Mehr als eine Demonstration für Gleichstellung

Zur Tradition und Geschichte des internationalen Frauentages
 
Die Geschichte des internationalen Frauentages ist vor allem ein Spiegel der sozialen Kämpfe der vergangenen Jahrzehnte. Ihr Auf und Ab ist untrennbar verbunden mit dem Schicksal der internationalen ArbeiterInnenbewegung.
Die Geschichte der Frauenbewegung beginnt schon in der Französischen Revolution. In der entstehenden bürgerlichen Gesellschaft forderten Frauen verschiedener Klassen und Gesellschaftsschichten gemeinsam, durch Einführung von Wahlrecht, Bildungszugang, Recht auf Scheidung und andere Gleichstellungen ihre Benachteiligung zu beenden.
Im Zuge der Entwicklung des Kapitalismus gewann gleichzeitig die ArbeiterInnen- und Gewerkschaftsbewegung an Bedeutung. Bald stellte sich heraus, dass die Frauen aus dem Bürgertum gerne bereit waren, mit ihren Schwestern aus der Arbeiterklasse für die rechtliche Gleichstellung von Frauen und Männern zu kämpfen – nicht jedoch für eine Abschaffung der Privilegien der Kapitalisten zugunsten der verelendeten Arbeitermassen. Dies lehnten sie aus wohlverstandenem Eigennutz, das heißt aus ihrem Klasseninteresse rundheraus ab. Es kam zur Spaltung in bürgerliche und proletarische Frauenbewegung.

Ursprung des Frauentages

Die Idee für einen kämpferischen „Frauentag“ der Arbeiterinnen stammt aus den USA. Verschiedene Ereignisse, die am 8. März stattfanden, verliehen diesem Tag für die dortigen ArbeiterInnen eine besondere Bedeutung.
So fand zum Beispiel die erste Demonstration der New Yorker Textilarbeiterinnen für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen am 8. März 1857 statt. Obwohl die Polizei die protestierenden Frauen brutal angriff und viele verhaftete, legte dieser Protestzug den Grundstein für die Gründung der Textilarbeiterinnengewerkschaft 1860.
Fünfzig Jahre später, am 8. März 1908, verursachte die Geschäftsleitung der New Yorker Textilfabrik „Cotton“ den Tod von 129 streikenden Arbeiterinnen. Um zu verhindern, dass sich AnwohnerInnen und andere AktivistInnen mit den Kolleginnen solidarisierten, wurden sie auf Weisung des Arbeitgebers in der Fabrik eingeschlossen. Kurz darauf brach „aus ungeklärter Ursache“ ein Feuer aus. Nur wenige Gefangene konnten sich retten.
1909 traten – wieder in New York – 20.000 Textilarbeiterinnen in den Streik. Nach zwei Monaten harter Auseinandersetzung und Tausenden Verhaftungen konnten sie ihre Forderungen durchsetzen. Am letzten Februar-Sonntag des selben Jahres veranstalteten US-amerikanische SozialistInnen zum ersten Mal einen landesweiten Frauen-Aktionstag für Wahlrecht und Sozialismus.

Der erste internationale Frauentag

Diese Idee wurde von den bekannten deutschen Sozialistinnen Clara Zetkin und Käte Duncker aufgegriffen. Auf ihre Initiative hin fanden am 19. März 1911 in Deutschland, Österreich, der Schweiz und den USA erste Aktionen statt. Millionen Frauen beteiligten sich und forderten vor allem die Einführung des Frauenwahlrechts.
Schon 1915 riss die Krise der internationalen Arbeiterbewegung den Frauentag in sein erstes Tief. Angesichts des Ersten Weltkrieges blieben nur wenige aufrechte InternationalistInnen ihren Überzeugungen treu und wandten sich gegen Krieg und Imperialismus. Die Führungen der meisten linken Parteien und Gewerkschaften dagegen unterstützten voll Hurra-Patriotismus ihre jeweilige herrschende Klasse und verrieten den Internationalismus. Unter diesen Umständen war an einen „internationalen Frauentag“ nicht zu denken.

Frauenbewegung in Russland: Auslöser der Revolution

Die Erfahrungen mit dem Gemetzel auf den Schlachtfeldern und Hunger und Not in den Arbeiterquartieren führten international zu Streiks und Protesten.
Anfang 1917 streikten erneut Textilarbeiterinnen. Diesmal in Sankt Petersburg in Russland. Am 8. März – der nach dem alten russischen Kalender der 23. Februar war – organisierten sie eine machtvolle Demonstration zum internationalen Frauentag – und lösten damit die Februar-Revolution aus, die letztlich mit der Oktoberrevolution zum Sturz des Kapitalismus in Russland führte. Ihnen zur Ehre beschloss die Kommunistische Internationale später, den Frauentag einheitlich auf den 8. März festzulegen.

Frauenwahlrecht in Deutschland

1918 erreichte die Revolution Deutschland. Die Arbeiterbewegung stürzte den Kaiser und erzwang unter anderem das Frauenwahlrecht und den Acht-Stunden-Tag. Der Erste Weltkrieg war zu Ende. Die Einführung des Sozialismus scheiterte jedoch am Verrat der Sozialdemokratie. Die endgültige Niederlage hatte zur Folge, dass die Aktivitäten der Arbeiterbewegung in Deutschland abnahmen. Dies betraf auch den Frauentag, der zwischen 1921 und 1923 trotz Repressionen und Verboten wieder gefeiert worden war.

