Wenn die AfD effektiv verboten und ihre Strukturen zerschlagen würden, wäre das ein Sieg für die arbeitenden Menschen und die Jugend. Die eigentliche Frage ist jedoch: Ist es möglich, mit der Forderung nach einem AfD-Verbot Druck auf den Staat und die etablierten Parteien auszuüben? Soll Die Linke diese Forderung prominent vertreten oder kann das sogar schädlich sein?
Von Linda Fischer, Hamburg
Aktivist*innen innerhalb und außerhalb der Linken appellieren an das sogenannte „demokratische” Lager bis hin zu CDU/CSU. „Keine Demokratin und kein Demokrat im Bundestag kann es akzeptieren, dass eine gesichert rechtsextremistische Partei unsere Demokratie von innen bekämpft und zerstört.”, so Heidi Reichinnek im Mai diesen Jahres. Nico Semsrott (Kabarettist und ehemaliger Europaparlamentsabgeordneter) will protestieren, bis der Bundestag oder der Bundesrat die Prüfung eines Verbots der AfD beim zuständigen Bundesverfassungsgericht beantragt.
Die Idee, es gäbe eine Brandmauer zwischen den „demokratischen” Parteien, die für „unsere” Freiheit und Demokratie stehen auf der einen Seite und der AfD, die diese abschaffen will, auf der anderen, unterschätzt, dass die Unterschiede zwischen der Politik der bürgerlichen Parteien und der rechten Propaganda der AfD immer weiter verwischen.
Alle gemeinsam gegen die AfD?
Es ist nicht nur die AfD, die unsere Freiheit und demokratischen Rechte wie Meinungsfreiheit, Gleichberechtigung, Versammlungsfreiheit, Streikrecht, gewerkschaftliche Rechte und erkämpfte soziale Absicherungen angreifen will.
Grüne, SPD, FDP und CDU/CSU stehen für eine Politik der Abschottung, Spaltung, des Sozialabbaus, der Militarisierung und Entlastung der Superreichen. Die aktuelle Regierung zeigt eindrücklich, wessen Freiheiten sie verteidigt und wessen nicht: Während die breite Masse der Bevölkerung länger arbeiten soll, für Rente, Gesundheit und Pflege in Zukunft noch mehr zahlen soll, und über die Wehrpflicht junge Menschen gezwungen werden sollen, für die geostrategischen Interessen dieses Staates zu sterben, werden die Superreichen und Konzernchefs entlastet und machen Rüstungsfirmen Rekordprofite.
Auch Politiker*innen von SPD und Grünen und in Einzelfällen der Union sind zu Opfern von rechtsextremen Angriffen geworden. Die Mitglieder von SPD und Grünen sehen den Aufstieg der AfD mit Schrecken. Auch ihre demokratischen Rechte werden beschränkt, wenn die AfD an die Regierung ist. Das ändert allerdings nichts daran, dass ihre Parteien eine Politik machen, welche der AfD den Boden bereitet und nicht in der Lage sind, eine Strategie gegen rechts zu entwickeln.
Das Kapital braucht die AfD
Dieser Staat ist nicht neutral, sondern dazu da, die kapitalistische Ordnung aufrechtzuerhalten. In Zeiten systemischer Krisen waren Staaten immer wieder bereit, ultrarechte Kräfte zu integrieren, um die Herrschaft des Kapitals zu sichern, selbst wenn dies mit gewissen Zugeständnissen und Risiken einherging. Heute ist die Normalisierung von AfD-Parolen kein unglücklicher Ausrutscher von Merz & Co, sondern politisches Kalkül. Angesichts der Zuspitzung des imperialistischen Konkurrenzkampfes gehen alle bürgerlichen Parteien nach rechts. Verstärkter Nationalismus, Rassismus, Militarismus und staatliche Repression sind aus ihrer Sicht notwendig, um die Gesellschaft auf die neue Era einzuschwören und sie „kriegstüchtig” zu machen.
