Bürgerversicherung für sinkende Lohnnebenkosten

Warum die Bürgerversicherung nicht das Gesundheitssystem rettet sondern die Profite
 
Müntefering will sie möglichst schnell, die Grünen setzen auf sie und selbst die DGB-Spitze lobt sie in höchsten Tönen, die Bürgerversicherung. Sie ist entgegen ihrem Ruf aber weder sozial gerecht noch solidarisch. Sie soll dazu dienen, die Arbeitgeber zu entlasten und innerhalb der Beschäftigten und der kleinen Selbständigen etwas umzuverteilen.
Die sozialen Sicherungssysteme sollen „umgebaut“ werden. Speziell im Gesundheitssystem ist bisher schon deutlich, was das bedeutet: 10 Euro Eintritt beim Arzt, höhere Zuzahlungen bei Medikamenten und Krankenhäusern, verminderte Leistungen. Weitere Einschnitte beim Zahnersatz (von den Beschäftigten ab 2005 alleine zu versichern) und bei der Finanzierung des Krankengeldes (ab 2007) stehen an.
Doch diese Angriffe reichen angeblich immer noch nicht wegen der „Kostenexplosion“ im Gesundheitswesen. Das ist eine Lüge. Der Anteil der Kosten der Gesetzlichen Krankenversicherungen am Bruttoinlandsprodukt liegt seit den 80ern nahezu konstant bei sechs Prozent.
Trotzdem sind die Kassen leer. Denn die Einnahmen sind durch Arbeitsplatzabbau, Ausweitung der Niedriglöhne und sinkende Reallöhne implodiert.
Für die steigenden Beitragssätze wollen aber diejenigen nicht bezahlen, die für Arbeitsplatzvernichtung und Lohndumping verantwortlich sind, die Unternehmer. Ihre Strategie: Die Debatte um die „viel zu hohen“ Lohnnebenkosten soll darin münden, ihre Profite zu sanieren und die Kosten der sozialen Systeme noch weiter den abhängig Beschäftigten aufzuhalsen. Die paritätische, das heißt hälftige, Finanzierung der Sozialsysteme ist längst ausgehölt. PatientInnen zahlen zwei Drittel der Gesundheitsleistungen heute schon aus eigener Tasche. Der entscheidende Hebel, hier noch weiter zu kommen, heißt „Bürgerversicherung“.

Modell Bürgerversicherung

Indem alle versichert werden sollen, auch zum Beispiel BeamtInnen und Selbstständige, soll mehr Geld in die Kassen kommen. Alle Einkommen, zum Beispiel auch Mieteinkünfte, Aktiengewinne und so weiter sollen berücksichtigt werden. Dabei soll – nach dem Bürgerversicherungs-Modell des Abschlussberichts der Rürup-Kommission – die Beitragsbemessungsgrenze von 3.450 auf 5.100 Euro erhöht werden. Das heißt, bis 5.100 Euro steigen die Krankenversicherungsbeiträge an; die besser gestellten unter den Beschäftigten trifft es, die Reichen und Superreichen werden minimalst getroffen.
Und entgegen mancher Forderungen, hier die Reichen zahlen zu lassen, wird dieser Punkt vehement verteidigt. Zur Debatte in der SPD schreibt Spiegel online (8. Mai 04): „Die Beitragsbemessungsgrenze soll indes – darüber ist sich die Parteispitze einig – entgegen Forderungen einzelner SPD-Linker keinesfalls aufgehoben werden.“ Karl Lauterbach, „Gesundheitsexperte“ und Berater der Regierung, zu den Folgen der Bürgerversicherung: „Belastet würden durch die Bürgerversicherung Rentner und gutverdienende Singles, insbesondere dann, wenn sie über mehr als nur Lohneinkünfte verfügten.“ Die Aufspaltung in Pflicht- und Zusatzleistungen der Krankenversicherung wird parallel dazu vorangetrieben. So verteidigt Lauterbach die Bürgerversicherung gegen den Einwand, die privaten Krankenversicherer kämen zu kurz: „Außerdem gehörte ihnen [den privaten Krankenversicherern] der Markt der privaten Zusatzversicherung von Leistungen,die nicht medizinisch notwendig sind und in den Bereich der Luxusversorgung oder individuellen Lebensgestaltung fallen.“ Luxus oder individuelle Lebensgestaltung sind nach dieser Definition ab 2005 zum Beispiel die dritten Zähne. Gleichzeitig liegt der Sinn der Mehreinnahmen darin, die Gesundheitskosten von den Einkommen der Beschäftigten abzukoppeln, das heißt, die Lohnnebenkosten für die Unternehmen zu senken. Alle zusätzlichen Einnahmen kämen also direkt den Unternehmern, den Banken und Konzernen zugute.

Keule Kopfpauschale

Das ebenfalls im Abschlussbericht der Rürup-Kommission vorgestellte Modell der Kopfpauschalen ist nur noch die radikalisierte Form dieser Variante und wird zum Beispiel von der CDU und Rürup selbst unterstützt: Während beim beschriebenen Modell der Bürgerversicherung die Versicherungsbeiträge noch nach dem Einkommen gestaffelt werden, muss beim Kopfpauschalen Modell jeder das gleiche bezahlen, der Fabrikant soviel wie eine Sekretärin. Da das so offensichtlich unsozial ist, wird noch von einem Ausgleich gefaselt – der aber nie genauer benannt wurde.
Das Kopfpauschalen-Modell hat zwei Funktionen: Es beschreibt zum einen, wohin die Reise gehen könnte. Und es soll zum anderen dazu dienen, die Bürgerversicherung als kleineres Übel schmackhaft zu machen.
Kopfpauschalen und Bürgerversicherung dienen nur dem weitergehenden Ausstieg der Arbeitgeber aus der paritätischen Finanzierung und damit der Umverteilung zu Gunsten der Banken und Konzerne

von Stephan Kimmerle, Berlin

Für eine Verbesserung im Gesundheitswesen

Die SAV setzt sich ein für einen kostenlosen Zugang für alle zu allen Gesundheitsleistungen ein. Was wir brauchen ist kein „Gesundheitsmarkt“ mit Gesundheitsleistungen als Waren, sondern ein umfassendes System der optimalen Gesundheitsversorgung als Bestandteil der sozialen Sicherung für Jede und Jeden.
Zur sofortigen Verbesserung der Lage ist die Verteidigung und Rückkehr der paritätischen Finanzierung der erste Schritt. Die Krankenkassenbeiträge können so einseitig für die Unternehmer und nicht für die Versicherten erhöht werden. Die sofortige Abschaffung der Pflichtversichertengrenze und damit auch der Privatversicherungen würde helfen, auch die Reichen zahlen zu lassen.
Einsparungen sind auf Kosten der horrenden Gewinne der Pharmaindustrie und der Gehälter der Manager in Krankenhäusern und Krankenkassen möglich. Würden zudem alle Krankenkassen zu einer öffentlichen Krankenkasse für alle Beschäftigten zusammengefasst werden, könnte der unsinnige Kassenwettbewerb beendet und ein Großteil von Kosten eingespart werden.
Die SAV tritt für ein öffentliches, kostenloses und an den medizinischen Erfordernissen orientiertes Gesundheitssystem ein – finanziert durch die Profite der Banken und Konzerne.