Zurück in die Vergangenheit: Abtreibungsrecht in den USA in Gefahr

Die USA – allzeit engagierte Verteidiger der „westlichen Werte“, ob im Nahen Osten und ganz aktuell gegen Putin. Doch in puncto Frauenrechte könnte Russland dem Weltpolizisten bald haushoch überlegen sein: Schon diesen Sommer werden – wenn der Widerstand nicht ausreicht – Abtreibungen in weiten Teilen der Vereinigten Staaten verboten sein.

Von Conny Dahmen, Köln

Am 3. Mai wurde ein Entwurf des Obersten Gerichtshof geleakt, demzufolge die Grundsatzentscheidung „Roe vs Wade“ aus dem Jahr 1973 gekippt werden könnte. Auf Grundlage eines Präzedenzfalls war damals entschieden worden, dass staatliche Abtreibungsverbote gegen die Verfassung der Vereinigten Staaten verstoßen. „Roe vs Wade“ ermöglicht so Schwangerschaftsabbrüche bis zur 22. bzw. 24. Woche.

Mit dem Wegfall dieser Grundlage läge die Entscheidung über Abschaffung oder Verschärfung des Rechts auf Abtreibung künftig bei den Bundesstaaten. 26 Bundesstaaten haben bereits Gesetzesverschärfungen erlassen oder vorbereitet, die bei einer Abschaffung von „Roe v. Wade“ in Kraft treten könnten, wie z.B. der Texas mit seinem „Heartbeat-Act“ vom 1. September 2021. Dieser verbietet einen Schwangerschaftsabbruch, sobald die Herztöne des Fötus zu hören sind, ausnahmslos. Darüber hinaus sollen normale US-Bürger*innen als Spitzel agieren und Schwangerschaftsabbrüche anzeigen – für bis zu 10.000 US-Dollar Prämie. Menschen, die irgendwie bei Abtreibungen helfen, werden dagegen kriminalisiert. Oder Oklahoma, wo ab August Abtreibung nahezu ausnahmslos verboten sein und medizinisches Personal dafür mit bis zu zehn Jahren Gefängnis bestraft werden soll.

Rechte Offensive

Noch mehr Staaten könnten hinzukommen, wenn die finale Entscheidung bis Ende Juni wirklich so ausfällt. Da „Roe vs Wade“ auch die Grundlage für viele andere progressive Gesetze bildet, wie z.B. Rechte für LGBTQ+Menschen, befürchten viele weitere Angriffe. Ein Beispiel ist schon jetzt das „Don’t say Gay“-Gesetz in Florida, was auch das Sprechen über Nicht-Heterosexualität im Grundschulunterricht untersagt.

Mit drei von Trump eingesetzten Richter*innen ist die erforderliche rechte Mehrheit im Obersten Gericht (Supreme Court) vorhanden. „Roe vs Wade“ zu kippen war erklärtes Ziel von Trump, der „Pro-Life“-Bewegung und anderen christlichen Fundamentalist*innen. Aber diese Situation ist nicht nur Spätfolge der Trump-Regierung, sondern auch Ergebnis des Zögerns der Demokrat*innen: Sowohl die Regierung Obama als auch Joe Biden haben ihr Versprechen gebrochen, das Recht auf Abtreibung auf Bundesebene gesetzlich zu verankern.

Die beiden großen Parteien vertreten ein politischen Systems im Interesse der Großkonzerne, der Profitmaximierung und der Spaltung der arbeitenden Menschen, in dem Frauen und ihre Körper zu Objekten gemacht werden, die kontrolliert werden müssen. In Krisenzeiten wird oft versucht, die öffentlichen Ausgaben für Care-Arbeit zu senken, indem Frauen weitere Tätigkeiten aufgedrängt werden.

Schwangere leben gefährlich

Laut Guttmacher Institute brechen 73% ihre Schwangerschaft aus finanziellen Gründen ab. Krise und Krieg werden jetzt mehr Menschen in Armut stürzen. Diese Menschen werden trotz Verboten weiter abtreiben, allerdings unter unsicheren Bedingungen bis hin zur Lebensgefahr. Es sei denn, sie haben Geld – dann steht einer Reise in andere Bundesstaaten oder gar ins Ausland ja nichts im Wege. Im nahen Mexiko ist Abtreibung seit neuestem straffrei.

Gleichzeitig haben die USA die höchste Müttersterblichkeit unter allen Industriestaaten, mit ca. 700 Toten vor, während oder kurz nach der Schwangerschaft im Jahr – mehr als das Doppelte der deutschen Quote. Für People of Colour ist das Sterberisiko landesweit dreimal so hoch wie für weiße Frauen, da mehr von ihnen aufgrund geringerer Einkommen keine Krankenversicherung haben, in ärmeren Stadtvierteln ohne Krankenhäuser leben und sie auch dort oft Rassismus ausgesetzt sind. Abtreibungsbeschränkungen werden zu noch mehr Todesfällen führen.