Trotz ihrer Unberechenbarkeit dient die AfD als Rammbock des Rechtsrucks. Sie ist eine Regierungsoption für die herrschende Klasse als potenzieller Bündnispartner der Union. Die Entwicklung der AfD wird beobachtet und abgewogen. Dabei stören sich die Herrschenden wenig am Rassismus, Nationalismus oder Angriffen auf demokratische Rechte von Migrant*innen, Frauen oder queeren Personen, die sich letztlich im Rahmen einer „normalen” kapitalistischen Teile-und-Herrsche-Politik bewegen.
Wichtiger ist ihnen die Frage, ob die AfD auf der vermeintlich richtigen Seite der imperialistischen Blockbildung steht. Die Studie der CDU-nahen Konrad-Adenauer Stiftung zu Strategien von Europäischen Volksparteien im Umgang mit Parteien des rechtsextremen Spektrums kommt zum Schluss, dass ausschlaggebend für politische Partnerschaften die Haltung zur EU, zur Ukraine/Russland und zum Rechtsstaat seien, Kriterien, die die AfD aktuell nicht erfülle. Gleichzeitig beobachtet die FAZ eine Kräfteverschiebung in der Partei, insbesondere der Fraktion, hin zu den USA. Sollte sich diese Entwicklung fortsetzen, wären die Hindernisse für eine Zusammenarbeit aus Sicht der Herrschenden weit weniger groß.
Eine Verbotsforderung ist daher aktuell illusorisch. Auch vor dem Hintergrund der eigenen Geschichte sollten wir als Linke davor warnen, wozu bürgerliche Parteien und Staaten in der Lage sind, und betonen, dass wir Rassismus und Faschismus nicht mit denjenigen erfolgreich bekämpfen werden können, deren Politik für deren Aufstieg verantwortlich ist.
Sie sagen rechts, sie meinen links
Die Aufrüstung nach außen geht mit einer Aufrüstung nach innen einher. Wir erleben eine repressive Welle, die vor allem Linke trifft: Wöchentliche Polizeigewalt gegen Palästina-Demos in Berlin, harte Urteile gegen Antifaschist*innen (z.B. Lina E.), extrem gewalttätiges Vorgehen gegen antimilitaristische Demos (Rheinmetall entwaffnen).
Repressive Gesetze wie der §129a („terroristische Vereinigung”) und 129b („kriminelle Vereinigung”) werden fast aussschließlich gegen Linke und kurdische Gruppen eingesetzt .
Der „Radikalenerlass” (ab 1972), diente vor allem dazu, gegen Mitglieder der DKP (Deutsche Kommunistische Partei) Berufsverbote im öffentlichen Dienst zu verhängen. Heute wollen mehrere Bundesländer – darunter die SPD-Grüne-Regierung in Hamburg – ähnliche Regelungen wieder einführen. In den Medien ist dabei oft von „AfD-Beamten” die Rede, die aus dem Dienst entfernt werden sollen. Doch es geht um alle sogenannten „Extremist*innen”. Wer das ist, definiert der Verfassungsschutz (VS) – eine Behörde, deren Geschichte durchsetzt ist von Skandalen und Verstrickungen mit Nazis und rechten Netzwerken, die sehr viele linke Gruppen und kurdische Vereine und nur wenige Rechte für „extremistisch” hält.
Das einzig erfolgreiche Verbotsverfahren gegen eine ultrarechte Partei in Deutschland – die Sozialistische Reichspartei (SRP, Nachfolgeorganisation der NSDAP) im Jahr 1952 – bereitete gleichzeitig den Weg für das Verbot der KPD 1956.
Jede Zunahme repressiver Möglichkeiten des Staates wird in erster Linie gegen links gewendet. Gerade in Zeiten von Militarismus sollten bei allen Linken die Alarmglocken läuten, wenn es um den Ausbau staatlich-repressiver Befugnisse geht.
