Anpassung bis zum Untergang: 90. Jahrestag der Zerschlagung der deutschen Gewerkschaften

Die Nazis zielten darauf, die in Deutschland starke und gut organisierte Arbeiter*innenbewegung zu zerschlagen. Dabei hatten sie es gerade auf die Gewerkschaften abgesehen. Deren Mitglieder füllten massenhaft Gefängnisse und Konzentrationslager. Doch die Gewerkschaftsführung suchte selbst da noch einen Kompromiss mit Hitler. Schändlicher Höhepunkt dessen war der 1. Mai 1933. Nur einen Tag später gab es in Deutschland keine freien Gewerkschaften mehr.

Von Marcus Hesse, Aachen

Der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB) war der größte nationale Gewerkschaftsdachverband der Welt. Mit 1920 noch 8,3 Millionen Mitgliedern auf dem Höhepunkt seiner Macht, organisierte er 1932 – durch Wirtschaftskrise und die Massenarbeitslosigkeit stark geschwächt – immerhin noch 3,8 Millionen. Innerhalb des ADGB rangen kämpferische Kolleg*innen, darunter viele Kommunist*innen, mit staatstragenden Bürokrat*innen um die Ausrichtung. Ab 1929 organisierte die KPD mit ihrer „Revolutionären Gewerkschafts-Opposition“ (RGO) praktisch eine Konkurrenzorganisation, die aber aufgrund der Massenerwerbslosigkeit wenig Einfluss erlangen konnte und die Mehrheit der Beschäftigten den SPD-nahen Bürokrat*innen überließ.

Der 1. Mai war in der Weimarer Republik kein Feiertag. Die bürgerlichen Parteien verhinderten das und die SPD nahm das als Koalitionspartnerin hin. Arbeiter*innen mussten sich die Teilnahme hart erkämpfen, faktisch streiken und unbezahlt der Arbeit fernbleiben. 1924 und dann wieder 1928 wurden Demos am 1. Mai unter freiem Himmel im SPD-regierten Preußen untersagt. 1929 ging der sozialdemokratische Polizeipräsident von Berlin Karl Zörgiebel mit massiver Polizeigewalt gegen kommunistische Mai-Demos vor. Die Folge: 33 Tote, hunderte Verletzte. Die Ereignisse gingen als „Blutmai“ in die Erinnerung ein.

Die Nazis – nicht beliebt beim Proletariat

In den Betrieben konnte die Nationalsozialistische Betriebsorganisation (NSBO) nur schwach Fuß fassen. Noch bei den letzten halbwegs freien Betriebsratswahlen im März 1933 blieb der ADGB mit 73,4 % stärkste gewerkschaftliche Organisation. Die RGO der KPD erlangte trotz Nazi-Terror und Verhaftungen noch 4,9 % und die NSBO trotz ihrer Privilegien und riesiger Propagandaaufwendungen des Staates nur 11,7%. Die immer brutaleren Angriffe der Nazi-Schläger- und Mördertruppe SA auf Arbeiter*innen und Linke erforderten schnell die Gegenwehr der Arbeiter*innenorganisationen. Leider kam es nicht zur Bildung einer Einheitsfront von Gewerkschaften, KPD und SPD. Die stalinistisch orientierte KPD unter Thälmann bezeichnete die SPD als „sozialfaschistisch“. Die Führung von SPD und ADGB setzte ganz auf den bürgerlichen Staat und dessen Verteidigung. Als Hitler am 30. Januar 1933 Reichskanzler wurde, forderte die KPD und auch viele Gewerkschafter*innen einen Generalstreik. Doch die ADGB-Führung lehnte ab.

Der braune Terror bricht los

Die Bürgerlichen hatten den Faschisten die Macht legal übertragen. In Preußen wurde Hermann Göring Innenminister. Er machte SA-Leute zu Hilfspolizisten. Diese Methode wurde auch in anderen deutschen Ländern von Naziregierungen praktiziert. Zusätzlich diente den Nazis, die aus der Weimarer Demokratie übernommene und stets gehorsame reguläre Polizei.

Im Februar ging nach dem Reichstagsbrand der staatliche Terror gegen Kommunist*innen los. Verhaftungen, Razzien in Arbeiter*innenvierteln und Betrieben, „Schutzhaft“, Folterungen, Morde und Misshandlungen in erst „wilden“, dann „offiziellen“ KZs prägten das Bild. Auch aktive Gewerkschafter*innen und Sozialdemokrat*innen wurden jetzt für vogelfrei erklärt. Im Februar wurde der SPD-Politiker und Gewerkschafter Julius Leber verhaftet. Lübecker Arbeiter*innen traten in den Streik, um seine Freilassung zu erzwingen – erfolgreich. Nur wenige Wochen später war das schon undenkbar geworden.

Am 4. Februar schrieb die ADGB-Führung noch kämpferisch:

„Keine deutsche Regierung wird die deutsche Arbeiterschaft und ihre Organisationen überwältigen können, weil sie ihren Geist nicht unterdrücken kann. Es wird auch dieser Regierung nicht gelingen“.

