Vier-Tage-Woche: Ein guter Anfang

Seit Beginn des Jahres nimmt die Diskussion um eine Vier-Tage-Woche an Fahrt auf. Mehrere Pilotprojekte zeigen Vorteile und Möglichkeiten auf, Kritiker*innen reden den Untergang der deutschen Wettbewerbsfähigkeit herbei.

Von Christian Kubitza, Köln

Spätestens seit Veröffentlichung der Studie der University of Cambridge und dem Boston College im Februar 2023 ist die Diskussion um einen Tag weniger Arbeit pro Woche bei vollem Lohnausgleich wieder in vollem Gange. Das sechsmonatige Projekt umfasste 61 Unternehmen im Vereinigten Königreich mit insgesamt 2900 Angestellten und zeigt im Ergebnis weniger Stress bei gleicher Produktivität. In den Unternehmen gab es 65% weniger Krankheitstage, die Zahl der Kündigungen sank verglichen mit dem Vorjahr auf weniger als die Hälfte. Der Umsatz der Unternehmen hatte sich hingegen während des Testzeitraums kaum verändert, im Durchschnitt stieg er sogar um 1,4%. Die Zufriedenheit der Angestellten war merklich höher, das Burn-Out-Level sank um über 70%. Schlafprobleme und Müdigkeit nahmen ab, sowohl der geistige als auch der körperliche Gesundheitszustand verbesserte sich. 56 der 61 teilnehmenden Unternehmen wollen aufgrund dieser Erfahrungen zumindest die Testphase freiwillig verlängern, für 18 von ihnen steht bereits fest, dass sie die reduzierte Arbeitszeit beibehalten werden.

Eine Befragung durch die Hans-Böckler-Stiftung Ende letzten Jahres ergab, dass sich 80% der Beschäftigten in Vollzeit eine 4-Tage-Woche wünschen, fast alle jedoch nur bei vollem Lohnausgleich. Sie wollen mehr Zeit für außerberufliche Aktivitäten und eine Verringerung der Arbeitsbelastung. Von denen, die sich keine Arbeitszeitreduzierung vorstellen können, gaben die meisten an, dass sich die Arbeitsabläufe nicht ändern würden und die Arbeit in geringerer Zeit nicht zu schaffen sei. 

Internationale Erfahrungen

Es war nicht die erste Studie dieser Art. Island startete 2015 einen Feldversuch mit 2500 Beschäftigten, zwei Jahre später mit über 400 weiteren. Das macht immerhin 1,5% der in dem Inselstaat arbeitenden Bevölkerung aus. Die wöchentliche Arbeitszeit wurde von 40 auf 35-36 Stunden gesenkt. Die Studienergebnisse fielen derart positiv aus, dass die isländischen Gewerkschaften seither eine Arbeitszeitreduzierung oder das Recht dazu für etwa 86% aller Beschäftigten erreichen konnten. Aktuell läuft ein entsprechender Versuch bei der Universitätsklinik Bielefeld. Dort werden gezielt Pflegekräfte für die Vier-Tage-Woche angeworben. Die IG-Metall wird bei den Tarifverhandlungen im November die Einführung der verkürzten Woche fordern.

Was haben die Konzerne dagegen? 

Die Zahlen zu gestiegener Produktivität sind ohne Zweifel richtig. Pro Stunde sind Beschäftigte bei kürzerer Teilzeit produktiver als bei längeren Arbeitszeiten. Das weiß man auch von Teilzeitbeschäftigten. Dazu kommen der geringere Krankenstand und die höhere Zufriedenheit. In einigen Unternehmen mag das dazu führen, dass bei gleichen Ausgaben gleiche Umsätze (oder sogar höhere) und Gewinne dabei erzielt werden. Allerdings: Bei anderen nicht. Denn auch, wenn die Produktivität pro Stunde steigt, werden den Kapitalist*innen doch Stunden weggenommen und der Freizeit der Arbeitenden zugeführt, die sie – im Falle eines vollen Lohnausgleichs – trotzdem bezahlen müssen. Das heißt, sie zahlen die gleiche Lohnsumme für weniger Arbeitseinsatz und möglicherweise weniger Produkte. Zumindest besteht das Risiko, gerade, wenn die erste Welle der Motivation abgeklungen ist.

Prof. Dr. Michael Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft fasst die Sicht der Kapitalist*innen zusammen. Er hält die Idee der Vier-Tage-Woche zum Beispiel für eine der “langlebigsten und beliebtesten Utopien unserer Zeit.” “Gemeint ist weniger Arbeitszeit bei gleichem Lohn.” Er geht noch weiter und fordert, dass mehr gearbeitet werden soll. “Ein bis zwei Stunden mehr pro Woche wären keine nennenswerte Umstellung und würden das System zumindest ein wenig entlasten.” Die eingangs erwähnte britische Studie hält er keineswegs für repräsentativ, sie sei völlig falsch dargelegt worden. “Die überwiegende Mehrheit der 61 Unternehmen waren Dienstleister mit Bürotätigkeit, lediglich drei Industrieunternehmen waren dabei, entsprechend wenig aussagekräftig sind die Ergebnisse.

Es liegt generell im Interesse der Kapitalist*innen, die Arbeitszeit auszudehnen, um Möglichkeiten zur Ausbeutung zu schaffen. Wenn Arbeiter*innen mehr Souveränität gewinnen, eine bessere “work-life-balance”, dann besteht zudem die Gefahr, dass sie bei anderen Fragen mutiger werden, Arbeit nicht mehr so wichtig nehmen, nicht mehr so erpressbar sind. Der Kapitalist verliert bei kürzerer Arbeitszeit ein Stück weit die Kontrolle über die Beschäftigten.

Wir fordern eine 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich als ersten Schritt zur Verteilung der Arbeit auf alle. Wir begrüßen, dass das Thema verstärkt in den Fokus von Diskussionen geraten ist und halten die Forderungen für einen guten Anfang zu einer gerechteren Arbeit. Der Kampf um die Länge des Arbeitstages (und des Arbeitslebens) ist Klassenkampf:  Wir müssen davon ausgehen, dass wir kürzere Arbeitszeiten in größerem Rahmen nur im Kampf durchsetzen können.

Foto: Francesc Fort, CC BY-SA 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0, via Wikimedia Commons