung bet?tigten. In diesem Fall geht es nat?rlich um einen viel gr??eren Betrieb und einen internationaler Konzern, aber in wie fern sind diese Aspekte f?r den Kampf bei Alstom von Bedeutung?

Also ?ber die Rolle der Presse k?nnen wir uns im gro?en und ganzen nicht beschweren. Die Presse hat eigentlich in der Vergangenheit immer relativ objektiv berichtet. Zur Frage der Unterst?tzung: wir haben ja erst diese Woche angefangen. Am Montag haben die Besch?ftigten der Deutschen Alstom Power Betriebe ihre Solidarit?t mit uns bekundet, an allen Alstom-Standorten Deutschlands haben die Betriebe stillgestanden, wir hatten am Dienstag eine Arbeitsniederlegung von 2000 Besch?ftigten in Spanien, die sich mit uns solidarisch erkl?rten, es gab heute eine Arbeitsniederlegung in dem Betrieb in Italien, die Gr??enordnung kennen wir noch nicht genau. Die haben uns ein Solidarit?tsschreiben geschickt, aus dem aber leider nicht hervorgeht, ob das Tausende, Hunderte oder einer war. Das ist nat?rlich mit der Kommunikation ?ber die Grenzen hinweg immer schwierig.

Wie war die Resonanz der Bev?lkerung auf die Demonstration gestern?

Ich habe den Eindruck, dass es eine positive Resonanz gibt, ich sage aber trotzdem dass die Bev?lkerung meiner Meinung nach etwas zu lethargisch ist. Wir k?mpfen nicht nur f?r unsere eigenen Arbeitspl?tze, den f?r jeden Arbeitsplatz, der in der Industrie vernichtet wird, fallen zwei weitere in anderen Bereichen weg. Wenn man sich das also ausrechnet, geht es ? angenommen es l?uft hier wirklich auf eine Werksschlie?ung hinaus ? nicht nur um 2000 Arbeitspl?tze sondern zus?tzlich noch mal das doppelte davon. Da stellt sich f?r mich schon die Frage, wie lange sich die Bev?lkerung das so noch bieten l?sst, wie das in dieser Republik teilweise l?uft.

Welche M?glichkeiten gibt es national und international diesen Arbeitskampf zu unterst?tzen?

Ich denke, Sachen wie das was ich vorhin gesagt habe mit den Kollegen in den Werken in Spanien und Italien sind Beispiele daf?r. Ich denke auch, das wir uns innerhalb der Gewerkschaft unterhalten m?ssen ?ber andere Strategien, denn es kann einfach nicht sein, dass wir uns in einem Betrieb nach dem anderen erpressen lassen. Ich halte das Ganze hier nicht f?r eine Auseinandersetzung bei Alstom, denn es ist eigentlich eine gesellschaftspolitische Auseinandersetzung, wo ich denke dass sich die Bev?lkerung langsam mal ?berlegen m?sste, obs denn sein kann, das ein paar wenige in der Lage sind, eine intelligente Folie zu zeigen ? nein, es ist nicht mal das ? eine Folie, dass sie intelligent ausschauen zu lassen ? eigentlich die Mehrheit tyrannisieren. Das ist ja gar nicht mehr demokratisch. Normalerweise bedeutet Demokratie, dass die Mehrheit entscheidet, was getan wird. Ich halte das f?r absolut undemokratische Strukturen, und ich denke wir sollten wirklich mal anfangen, dar?ber zu diskutieren.

Du hast vorhin ?ber die Alstom-Betriebe in Osteuropa gesprochen. Dort gibt es einen ziemlichen Druck auf die Besch?ftigten, weiterhin als billige Arbeitskr?fte zu bleiben oder sogar noch billiger zu werden, um ihre Arbeitspl?tze zu erhalten. Welche Aufgaben und Notwendigkeiten sieht der Gesamtbetriebsrat diesbez?glich, was sch?tzt ihr die wirtschaftliche und politische Lage ein und was seht ihr f?r Perspektiven?

Wir sch?tzen das so ein, dass die Betriebe in Russland oder Polen im ersten Schritt zun?chst mal profitieren, wobei man aber gleich dazu sagen muss, dass wenn man sich mit den Kollegen dort unterh?lt, auch sie berichten, dass man ihnen st?ndig sagt, sie m?ssten billiger werden, weil man sonst wieder verlagern w?rde, nach China und so weiter.

Es wird immer wieder, auch von Seiten der Gewerkschaften, die Forderung nach Vollbesch?ftigung laut. Gleichzeitig ist es so dass durch die enorm gesteigerte Produktivit?t jetzt ein Mensch zum Teil so viel erwirtschaftet wie vor einigen Jahren 3 oder 4 Menschen, so dass es gar nicht mehr n?tig w?re, dass alle Menschen so lange arbeiten. Gleichzeitig gibt es Forderungen, dass diejenigen, die schon Arbeit haben, l?nger arbeiten sollten, und es gibt ebenso Forderungen, die Arbeit umzuverteilen. Gibt es zu diesen Themen Diskussionen unter den KollegInnen oder was kannst du dazu sagen?

