Blutiger Zyklus des Krieges: „Im Westen Nichts Neues“ (Kino, Netflix)

Die Neuverfilmung des gleichnamigen Romans von Erich Maria Remarque von 1929 beschäftigt sich mit den direkten Erlebnissen im Krieg und seiner grausamen Absurdität. Liebhaber*innen des Romans könnten enttäuscht werden: die Handlung im Film hat wenig mit dem Originaltext zu tun. Doch kann der Film von Edward Berger auf eigenen Beinen stehen.

Von Nikolas Friedrich, München

Er geht hauptsächlich um den 17-jährigen Paul Bäumer (Felix Kammerer), der sich zum Kriegsdienst aus Hoffnung auf ein Abenteuer meldet und durch den Horror seiner Erfahrungen im Schützengraben schnell desillusioniert wird. Neben dieser zentralen Handlung werden Köpfe der Elite Deutschlands behandelt: der Leiter der Waffenstillstandskommission, Matthias Erzberger (Daniel Brühl), ist durchgehend präsent.

Der Film ist nichts für schwache Nerven: im Laufe der 2,5 Stunden wird um jeden Meter Gelände bis zur letzten Minute erbittert gekämpft. Berger strebt eine hyperrealistische Darstellung des Grabenkrieges mit all seinen Grausamkeiten an: brutaler Nahkampf, moderne und tödliche Waffen wie Panzer und der psychologische Horror des Krieges sind während des gesamten Verlaufs zu sehen. Am Ende ist das Publikum genauso erschöpft wie Paul und will, dass das Ganze endlich vorbei ist.

Bedeutungloser Tod

Die Schlachten sind spektakulär und dramatisch, aber gleichzeitig werden sie zur in die Länge gezogenen und beklemmenden Sisyphusarbeit. Der Film ist von Struktur her eine zyklische Geschichte: viele Szenen kommen zweimal vor, aber finden durch ihre Wiederholung einen neuen Zusammenhang und Bedeutung. Blechmarken von Toten werden nach jeder Schlacht eingesammelt. Ein Schützengraben wird erobert, die deutsche Armee wird zurückgedrängt, und dann wird derselbe Schützengraben zurückerobert. Paul und sein Kamerad stehlen einem Bauern eine Gans am Anfang und am Ende des Filmes, jeweils mit unterschiedlichen Konsequenzen. Und durchgehend stirbt ein Mensch nach dem anderen.

Viele Figuren, die das Publikum gut kennenlernt, sterben plötzlich, ohne größere Bedeutung zu haben. Ihre Tode sind genauso willkürlich und bedeutungslos wie alle Millionen im Krieg. Wie ein Sanitäter über einen gefallenen Soldaten sagte: die meisten Figuren im Film haben „einfach Pech gehabt“.

Der Tod eines französischen Soldaten ohne Rollentext ist der emotionale Höhepunkt des Films. Im Chaos eines Rückzugs ist Paul mit ihm konfrontiert. Er ersticht den Soldaten, der langsam und grausam stirbt. Die Szene ist tragisch, innig und schmerzhaft und ein reumütiger Paul versucht vergeblich sein Opfer zu retten.

Erzbergers Geschichte ist hingegen eine andere. Er ist beauftragt, mit der Entente zu verhandeln und wird vom Film als einsamer Kreuzzügler gegen den preußischen Militarismus des Generalstabs hochgehalten: die Stimme der Vernunft in wahnsinnigen Zeiten. Historische Fakten erzählen aber eine andere Geschichte: Meutereien, Proteste und Streiks legten die deutsche Kriegsmaschine 1918 lahm, und erzwangen ein Kriegsende. Im Film werden diese Geschehen nur ab und zu im Halbsatz flüchtig erwähnt.

Sehenswert trotz Schwächen

In einem Punkt weicht der Film erheblich von der Romanvorlage und der historischen Wirklichkeit ab: So wird kurz vor Kriegsende noch eine deutsche Großoffensive an der Westfront gezeigt, die es so nicht gab. In Remarques Roman stirbt Paul Bäumer an einem Tag, den der Heeresbericht als ruhig und ereignislos vermerkt, im Film wird ein spektakulärer Großangriff daraus.

Durch die künstlerische Freiheit, sich nicht streng an den Roman zu halten, hätte Berger den Widerstand von Soldat*innen und Arbeiter*innen gegen den Krieg mehr thematisieren können. Solche Geschichten sind heutzutage dringend notwendig. Doch wer Netflix schaut, um ein revolutionäres Programm oder genaue Erzählungen historischer Ereignisse zu finden, wird enttäuscht werden.

Allerdings ist der Film sehr sehenswert. Kameraführung und moderne Klanglandschaft sind dramatisch, ohne übertrieben zu sein. Das Publikum spürt, wie viel Arbeit von allen Beteiligten in den Film gesteckt wurde.

Prominente Regisseur*innen debattieren häufig, ob Kriegsfilme als Genre den Krieg zwangsläufig verherrlichen oder verurteilen. Ich behaupte, es gibt Kriegsfilme, die pro-krieg oder anti-krieg sind, aber jeder gute Kriegsfilm ist immer ein Antikriegsfilm. Trotz seiner politischen Schwächen ist „Im Westen Nichts Neues“ einer von denen.