Wie gefährlich sind die Impfgegner*innen?

Bei Demonstrationen von Impfgegner*innen in Bautzen, Dresden, Schweinfurt, München und anderen Städten kam es zu Ausschreitungen. Innerhalb der „Querdenker*innen“-Szene findet ein Radikalisierungsprozess statt, angetrieben durch die darin arbeitenden Kader faschistischer Organisationen. Schon im September wurde ein Tankstellen-Beschäftigter von einem „Maskenverweigerer“ erschossen. Am 27. Dezember wurde auf das Gesundheitsamt in Bremerhaven ein Brandanschlag verübt, am Neujahrstag wurden die Scheiben des Wahlkreisbüros von Gesundheitsminister Lauterbach in Köln-Mülheim eingeworfen.

Die Impfgegner*innen sind im Winter 21/22 die einzig sichtbaren Proteste im Land. Die Linke und mit ihr die große Mehrheit der Arbeiter*innenklasse, die sich in der Pandemie solidarisch und verantwortlich verhält, sind passiv, in der Defensive. Die „Spaziergänge“ sind groß und in der Fläche präsent. An den vergangenen Montagen haben jeweils Zehntausende daran teilgenommen.

Große Unterschiede

Vor allem in Sachsen ist die politische Dominanz organisierter Faschist*innen deutlich sichtbar. Dort bestimmen sie die Parolen und die Aggressivität der Demonstrationen. Größeren Einfluss haben sie auch in Thüringen und Sachsen-Anhalt. Im Westen ist die Lage differenzierter. Die AfD ist dabei, aber viele der größeren Aktionen sind nicht durch sie geprägt, sondern sind tatsächlich „bunt“.

So „bunt“, dass auch Linke bei deren Beurteilung auf Abwege geraten. Auf einer Website von Gewerkschaftslinken in Hamburg findet sich ein positiver Bericht über eine Demonstration von Impfgegner*innen, sie erkennen darin auch einen sozialen Protest, an dem Linke anknüpfen sollte. Interessant daran ist weniger die fatale Fehleinschätzung durch diese Linken, sondern die Tatsache, dass die Demonstration bei oberflächlicher Betrachtung nicht eindeutig politisch zugeordnet werden kann. Was immer die Demonstrierenden sich selber als Argument für eine Teilnahme zurechtlegen, ob sie sich für alternativ oder fortschrittlich halten, sie sind objektiv Teil einer Mobilisierung von rechts. Aber sie sind sich dessen nicht immer bewusst und der Charakter der Aktionen ist weder für Teilnehmende noch für Beobachtende eindeutig.

Frisches Blut für die Rechten

Eine Gefahr ist offensichtlich: Die Corona-Proteste führen den Nazi-Organisationen neue Sympathisant*innen und Aktive zu. Schwerer als die direkte Gewinnung von Mitgliedern wiegt wahrscheinlich die Verbreitung von Verschwörungsmythen aller Art, die nicht alle ursprünglich faschistisch sind, aber sämtlich Anknüpfungspunkte zur extremen Rechten haben. Damit entsteht ein größeres Umfeld für die Bündnispolitik und Werbung faschistischer Gruppierungen.

Unter den Corona-Verharmloser*innen sind viele Selbstständige und Freiberufler*innen, insofern handelt es sich um ein klassisches kleinbürgerliches Potenzial. Auch Teile des Staatsapparates sind empfänglich für diese Ideen. In Sachsen sind laut einer Auskunft des Innenministeriums nur 60% der Polizist*innen geimpft. Es gab inzwischen mehrere Vorfälle, bei denen sich eingesetzte Beamt*innen extrem freundlich gegenüber den nicht genehmigten „Spaziergängen“ geäußert haben. In München wurde ein Berufssoldat kurzfristig festgenommen, nachdem er in einem Internetvideo einen „Umsturz“ angekündigt hatte. Wir werden gewiss noch weitere „Einzelfälle“ dieser Art bei Armee und Polizei erleben.

Die Pandemie-Bekämpfung der Regierenden ist unzureichend. Die Parole, dass das Impfen alles lösen würde, hat sich als nicht völlig falsch, aber auch nicht ganz richtig erwiesen. Das fällt zusammen mit dem Widerstand gegen eine Impfpflicht, Frustration über die unendlichen Kontaktbeschränkungen und möglicherweise erneuten wirtschaftlichen und finanziellen Sorgen. Dazu kommt eine allgemeine Entfremdung von den etablierten Parteien, bei einer gleichzeitigen schwachen Linken, die kaum sichtbare Antworten auf das Regierungsversagen formuliert. Die zunehmende Unzufriedenheit wird damit nach rechts kanalisiert.

Vor diesem Hintergrund ist eine Ausweitung der Proteste möglich, ebenso eine weitere Radikalisierung von Teilen der Bewegung, so dass sich die Elemente von Gewalt und Terror verstetigen, möglicherweise auf dem Niveau der rassistischen Gewalt nach der Fluchtbewegung 2015. Auf die gesamte Gesellschaft bezogen sind die ideologischen Impfgegner*innen eine kleine Minderheit. Mehr Gewalt ihrerseits kann auch als Katalysator wirken, die Gegenproteste zu stärken. Gäbe es eine ernsthafte Mobilisierung durch Gewerkschaften, LINKE, antifaschistische, Klima- und feministische Bewegungen wäre schnell deutlich, dass die „Querdenker*innen“ relativ isoliert sind.

Zudem unterliegen ihre Proteste seit dem Beginn der Pandemie einem Auf und Ab, das von der Pandemiedynamik und den Gegenmaßnahmen abhängt. Das Hin und Her der Regierenden, ihr Zickzack zwischen verfrühten Lockerungen und meist aufs Privatleben beschränkte Kontaktbeschränkungen, der regierende Widerspruch, eine teure Pandemie bekämpfen zu wollen, ohne dabei das laufende Geschäft zu unterbrechen, das Abschieben der Verantwortung auf das Individuum bei gleichzeitig fehlender Mitsprache über gesellschaftliche Maßnahmen – all das hat die Bewegung der Corona-Relativierer*innen am Leben erhalten. Das Hin und Her hat ihnen immer wieder frisches Blut zugeführt.

Die Gefahr ist nicht zu unterschätzen. Faschistische Gruppen können sich regional aufbauen, vergrößern ihr Umfeld und sickern mehr in den Staatsapparat ein. Aber Panik ist nicht angebracht. Es bleibt der Protest einer relativ isolierten Minderheit, der durch Initiativen von links begrenzt und entzaubert werden könnte. Das eigentliche Problem ist die Passivität und Regierungsgläubigkeit in weiten Teilen der Arbeiter*innenbewegung.

Bild: 7C0 (CC BY 2.0) https://www.flickr.com/photos/7c0/51643377658