Autozulieferer ZF zieht den Stecker in Eitorf 

In der kleinen Gemeinde Eitorf (18.750 Einwohner*innen) im südlichen Nordrhein-Westfalen haben 690  Beschäftigte des Autozulieferers ZF auf der Betriebsversammlung Ende September eine Hiobsbotschaft präsentiert bekommen: Zum ersten Mal in der über 100-Jährigen Geschichte des Konzerns mit einem Jahresumsatz von 30 Milliarden Euro soll ein Standort komplett geschlossen werden.

Von Patrick Haas, Siegburg

Die Betriebsversammlung im September stellte dabei nur den Abschluss eines zweijährigen unwürdigen Schmierentheaters der Konzernleitung dar, welches den Kolleg*innen vorgespielt wurde. Im Zentrum stand die Argumentation, dass die Produktion in Eitorf zu teuer wäre und ein Zukunftskonzept erarbeitet werden müsste. Ein solches wurde tatsächlich durch die Kolleg*innen und den Betriebsrat entwickelt. An einer Umsetzung war die Konzernleitung aber nicht interessiert. Stattdessen bestand wohl von Anfang an der Plan, die Produktion zu verlagern.

Der Kapitalismus macht vor der Provinz nicht Halt …

Im WDR-Fernsehen kamen die Kolleg*innen zu Wort: Ihre Reaktionen reichten von Wut und Trauer bis hin zum Schock. Zu Recht schimpften sie über die Konzernleitung, die seit Jahren Investitionen in den Standort Eitorf unterließ und sie nun bis Ende 2025 vor die Türe setzen will. Dabei agiert ZF jedoch nicht im luftleeren Raum, sondern sieht sich in seiner Stellung als Weltkonzern mit Standorten in mehr als 30 Ländern einer weltweiten Konkurrenz ausgesetzt, die es im Wettbewerb um die höchsten Profite zu übertreffen gilt. Die Schnelligkeit, mit der Betriebe aktuell umstrukturiert werden, ergibt sich zum Einen aus der Trägheit der Kapitalist*innenklasse in Deutschland, die Entwicklungen in der E-Mobilität verschlafen hat und nun einen akuten Handlungsdruck hat, die Konzerne anderer Länder wieder einzuholen. Gerade in Deutschland, wo die Automobilindustrie das Herzstück der industriellen Wertschöpfung darstellt, ist für die Kapitalist*innen eine rasche Umstrukturierung nahezu unausweichlich, möchten sie auch weiterhin ein Stück vom Kuchen abhaben.

Darüber hinaus spielt die geringere Fertigungstiefe von E-Autos eine entscheidende Rolle. Für die Produktion eines E-Autos werden deutlich weniger Einzelteile, damit weniger Produktionsprozesse und am Ende weniger Arbeiter*innen benötigt. Alleine für Deutschland geht man von einem ,,Einsparpotenzial“ von 400.000 Arbeitsplätzen bis zum Jahr 2030 aus. Dabei sind jedoch bei höheren Verkaufspreisen für E-Autos, E-Bikes etc. satte Gewinne garantiert. Für die Kapitalist*innen ist diese Situation die sprichwörtliche ,,eierlegende Wollmichsau“, für die Arbeiter*innen, die wie in Eitorf erst die Gewinne möglich machen, geht es hingegen um Arbeitsplätze, Einkommen und Qualifikation.

… der Widerstand auch nicht

Die Kolleg*innen in Eitorf haben instinktiv die richtige Strategie gewählt und sich an die Eitorfer Bevölkerung gewandt. Sie wollen ihren Arbeitskampf mit zivilgesellschaftlichen Druck verbinden und sich nicht mit einem Sozialplan abspeisen lassen. Gerade für die ländliche Gemeinde Eitorf, in der ZF aktuell der größte Arbeitgeber ist, würde die Deindustrialisierung eine Vervielfachung der Armut bedeuten. Bereits jetzt befindet sich die Gemeinde Eitorf beim Pro-Kopf-Einkommen auf Platz 346 von 396 Kommunen NRW-weit. Der östliche Rhein-Sieg-Kreis könnte wie das Ruhrgebiet eine Armutsregion werden.

Alle Worte sind nur Schall und Rauch, wenn sie nicht in ein politisches Programm eingebaut werden. Gerade das Bedürfnis nach Mobilität in Stadt und Land in einer intakten Umwelt bietet die Möglichkeit, den Kampf um die Arbeitsplätze in Eitorf mit dem Kampf um eine öffentliche Mobilität zu verbinden. Die Skills unserer Kolleg*innen sind dabei unverzichtbar. Sie kennen die Betriebsabläufe und können hochwertiges Zubehör für die Züge und Busse der Zukunft herstellen, die es für einen massiven Ausbau des ÖPNV benötigt. 

Zwar ist der ZF-Konzern ein Tochterbetrieb im Besitz einer öffentlichen Stiftung, dennoch ist ZF gezwungen, nach den Profit-Mechanismen des Kapitalismus zu funktionieren. Wenn diese private Profitlogik nicht mehr funktioniert, ist der Staat gefordert, den Erhalt der Arbeitsplätze und der Qualifikation der Beschäftigten zu sichern. ZF Eitorf sollte enteignet und in öffentliches Eigentum, zum Beispiel des Landes NRW, überführt werden. Unter der demokratischen Kontrollen der Beschäftigten kann  gemäß dem gesellschaftlichen Bedarf produziert werden. In den nächsten Jahren werden viele Autozulieferer ähnliche Probleme haben. Diese Werke und ihre Beschäftigten werden jedoch dringend für die Mobilitätswende gebraucht. Eine erfolgreiche Verteidigung des Eitorfer Werkes hätte eine Signalwirkung über das Rheinland hinaus und könnte zu einem Vorbild für anstehende Auseinandersetzungen werden.