Verbotsverfahren birgt Gefahren
Ein Verbotsverfahren könnte der AfD zudem helfen. Erstens werden die AfD-Wähler*innen in ihrer Opferrolle bestätigt, ihre Meinung werde unterdrückt. Die Partei könnte ihr Anti-Establishment-Image noch besser inszenieren. Ein Verbotsverfahren würde mehrere Jahre dauern, genug Zeit für die AfD, gegen die „Systemparteien” zu wettern, die versuchen, die Konkurrenz mundtot zu machen. Illusionen in ein Verbotsverfahren und eine Fokussierung der antifaschistischen Bewegung, der Partei Die Linke und der Gewerkschaften kann zu einem Eigentor werden, wenn andere Strategien gegen rechts vernachlässigt werden.
Ein erfolgreiches AfD-Verbot würde auch nicht dazu führen, dass die anderen Parteien ihre rassistische Abschottungspolitik, ihre Spaltungspolitik, die Aufrüstung, Sozialabbau und Geschenke an Reiche beenden würden. Damit gedeiht der Nährboden, auf dem eine Nachfolgepartei aufbauen wird, für deren Vorbereitung in einem langen Verfahren viel Zeit zur Verfügung steht.
Dazu kommt: Die Hürden für ein Verbot sind relativ hoch, wenn es scheitert, kann die AfD ebenfalls gestärkt daraus hervorgehen.
Wie können wir die AfD wirklich bekämpfen?
Es gibt keine Abkürzungen: Wir brauchen eine Gegenbewegung, die politische, letztendlich sozialistische Alternativen zur herrschenden Politik aufzeigt, die sich gegen jede Form von Unterdrückung und Ausbeutung wendet, die Klassenkämpfe fördert und verbindet und der AfD den Nährboden entzieht, die für internationalistische Klassensolidarität als Antwort auf Krieg, Militarismus und Nationalismus eintritt.
Die Linke bietet viele wichtige Ansätze für eine solche Alternative. Dafür ist eine klare Abgrenzung zu den etablierten Parteien nötig, deren Politik den Aufstieg der AfD ermöglicht hat. Eine Politik des sogenannten „kleineren Übels” wie in den Regierungen in Bremen oder Mecklenburg-Vorpommern schadet dem Kampf gegen die AfD.
Nötig sind kämpferische Gewerkschaften, die in die Offensive gehen, die Zusammenhänge zwischen Rassismus, Spaltungspolitik, Ausbeutung und Kapitalismus erklären statt zu kapitulieren. Faschistische und rechte Kräfte – die sich gerade in den Industriebetrieben breit machen wollen – werden nur mit einer kämpferischen Strategie zurückgedrängt werden können: Für den Erhalt aller Arbeitsplätze, Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, für deutliche Lohnsteigerungen und einen Umbau der Industrieproduktion auf gesellschaftlich benötigte Produkte usw.
Repression sollten wir da einsetzen, wo die Arbeiter*innenbewegung die Mittel dazu hat. Das kann bedeuten, Druck auf Kommunen auszuüben, der AfD keine städtischen Räume zu geben, AfD-Kundgebungen politisch zu stören, zu behindern und wenn möglich zu blockieren. In besonders bedrohten Orten und Stadtteilen kann es nötig sein, Selbstverteidigungs-Komitees aufzubauen oder den lokalen CSD offensiv zu schützen usw.
Klassengesellschaften – heute Kapitalismus – beruhen auf der Ausbeutung einer Mehrheit durch eine Minderheit und benötigen deswegen Unterdrückung und Spaltung. Um die Grundlage für eine Gesellschaft ohne Rassismus, Sexismus und Ausbeutung zu schaffen, müssen die Kämpfe für soziale Verbesserungen, gegen Rassismus und Faschismus mit dem Kampf für einen radikalen Bruch mit diesem Profitsystem und den Aufbau einer weltweiten, sozialistischen Demokratie verbunden werden.