Damit Frauen wirklich selbst über ihren Körper und entscheiden können, muss ihre soziale Lage verbessert werden, muss es kostenlose Gesundheitsversorgung für alle geben, Jobs, angemessene Löhne, bezahlbares Wohnen und kostenlose gute Bildung.

Ein Schlag gegen uns alle

Am 14. Mai sind beim bundesweiten Aktionstag Zehntausende auf die Straße gegangen, weitere Proteste finden statt, bei denen Socialist Alternative USA (Schwesterorganisation der SAV) großen Anteil hat. Laut Gallup unterstützen 80% der US-Amerikaner*innen das Recht auf Abtreibung.

Auch hier in Deutschland und international hat ROSA Solidaritätsaktionen organisiert. Denn sollte „Roe vs Wade“ fallen, wäre dies ein herber Rückschlag für alle Frauen, weltweit. Es drohen direkte Auswirkungen für Betroffene in neo-kolonialen Ländern: Die so genannte Global Gag Rule, die Präsident Reagan in den 1980ern einführte, verbietet ausländischen NGOs, die direkt oder indirekt US-Hilfsgelder erhalten, Beratungen zu Schwangerschaftsabbrüchen anzubieten. Unter Trump wurde diese Verordnung auf den gesamten Gesundheitssektor ausgeweitet. Demokratische Präsidenten haben die Regelung zwar in den letzten Jahren immer wieder ausgesetzt, aber solange es keine komplette Abschaffung und eine gesetzliche Verankerung von Abtreibungsrechten gibt, können Republikaner wie Trump sie im Präsidentenamt immer wieder in Kraft setzen. Und die Folgen der fehlenden Finanzierung wirken natürlich auch über die Zeit des Verbot hinaus nach. So finden viele Menschen keinen Zugang mehr zu adäquater Beratung und Aufklärung.

Dabei ist gerade während der Corona-Pandemie die Zahl der Teenager-Schwangerschaften in Ländern wie Kenia explodiert. Dort sterben sterben derzeit durchschnittlich sieben Frauen pro Tag an unsicher durchgeführten Abtreibungen. Wie das Guttmacher Institute hervorhebt: „92 % der Frauen im reproduktiven Alter (15-49) in der afrikanischen Region lebt dort, wo die Abtreibung stark oder mäßig eingeschränkt ist.“

Es wäre auch ein Sieg für andere rechte Bewegungen, Regierungen und religiöse Fundamentalist*innen, die das Beispiel USA nutzen könnten, um Menschen das Recht, über ihren Körper zu bestimmen, zu verweigern. Hart erkämpfte Grundrechte von Frauen und LGBTQ+ Personen werden heute in vielen Ländern wieder beschnitten. Zum Beispiel in Polen, wo die christlich-fundamentalistische Rechte 2021 ein fast ausnahmsloses Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen durchsetzte, worunter aktuell auch ukrainische Geflüchtete leiden, die z.B. nach Vergewaltigungen abtreiben wollen.

Anderswo kämpfen Menschen um die Umsetzung formaler Rechte, also genügend Kliniken, wie derzeit bei Protesten in Kroatien. Auch in der BRD nehmen immer weniger Ärzt*innen Abtreibungen vor, vor allem in ländlichen Regionen. Da mit dem §218 Schwangerschaftsabbrüche immer noch illegal und derzeit lediglich straffrei sind – unter bestimmten Bedingungen –, hängt das Damoklesschwert des Verbots weiterhin über uns.

Ein Erfolg der Rechten im mächtigsten Staat der Welt beträfe auch Männer, denn dieselben Leute sind nicht nur Gegner*innen der Frauenbewegung, sondern auch der Antikriegsbewegung, Klimabewegung, der Arbeiter*innenbewegung weltweit. Deshalb müssen wir alle, feministische und LGBTQ+Organisationen, Gewerkschaften, linke Parteien und soziale Bewegungen gemeinsam aktiv werden. Der Kapitalismus kann – und wird – uns jede unserer Bewegung mühsam errungenen Rechte wieder abnehmen, wenn wir nicht kämpfen.

Die Beispiele feministischer Bewegungen wie Ni Una Menos in Argentinien 2020 und der Referendumskampagne in Irland 2018 zeigen, dass Abtreibungsrechte selbst in Hochburgen des Katholizismus durchzusetzen sind. Doch wirklich sicher sind wir nur, wenn wir diesen Kampf mit einer sozialistischen Perspektive verbinden, und uns eine klassenlose Gesellschaft ohne Diskriminierung als Ziel setzen.

ROSA International fordert:

  • Vollumfängliche Sexualaufklärung in Bildungseinrichtungen ab der KiTa
  • Kostenlose Verhütungsmittel für alle
  • Kostenlose Schwangerschaftsabbrüche in allen öffentlichen Krankenhäusern

Weg mit der §218 und § 219! Volles Abtreibungsrecht

Bild von Socialist Alternative