Bei Bund und Kommunen hat ver.di die Diskussion über die Forderungen zur im Januar 2023 anstehenden Tarifrunde begonnen. Der Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst (TVöD) betrifft 2,5 Millionen Beschäftigte und ist der zweitgrößte Tarifvertrag in Deutschland.
Von Thies Wilkening, Hamburg
Schon jetzt wird in Betriebsgruppen, bei Online-Branchenkonferenzen und per Umfrage diskutiert, wie hoch die Lohnforderung ausfallen soll und ob ver.di auch Forderungen zu Arbeitszeiten stellen sollte. Dass eine breite Diskussion angestrebt wird und auch Kolleg*innen, die noch keine Gewerkschaftsmitglieder sind, befragt werden ist gut – die Basis muss aber nicht nur vor, sondern auch während der Tarifrunde das Geschehen beeinflussen können. Livestreams für Tarifbotschafter*innen wie in der letzten TVöD-Tarifrunde, bei denen die Bundestarifkommission aus den Tarifverhandlungen berichtet und Fragen beantwortet, reichen nicht. Bei Streiks muss es Streikversammlungen geben, in denen Kolleg*innen diskutieren und über weitere Aktionen in ihrem Betrieb bzw. ihrer Dienststelle entscheiden können – ähnlich wie beim Streik an den Unikliniken in NRW.
Inflationsausgleich erkämpfen – 15% fordern
Seit dem letzten Tarifabschluss im Oktober 2020 haben die Löhne durch die Inflation insgesamt 11,8% an Wert verloren – erhöht wurden sie seitdem nur um etwas mehr als 3,2%. Der Reallohnverlust beträgt bis jetzt 8,6% – dank der 2020 vereinbarten langen Laufzeit, und weil wir uns damals mit einer nicht tabellenwirksamen Einmalzahlung als „Corona-Prämie“ haben abspeisen lassen.
Die Preise werden bis zum Beginn der Tarifrunde im Januar 2023 weiter steigen. Momentan liegt die Inflation bei 7,5% pro Jahr, ab September wird nach dem Ende des 9-Euro-Tickets und des Tankrabatts mit 9-10% gerechnet. Ver.di sollte nicht den gleichen Fehler machen wie die IG Metall, deren Forderung von 8% absehbar schon vor Beginn der Tarifrunde Metall+Elektro von der Preissteigerung überholt wird.
Entsprechend hoch muss die Forderung ausfallen – angemessen wären 15% für eine Laufzeit von 12 Monaten. Verglichen mit den sonst üblichen Erhöhungen wird das vielen Kolleg*innen unrealistisch erscheinen, aber die Erfahrungen der letzten Tarifrunden zeigen, dass sich meistens auf etwa die Hälfte des Geforderten geeinigt wird – und das wäre gerade mal ein Ausgleich der Inflation. Außerdem kann es dieses Mal nicht um das übliche Ritual einer Tarifrunde mit „maßvoller“ Forderung, ein oder zwei Warnstreiktagen und einem mittelmäßigen Abschluss mit langer Laufzeit gehen, den ein ver.di-Vorsitzender namens Frank den Kolleg*innen bemüht als Erfolg verkauft. In Zeiten von Preissteigerungen und sogenannter Gas-Umlage – in Wirklichkeit eine Extra-Steuer, die wir direkt an die Konzerne bezahlen sollen – geht es um die Verteidigung des Lebensstandards aller Kolleg*innen – und für viele darum, ob sie sich ihre Wohnung noch leisten können.
Bei Condor hat ver.di gerade zusätzlich zum noch laufenden Tarifvertrag eine automatische Lohnerhöhung von 7-9% je nach Entwicklung der Inflation ausgehandelt. Solche Klauseln müssen in allen Branchen gefordert werden, solange es in Deutschland keinen gesetzlichen Indexlohn gibt.
Zusammen geht mehr
Die Kampagne zur Tarifrunde läuft bei ver.di unter dem Motto „Zusammen geht mehr“. Das gilt natürlich für die Kolleg*innen im öffentlichen Dienst, aber auch darüber hinaus. Einerseits ist es im öffentlichen Dienst schwer, wirtschaftlichen Druck auf Bund und Kommunen als Arbeitgeber zu erzeugen, weil sie durch Streiks nicht direkt Einnahmen verlieren. Daher ist politischer Druck und Solidarität notwendig, um deutlich zu machen, dass Menschen, die in Kitas, kommunalen Krankenhäusern, bei der Müllabfuhr oder in der Verwaltung für die Allgemeinheit arbeiten, vernünftig bezahlt werden müssen. Andererseits verlieren gerade alle Lohnabhängigen durch die Inflation real an Einkommen.
Wenn es gelingt, im öffentlichen Dienst einen Abschluss über der Inflationsrate zu erzielen, hätte das eine wichtige Signalwirkung für andere Bereiche. In den nächsten Monaten werden linke Gruppen und Bündnisse, die Partei DIE LINKE, Sozialverbände und Gewerkschaften Protestaktionen gegen Preissteigerungen, Spekulation und Gas-Umlage und für eine wirksame Entlastung organisieren. Wahrscheinlich werden diese Proteste auch während der Tarifrunde im Januar und Februar stattfinden. Sie sollten die Warnstreiks im öffentlichen Dienst unterstützen, ver.di und GEW sollten öffentlich zu den Streikdemos einladen und ihre Mitglieder zu den Sozialprotesten mobilisieren.
Zeitgleich zum TVöD läuft auch der Tarifvertrag bei der Deutschen Post aus. Die Warnstreik-Termine sollten koordiniert werden, um gemeinsame Kundgebungen von ÖD-Beschäftigten und Postler*innen zu ermöglichen und zusammen Stärke zu zeigen.