„Gegen Krieg und Naziterror“

Mit Beginn der dreißiger Jahre wurde der Frauentag angesichts der faschistischen Bedrohung wieder radikaler und politischer. 1930 demonstrierte die deutsche Arbeiterbewegung unter dem Motto: „Gegen Sozialreaktion! Gegen Faschismus! Für Arbeitsschutz! Für Völkerverständigung! Für die Solidarität des internationalen Proletariats!“ Der letzte offizielle Frauentag vor Beginn der faschistischen Machtergreifung trug 1931 das Motto: „Gegen Krieg und Naziterror! Für Sozialismus und Frieden“ und wurde mit 1.500 Veranstaltungen in ganz Deutschland begangen.
1933 kamen die Nazis an die Macht. Die Leipziger Frauen protestierten gegen das Verbot des Frauentages und die Verfolgung der Arbeiterbewegung, indem sie am 8. März Federbetten mit rotem Bezug in die Fenster legten. Bis 1945 fanden die Feiern zum internationalen Frauentag auf deutschem Boden nur noch im Frauen-KZ Ravensbrück statt.

„Durch Sozialismus zum Frieden“

Nach der Niederlage des Faschismus 1945 erlebte die deutsche Arbeiterbewegung einen kurzen Aufschwung. In den westlichen Besatzungszonen rief die SPD unter der Losung „Durch Sozialismus zum Frieden“ zum internationalen Frauentag. Im Herbst fand ein Generalstreik gegen Lohnstopp und für Preiskontrollen statt. Viele forderten die Vergesellschaftung der in die Naziherrschaft verstrickten Großindustrie. Aber die Bürgerlichen gewannen schnell die Oberhand. 1950 war das Frauentagsmotto im Westen nicht mehr Sozialismus, sondern nur noch „Durch soziale Gerechtigkeit zum Weltfrieden!“. 1958 hieß es „Ehrfurcht vor dem Leben!“, und 1961 schließlich „Wir sind eine Familie!“. Ab 1964 verzichtete die SPD folgerichtig gänzlich auf die Durchführung des Frauentages.

„Gewalt gegen Frauen hat viele Gesichter“

Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre begann die „neue Frauenbewegung“.
Ausgelöst durch die Studentenbewegung begannen junge Frauen, sich mit ihrer gesellschaftlichen Rolle auseinander zu setzen. Gleichzeitig kam es in Westdeutschland wieder vermehrt zu Arbeitskämpfen und Streiks. Wieder führte der Aufschwung der Arbeiterbewegung zu einer Wiederbelebung des internationalen Frauentages.
Ab 1974 versuchten KollegInnen nach langer Pause erneut, den 8. März in Deutschland zu feiern. Der Neubeginn war nicht frei von Konflikten.
1980 weigerten sich die Spitzenvertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes den Internationalen Frauentag anzuerkennen, weil es sich um einen „sozialistischen Kampftag“ handeln würde. Sie verboten den Arbeiterinnen die Teilnahme an den Veranstaltungen zum 8. März. Die Kolleginnen ließen sich jedoch nicht einschüchtern.
Schon 1981 zwangen die Proteste der GewerkschafterInnen die Gewerkschaftsführung zu einem ersten Einlenken. In Einzelfällen wurden gewerkschaftliche Veranstaltungen erlaubt, allerdings mit der Einschränkung, dass keine Frauengruppen außerhalb des DGB teilnehmen durften. Ein Jahr später ließ sich auch diese Schikane nicht aufrecht erhalten. Der DGB unterstützte 1982 die zentrale Veranstaltung, an der auch Alice Schwarzer teilnahm. Sie stand unter dem Motto „Gewalt gegen Frauen hat viele Gesichter“.

Wiederaufbau der Frauenbewegung

In den achtziger Jahren stand auch der Frauentag vor allem im Zeichen der Friedensbewegung.
Heute befindet sich die Arbeiterbewegung nach der Verbürgerlichung der SPD und dem Rechtsruck der Gewerkschaftsspitzen in einer schwierigen Phase des Neuaufbaus. Dies spiegelt sich auch im Charakter des 8. März wider. Die Veranstaltungen sind – entgegen der Tradition des Tages – von bürgerlich-feministischen Forderungen geprägt, wie zum Beispiel nach mehr Frauen in Chefetagen. In manchen Orten finden Veranstaltungen mit Schminktipps und ähnlichem statt.
Angesichts von Hartz IV, Massenarbeitslosigkeit und Kriegsgefahr können wir uns so etwas nicht mehr leisten. Um es mit den Worten von Clara Zetkin (im Januar 1914 in der Zeitschrift Gleichheit) zu sagen: „Wir müssen Sorge tragen, dass der Frauentag nicht nur eine glänzende Demonstration für die politische Gleichstellung des weiblichen Geschlechts, sondern darüber hinaus der Ausdruck einer Rebellion gegen den Kapitalismus, eine leidenschaftliche Kampfansage all den reaktionären Maßnahmen der Besitzenden und ihrer willfährigen Dienerschaft, der Regierung ist.“

von Ianka Pigors, Hamburg