Ich w?rde dem noch eine weitere Forderung hinzuf?gen: ich behaupte n?mlich schlichtweg, da? ein Gesellschaftssystem, das nur auf Wachstum aufgebaut ist letztendlich nicht funktionieren kann, weil man einfach nicht st?ndig wachsen kann. Der Wachstum hat irgendwo seine Grenzen und wenn diese Grenzen erreicht sind, dann sieht man was das f?r Auswirkungen hat ? die Auswirkungen sind die Arbeitslosen. Und da denke ich, dass man anfangen m?ssten, dar?ber nachzudenken und zu diskutieren, ob ein Gesellschaftssystem was als wesentlichen Punkt das st?ndige Wachstum erfordert ? ?berhaupt funktionieren kann, oder ob man nicht anfangen m?sste, ?ber andere Formen zu diskutieren.
Zur Frage, mehr zu arbeiten ? also da rede ich gar nicht dr?ber. Das ist f?r mich einfach schizophren, wenn es 5 Millionen Arbeitslose. Also das h?tte ich meiner Tochter als 8-J?hrige als Rechenaufgabe geben k?nnen. Wenn ich 5 Millionen Arbeitslose hab ? wobei es sind ja gar nicht 5 Millionen, es sind viele mehr denn alle ?ber 55 fallen aus der Statistik raus, also in Wahrheit reden wir da nicht ?ber 5 Millionen sondern ?ber 5 Millionen plus X, also noch mal 1, 2 oder 3 Millionen dazu. Also das ist eine ganz einfach Rechenaufgabe ? wenn ich schon so viele Arbeitslose habe, und dann noch mal die Arbeitszeit verl?ngere, dann habe ich hinterher noch mehr Arbeitslose. So bl?d kann ja eigentlich keiner sein, und ich glaube auch nicht, dass sie bl?d sind, ich glaube, das was passiert ist was anderes: sie spielen mit der Angst der Menschen. Denn der einzelne versteht das sehr wohl, dass es keine zus?tzlichen Arbeitspl?tze bringt wenn er l?nger arbeitet, aber er kriegt dann gesagt ?wenn du nicht l?nger arbeitest, dann sind wir nicht mehr konkurrenzf?hig, und wenn wir nicht konkurrenzf?hig sind, dann wirst du arbeitslos?. Das ist der Punkt dabei. Aber zu dieser Konkurrenzgeschichte m?chte ich sagen ? mir ist irgend ein Besch?ftigter bei Siemens genauso recht wie irgend ein Chinese ? das ist letztendlich eine Frage, wie man den Reichtum verteilt. Den reich genug sind wir ja. Damit meine ich jetzt nicht wir, die hier sitzen, sondern eben die Verteilungsfrage, das ist ein Verteilungskampf, nicht mehr und nicht weniger.

Du hast vorhin gesagt, dass viele der Besch?ftigten bei Alstom sehr qualifiziert sind. Wie sieht es denn aus bei den Betriebsversammlungen, die jetzt schon seit mehreren Tagen andauern? Wieviele nehmen teil, wie ist das zahlenm??ige Verh?ltnis zwischen Arbeitern, Angestellten, usw.?

Die Betriebsversammlung geht seit 3 Tagen. Die Struktur der Belegschaft ist ca. 1/3 Arbeiter und 2/3 Angestellte. Die Arbeiter sind zu 95% Facharbeiter, bestqualifizierte Facharbeiter. Im Angestelltenbereich sind es, so w?rde ich sch?tzen, 70% Ingenieure, also Akademiker.
Die Beteiligung an den Betriebsversammlungen sieht so aus, das von 2000 Besch?ftigte 1500 in den letzten 3 Tagen teilgenommen haben, wobei man von den 2000 schon einige abziehen muss, wegen Krankheit, Urlaub, Montage, Inbetriebnahme… Also es nehmen wirklich sehr viele daran teil.

Diese sehr hohe Beteiligung fast der gesamten Belegschaft ist bestimmt auch auf die Entwicklung der K?mpfe zur?ckzuf?hren, weil K?mpfe in den letzten Jahren immer wieder konsequent gef?hrt wurden und zum Teil auch Erfolg hatten.

Das ist mit eine Ursache, aber ich denke, dass die Belegschaft merkt, dass es dieses Mal letztendlich um alles oder nichts geht.

Interview: Se?n McGinley und Kathrin Yankovic

Bilder vom Block der Alstom-KollegInnen am 1. Mai 2005 in Mannheim