Im März 1933 unternahmen SA und Polizei reichsweite Razzien in Gewerkschaftshäusern. Am 9. März stürmte die Münchner SA das dortige Gewerkschaftshaus. Nach den für sie blamablen Betriebsratswahlen im März, ließ das neue Regime alle weiteren Wahlen aussetzen. Die Betriebsräte wurden faktisch abgeschafft, die Unternehmer waren als „Betriebsführer“ wieder „Herr im Haus“.

Bürokratie auf Anbiederungskurs

Während die eigenen Mitglieder, kämpferische Betriebsräte und Funktionär*innen massenhaft in Gefängnissen und Konzentrationslagern landeten, hoffte die ADGB-Spitze darauf, dass sie ihre Verbände unter der neuen „Nationalen Revolution“ erhalten könnten und erklärten sich dazu bereit, sie „in den Dienst des neuen Staates zu stellen“. Der Aufruf für den 1. Mai erklärte im Nazi-Jargon:

„Der deutsche Arbeiter soll am 1. Mai standesbewußt demonstrieren und ein vollberechtigtes Mitglied der deutschen Volksgemeinschaft werden.“ (15. April 1933)

Im selben Aufruf wurden die angekündigten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen des Regimes begrüßt, die vor allem zur Kriegsvorbereitung dienten.

Am 28. April 1933 bildete sich ein „Führerkreis der Vereinigten Gewerkschaften“. Mitunterzeichner des Aufrufs waren Wilhelm Leuschner, Jakob Kaiser und Theodor Leipart. Um die Gewerkschaften als Organisation zu erhalten, sagten sie sich von Klassenkampf, Tarifautonomie, Mitbestimmung und Demokratie los. Die Integration der Gewerkschaften in den neuen „Nationalen Staat“ sollte bei der Maifeier am 1. Mai 1933 demonstriert werden, wo die Gewerkschaftsführung zusammen mit den Nazis unter der Hakenkreuzfahne marschierte. Auch die Gewerkschaftshäuser wurden schwarz-weiß-rot beflaggt.

Tag der Nationalen Arbeit“

Die Bürokratie hatte eindrucksvoll demonstriert, dass von ihr kein Widerstand zu erwarten ist und dazu gezeigt, wie weit sie in Ihrer Anpassung an die Macht zu gehen bereit ist. Da der 1. Mai jetzt ein staatlich ausgerufener Feiertag sein sollte, wurden Belegschaften zusammen mit ihren Bossen unter nationalistischen Losungen zu den Großkundgebungen gekarrt. Der „Tag der Nationalen Arbeit“, jedes internationalistischen und klassenkämpferischen Inhalts beraubt, sollten ab jetzt Arbeiter*innen, Unternehmerschaft und Staat gemeinsam begehen. Zugleich bereiteten die Nazis den finalen Schlag vor. Goebbels schrieb am 17. April in sein Tagebuch:

„Den 1. Mai werden wir zu einer grandiosen Demonstration deutschen Volkswillens gestalten. Am 2. Mai werden dann die Gewerkschaftshäuser besetzt. Gleichschaltung auch auf diesem Gebiet. Es wird vielleicht ein paar Tage Krach geben, aber dann gehören sie uns. Man darf hier keine Rücksicht kennen. Wir tun dem Arbeiter nur einen Dienst, wenn wir ihn von der parasitären Führung befreien, die ihm bisher das Leben sauer gemacht hat. Sind die Gewerkschaften in unserer Hand, dann werden sich auch die anderen Parteien und Organisationen nicht mehr lange halten können.“

Zerschlagung der Gewerkschaften

Am Morgen des 2. Mai besetzten Rollkommandos von SA, SS und NSBO alle deutschen Gewerkschaftshäuser, Druckereien, Verlage und Vereinshäuser. Das Inventar wurde verwüstet und Gewerkschafter*innen brutal misshandelt und in „Schutzhaft“ genommen. Das gesamte Vermögen der Gewerkschaften wurde vom NS-Staat konfisziert und der „Deutschen Arbeitsfront“ (DAF) übergeben, die bis zum Untergang 1945 die Zwangsorganisation aller Arbeit„nehmer“ und Arbeit„geber“ werden sollte. Mit dem von den Gewerkschaften geklauten Geld organisierte die DAF im Dritten Reich ihre „Wohltaten“ für die Massen – die gemeinsamen Eintopfessen von Arbeiter*innen und Angestellten mit Ihren Bossen, die KdF-Reisen usw. – das was die Nazis als „Sozialismus“ und „Volksgemeinschaft“ verkauften, aber nur dazu diente, die Klassengegensätze zu kaschieren. Mit der Zerschlagung der Gewerkschaften wurde die deutsche Arbeiter*innenklasse entrechtet, demoralisiert und wehrlos gemacht. Schließlich endete sie als Kanonenfutter im verbrecherischen Raub- und Vernichtungskrieg.

Bild: CC BY-SA 3.0 License